Hallo WordPress, was würdest Du erwarten, wenn Du ein Schiffsunglück überlebst und nach der Rettung von Bord gehst? Medizinische Versorgung und psychologische Betreuung? Schutz, Ruhe und Mitgefühl? Für die Menschen, die nach einer lebensbedrohlichen Flucht die Sea-Watch 5 verlassen, sieht die Realität sehr anders aus. Sie werden an Land von Polizist:innen und Frontex-Mitarbeiter:innen zur Befragung erwartet, kriminalisiert und entrechtet. Ihre gefährliche Reise geht ohne Pause weiter. Oft werden Menschen abgeschoben, ohne Zugang zu einem fairen Verfahren und juristischer Unterstützung zu erhalten. Ich bin Vera und habe im April und Mai 2024 den Rettungseinsatz der Sea-Watch 5 in der Rolle als Schutzbeauftragte begleitet.
Direkt nach der Rettung, wenn die Menschen an Bord der Sea-Watch 5 kommen, ist das Wichtigste ihre körperliche Sicherheit, medizinische und hygienische Versorgung, Wasser und Essen. Dringend nötig wären natürlich auch Ruhe und eine umfassende psychologische Betreuung, aber dafür bleibt leider viel zu wenig Zeit. Denn die Tage auf dem Schiff sind die letzte Möglichkeit, die Menschen über ihre Rechte zu informieren. Das ist meine Hauptaufgabe als Schutzbeauftragte an Bord. |
| Nach der Rettung von 47 Personen aus Seenot und ihrer Erstversorgung, habe ich die Zeit an Bord intensiv genutzt, um mit fast allen von ihnen individuelle Gespräche zu führen. Bei der ersten Registrierung der Gäste kann ich feststellen, welche Sprachen gesprochen werden, Übersetzungen organisieren, und mir einen ersten Eindruck verschaffen, welche Personen besondere Aufmerksamkeit benötigen. Vulnerable Gruppen, wie unbegleitete Kinder und Jugendliche, allein reisende Frauen, Menschen mit Behinderungen, Schwangere, queere Personen, sowie Überlebende von Menschenhandel, Folter und (sexualisierter) Gewalt sind erhöhten Gefahren ausgesetzt, sowohl auf der Flucht als auch in Europa. In Info-Runden in Französisch, Arabisch und Englisch habe ich die Gäste über die rechtlichen Verfahren und das Asylsystem in Italien informiert und mit ihnen durchgesprochen, was sie nach der Ankunft im Hafen erwartet. Minderjährige und Personen aus sogenannten „sicheren Drittstaaten“ habe ich gesondert über ihre spezielle Situation aufgeklärt. In den zwei Tagen an Bord konnte ich Überlebende von Menschenhandel identifizieren, Bestätigungen zu vermuteten Vulnerabilitäten ausstellen und in bestimmten Fällen bereits Kontakt zu Hilfsorganisationen an Land vermitteln. Die größte Herausforderung ist die knappe Zeit. An Bord bleibt nur wenig Zeit, um auf alle Bedürfnisse einzugehen – aber wir geben alles, um jeden Gast bestmöglich vorzubereiten. Wenn ich die Menschen umgehend nach der Rettung darüber aufklären muss, was ihnen als Nächstes bevorsteht, wird ihnen bewusst, dass ihr Kampf noch lange nicht vorbei ist. Menschen in dieser Situation keine echte Pause und direkte Perspektive bieten zu können, ist hart. Aber die juristische Beratung ist unglaublich wichtig für alles, was ab dem Moment passiert, in dem die Gäste die Sea-Watch 5 verlassen. Umso wichtiger ist es auch, schöne Momente der Leichtigkeit zu schaffen. Ich erinnere mich zum Beispiel daran, dass Crew und Gäste am letzten Abend an Bord einen Malabend organisiert haben. Alle haben mitgemacht und waren einfach sehr in diesem Moment, beim gemeinsamen Malen. Das war eine ganz besondere Stimmung und super schön. Und auch zu sehen, wie sich die Gäste gegenseitig unterstützt haben, sei es mit Fürsorge untereinander oder gegenseitiger Übersetzungshilfe, das war sehr berührend. Egal wie viel Gewalt es gibt, es wird immer Widerstand dagegen geben. Natürlich ist es oft schwer zu ertragen, welches Leid viele unserer Gäste bereits durchmachen mussten und was ihnen noch bevorsteht. Umso beeindruckender ist es, zu sehen, wie viel Widerstand gegen die gewaltsamen und rassistischen Umstände existiert. Widerstand, der sich in der Solidarität der Helfenden zeigt, aber vor allem auch in der Würde, Menschlichkeit und Freude, in der sich die Menschen selbst nach einem traumatischen Erlebnis wie der Überfahrt über das Mittelmeer begegnen. Menschen tanzen, singen, unterstützen sich gegenseitig, trotz der extremen Situationen, die sie durchlebt haben. Das zeigt mir, dass Gewalt menschlichen Widerstand nie vollständig brechen kann – es wird immer Kraft und Schönheit im Widerstand geben. Und das ist es, was mir immer wieder Mut macht! |
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