| Guten Morgen,
das nennt man wohl „überwältigende Resonanz“, wenn man weit mehr als 300 Mails bekommt, von denen mindestens die Hälfte so interessant ist, dass man sie gründlich liest – und nach ca. 300 Minuten Lesezeit feststellt, dass man weitere 300 Minuten bräuchte, aber dass 600 Minuten zehn Stunden sind und der Checkpoint nicht rechtzeitig fertig würde. Deshalb an dieser Stelle herzlichen Dank für die vielen profunden Anmerkungen zu der Frage aus dem gestrigen CP, wie sich die SPD zur Kandidatur Ursula von der Leyens als EU-Kommissionspräsidentin verhalten sollte. Das Tsp-Kollegium versucht, im morgigen Tagesspiegel möglichst viel Platz freizuschaufeln, um Meinungen aus der CP-Leserschaft dort zu veröffentlichen.
Das Stimmungsbild ist völlig gemischt, wie die Strichliste zeigt: In 162 Mails wird die SPD teils vehement zum Neinstimmen aufgefordert. Als Begründung dafür dominiert die plötzliche, nachträgliche Nominierung von der Leyens, oft verbunden mit dem Hinweis auf ihre Performance als Verteidigungsministerin. Viele werfen auch der CDU/CSU vor, die SPD zu erpressen. 27 Einsender betonen, dass ein Nein der SPD auch zum Ende der GroKo führen sollte.
In 131 Mails wird Zustimmung verlangt. Einige CP-Leser aus dieser Fraktion werfen den Altvorderen in der SPD vor, die Partei durch vorschnell in die Welt gesetzte Parolen erneut in eine Sackgasse getrieben zu haben, aus der sie kaum heil herauskommen kann. Viele betonen aber, die SPD solle gerade jetzt Verantwortung für Europa übernehmen, statt zu schmollen. Diese Sicht vertreten vor allem jene, die die Kür durch den Rat, also die Staats- und Regierungschefs, als völlig korrekt empfinden: Nachdem sich das EU-Parlament auf keinen Spitzenkandidaten einigen konnte, musste dieser Weg gewählt werden, an dessen Ende das klare Votum von 27:0:1 gestanden habe.
Vorgeworfen wird der SPD, nach der Bremer Bürgerschaftswahl dieselbe Kai-aus-der-Kiste-Nummer aufgeführt zu haben, über die sie sich auf EU-Ebene jetzt empört. Und selbst Leser, die Ursula von der Leyen als Person kritisch sehen, sagen, eine deutsche EU-Kommissionspräsidentin sei aus hiesiger Sicht per se ein Glücksfall.
Die Bedeutung der Spitzenkandidaten wird extrem unterschiedlich bewertet: Timmermans und Weber seien nur für Niederländer und Bayern relevant, sagen die einen, während viele andere Verrat am Wähler beklagen. Daneben existiert eine Kompromiss-Fraktion, die der SPD teils zu innenpolitischen Forderungen für ein Ja und teils zur Freigabe des Stimmverhaltens ihrer EU-Parlamentarier rät. Vor allem solle sie die Kandidatin von der Leyen gründlich nach deren Agenda befragen und sich anhand des Inhalts eine Meinung bilden. Auf die Agenda kann aus Sicht dieser CP-Leser auch eine verbindliche Regelung des Spitzenkandidaten-Prinzips gehören, damit sich die aktuelle Misere bei künftigen EU-Wahlen nicht wiederholt. | |