Liebe/r Leser/in, er nimmt seine Satteltaschen vom Haken und wendet sich ihr zu. Er sagt: „Tja, ich muss gehen.“ Er öffnet die Tür, blickt nach draußen. Licht fällt auf sein hartes Profil. Er sagt: „Das wird einmal ’ne schöne Stadt, Sweetwater.“ Und dann sagt Claudia Cardinale: „Sweetwater wartet auf dich.“ Charles Bronson blickt sie an. Ein Lächeln ist zu ahnen. Ist wieder verschwunden. Er dreht den Kopf zurück zur Tür und sagt: „Irgendeiner wartet immer.“ Dann geht er. Ein Moment für die Ewigkeit. Erinnern Sie sich an diese großartige Szene in „Spiel mir das Lied vom Tod“? Gut. Aber diese Szene meine ich nicht. Mir geht es um eine Szene davor. Noch vor Bronson betritt Jason Robards den Raum. Er verkörpert Cheyenne – einen Gangster, der in Wahrheit ein Guter ist. Also, Cheyenne fragt Claudia Cardinale in rauem Ton, ob sein Kaffee fertig sei. Sie lacht und sagt, das Wasser würde schon kochen. Dann reicht sie ihm eine Blechtasse. Er trinkt einen Schluck, hält inne und sagt: „Gut.“ Und dann sagt er: „Meine Mutter hat auch einen guten Kaffee gekocht. Das kann nicht jeder. Stark muss er sein. Und heiß.“ Okay, diese Szene ist vielleicht nicht ganz so erhaben und erbarmungslos. Auch muss sie ohne die heroischen Klänge von Ennio Morricone auskommen. Unvergessen ist sie dennoch. Sie erklärt ein für alle Mal, was Kaffee ausmacht. Er sollte stark und heiß sein. Er ist das ideale Getränk für jeden Gangster, der in Wahrheit ein Guter ist. Und besonders gut schmeckt Kaffee, wenn ihn Claudia Cardinale in eine Blechtasse gießt. Was sie für mich nie getan hat. Aber ich habe Cheyenne diese Gunst eigentlich nie (oder zumindest nur sehr selten) geneidet. Er hatte sich den Kaffee aus der Kanne der Cardinale wirklich verdient. Schon allein deswegen, weil er zu diesem Zeitpunkt, was sich für den Zuschauer freilich erst später erschließt, bereits tödlich verwundet ist. Dass Cheyenne so lange durchhalten und gegenüber der Cardinale den nur etwas erschöpften Cowboy mimen konnte („Wir werden alle mal müde“), erschien mir immer als der ultimative Beweis für die Wunderwirkung des schwarzen Gebräus. Selbst jene, die dem Untergang geweiht sind, halten mit Kaffee länger durch. Die Weisheit von Italowestern wird jetzt durch die Wissenschaft bestätigt: Wer Kaffee trinkt, führt seinem Körper nicht nur ein Genuss-, sondern auch ein Gesundmittel zu. Die Bohne stärkt das Herz, beugt Alzheimer, Diabetes und Darmkrebs vor. Wenn Sie unsere Titelgeschichte über den Wandel des Kultgetränks zur Superdroge gelesen haben, werden Sie schon beim nächsten Schluck Cappuccino oder Espresso ein neues Wohlgefühl verspüren. Kaffee, so formuliert es der Ernährungswissenschaftler Jürgen Vormann im Gespräch mit FOCUS, sei dermaßen gesund, dass es einen Risikofaktor darstelle, ihn nicht zu trinken. „Wer Kaffee trinkt, lebt länger.“ Und bleibt klar im Kopf. Vielleicht hat also Patricia Schlesinger einfach nur zu wenig oder zu schwachen Kaffee getrunken. Die grauen Zellen der RBB-Rafferin schalteten womöglich nur deshalb in den selbstzerstörerischen Gier-Modus, weil sie notorisch koffeinunterversorgt waren. Das wäre ein Fehler, den der Kanzler sich gerade jetzt nicht leisten kann. Als Zeuge im Untersuchungsausschuss, der den Hamburger Cum-Ex-Skandal aufklären soll, muss Olaf Scholz seine ganze rhetorische Klasse beweisen: ehrlich wirken und nichts Wichtiges sagen. Kann es sein, dass Donald Trump zu starken Kaffee trinkt? Je härter die Vorwürfe, je zahlreicher die Ermittlungen, desto wohler scheint er sich zu fühlen. Womit, so glaube ich, die wichtigsten Fragen angesprochen wären. Eine aber hätte ich noch: Warum bleibt Charles Bronson nicht bei Claudia Cardinale? Ihr Kaffee, so glaube ich, würde ihm schon schmecken. Vielleicht aber hofft er, da draußen einen noch besseren zu finden. Irgendein Kaffee wartet immer. |