Die besten Geschichten aus der Süddeutschen Zeitung
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10. Juli 2022
Guten Tag,
seit einigen Monaten haben wir ein Ferienhaus. Das klingt heiterer und sommerlicher, als es ist, denn dieses Haus tut mir manchmal ein bisschen leid, weil es so oft ohne uns auskommen muss. Nie haben wir Zeit, dorthin zu fahren. Immer ist jemand krank, auf Reisen oder es fällt einem von uns ein, dass die Fahrt viel zu lang ist. Wir haben das Haus angeschafft, um unseren Kindern Ferientage und Wochenenden auf dem Land zu ermöglichen. Ich wollte meiner älteren Tochter beweisen, dass Störche und Igel auch außerhalb ihrer Bilderbücher unterwegs sind und dass es kleinere Städte und Dörfer gibt, in denen man im Eisladen nicht die Sorten Matcha, Erdbeer-Basilikum und Zitrone-Gurke kaufen und trotzdem ein zufriedenes Leben führen kann.

Kürzlich waren wir wieder mal da, nach langer Abwesenheit, weil zuvor alle Grippe hatten. Das Schönste und Schlimmste an dem Haus ist der Garten. Er ist sehr groß, und das Gras wächst wie von einer irren Wachstumshexe verzaubert. Einmal haben wir es vom Gärtner mähen lassen, das war teuer und sinnlos, es wächst immer von Neuem, und manchmal träume ich nachts von einem mannshohen Rasen, durch den ich mit Tropenhelm und Buschmesser gehen muss, fluchend und scharfe Messerhiebe in alle Richtungen verteilend.

Auf der Terrasse stehen die Liegestühle, der Sonnenschirm ist auch schon da, und auf meiner Pflanzenbestimmungs-App sind noch die Fotos von der Berberitze, der Traubeneiche und dem Vogelkirschbaum gespeichert – sie alle stehen im Garten und mahnen stumm unsere Abwesenheit an.

Das Ferienhaus liegt an einem See mit schönem klaren und weichen Wasser. Die Badegäste sind freundlich, keiner schreit, außer meinen Kindern, aber die sind ja auch aus der Stadt. Im Panorama war diese Woche ein Interview mit einem Soziologen zu lesen. Es ging darum, dass die Freibäder in Berlin voller übergriffiger Leute seien. Der Soziologe war erstaunlich gelassen, weil er fand, dass dort, wo Menschen sind, nun mal ein bisschen gerempelt werde. Also: Keine Panik.

Die Liegestühle habe ich bei großer Hitze im Garten zusammengezimmert. Weil der Garten einsehbar ist, versuche ich, mich so zu kleiden, dass man mir neben der sommerlichen Gestimmtheit auch einen gewissen gärtnerischen Gestaltungswillen ansieht. Dabei fällt mir Max Scharnigg ein, der in einer fabelhaften Stilkunde den deutschen Urlauber auf seine Garderobe hin überprüft und „individualreisende Paare mit Genusshintergrund“ wie folgt beschreibt: „Er ganz in Leinen und barfuß in den Bootschuhen. Sie in Variationen des ewigen Bretagne-Capri-Picasso-Ringeloberteils, mit kecker Liselotte-Pulver-Hose und kindlichen Espadrilles.“ Das ist eigentlich ein erfreuliches Bild, verglichen mit den Sandalen-Socken-Trägern vergangener Jahre.

Meine Liegestühle sollen ja auch zum Lesen herhalten, Zeitung oder Buch, egal. Muss ich eigentlich zusammenzucken, weil der Soziologe Steffen Mau im Gespräch mit Miryam Schellbach gesagt hat, dass Bücherregale bald abgeschafft werden, weil die akademische Klasse lieber PDF liest oder Hörbücher hört?

Kürzlich las ich das große Porträt, das Marten Rolff über den Stuttgarter Ausnahmekoch Vincent Klink geschrieben hat. Da ging es auch ums Lesen, aber vor allem ums Bogenschießen und Malen. In einem Nebensatz war auch vom Gartenhäuschen die Rede, einer, schreibt Rolf, „hochästhetischen Konstruktion“ aus verschiedenen Materialien. Unser Gartenhaus ist ein verfallener Geräteschuppen. Aber was soll’s. Die Dinge sind noch am Anfang, und was allem Anfang innewohnt, weiß ja wohl inzwischen jeder.

Haben Sie einen schönen Sonntag und viel Freude beim Lesen – vielleicht ja auch in einem Garten.

Einen schönen Sonntag wünscht
Hilmar Klute, Redakteur im Streiflicht und Autor im Feuilleton
P.S. Übrigens: Den Storch, den ich meiner Tochter versprochen habe, gibt es zum Glück wirklich. Er nistet im Schornstein des örtlichen Schlosses. Dazu gibt es ein wunderschönes Lied von Hannes Wader auf seiner neuen CD. Es heißt Klaas der Storch, man kann es auf Youtube hören und sich dabei überlegen, ob man sich nicht besser ein Haus in der Nähe mit handtuchgroßem Garten anschaffen sollte.
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