Dass Amazon, aber auch andere Marktplätze, Suchmaschinen wie Google bei der Produktsuche den Rang ablaufen, gilt als Binsenweisheit im E-Commerce. Doch das Verhältnis verändert sich gerade. |
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Die Ausgangssituation ist klar: Ziemlich viel Umsatz läuft heute über Marktplätze; sie sind zum kommerziellen Dreh- und Angelpunkt des 21. Jahrhunderts geworden. Verständlich, wenn viele Kund:innen den Zwischenschritt der Suchmaschine Google überspringen und gleich bei Amazon oder eBay suchen. Schließlich landen sie voraussichtlich ohnehin dort, da das Google Suchergebnis ohnehin zu einem Marktplatz führt. Entweder durch einen organischen Link oder durch eine Anzeige. |
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Also wohin mit den Werbegeldern, wo fördere ich am effektivsten Absatz, fragen sich Marketeers und Merchants. |
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Der erste Teil der Antwort liegt in den Zahlen begraben. Wie groß ist der Marktanteil von Marktplätzen im Generellen und Amazon im Speziellen an den Produktsuchen über die Jahre wirklich geworden? |
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Das schwarze Loch Amazon und der Prime-Lock-In-Effekt |
Die Umfrageplattform Appinio und die Amazon-Agentur Remazing veranstalten seit einigen Jahren eine regelmäßige Umfrage, die im Amazon-Shoppers-Report mündet. |
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2020 sollten insgesamt 65 Prozent der Deutschen eher auf Amazon als über klassische Suchmaschinen wie Google nach Produkten gesucht haben. |
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2023 waren es dann schon 74 Prozent aller Befragten. |
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Besonders dramatisch wird es, wenn wir einen Blick auf die Prime-Mitglieder werfen, also diejenigen, die fast täglich bei Amazon einkaufen: da waren es laut Remazing und Appinio 2022 schon 84 % der Kunden. 2023 schlage ich gar nicht erst nach in den Umfrage-Ergebnissen, da waren es vermutlich schon 104 Prozent. |
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Die Ironie in der letzten Zeile rührt daher, dass die "repräsentative" Masse der Befragten laut Umfrage zu 76 Prozent aus Prime-Mitgliedern bestand. Das könnte das Bild verfälschen, es sei denn, es wäre davon auszugehen, dass 76 Prozent Prime-Mitglieder repräsentativ für Deutschland sind. Woran ich zweifle. In der Simon-Kucher-Streaming-Studie kommt Amazon in Deutschland mit 42 Prozent auf Platz zwei im Abo-Ranking hinter Netflix. |
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Diese Erhebungen zeigen trotz eingeschränkter Aussagekraft eindrücklich, dass Prime-Mitglieder den größten Teil ihres Beschaffungprozesses nahezu vollständig zu Amazon verlegt haben. Der Prime-Lock-In-Effekt existiert immer noch. |
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Auf das Wort Beschaffungsprozess werde ich später noch zurückkommen, denn das spielt eine wesentliche Rolle bei dem zweiten Teil meiner Antwort auf die Frage "wohin mit den Werbegeldern, wo fördere ich am effektivsten Absatz"? |
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Nach dem Exkurs zur Statistik bei Amazon-Kund:innen, deshalb jetzt der etwas größere Blick auf die Zahlen: Wie groß ist der Marktanteil von Marktplätzen im Generellen? |
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Mehr als die Hälfte der Kund:innen startet die Produktsuche noch bei Suchmaschinen |
53,3 Prozent der deutschen Kundinnen verwenden Suchmaschinen (vorwiegend Google) und 49,6 Prozent Online-Marktplätze (wie Ebay oder Amazon), um ein Produkt online zu finden. So sagt es eine aktuelle Civey-Umfrage im Auftrag von Ebay aus. (Klar, die Umfrage soll vordergründig Ebays Relevanz belegen, aber hey: Immerhin sind es mal keine Zahlen aus einer Umfrage einer Amazon-Agentur, Yay!) |
Diese Anteile habe ich doch so oder so ähnlich schon einmal irgendwo gehört? Ja, gefühlt hundertmal in den vergangenen zehn Jahren. |
Dafür, dass wir E-Commerce-Experten seit Jahren die Dominanz von Amazon anprangern und hervorheben, sind die großen Sprünge ausgeblieben. |
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Produktsuche: Dominanz der Marktplätze sinkt |
Wie viele KundInnen starteten ihre Produktsuche bei einem Marktplatz: |
2015 - 39/44 Prozent der US-Kund:innen |
Forrester: 39 Prozent der US-Verbraucher starten den Online-Kauf eines Produktes bei Amazon. Eine Studie von BloomReach aus dem gleichen Jahr kam sogar auf 44 Prozent. |
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2016 - 55 Prozent der US-Kund:innen |
Bloomreach: Rund 55 Prozent der befragten US-Amerikaner suchten laut BloomReach zuerst bei Amazon |
2017 - 45 Prozent der deutschen Kund:innen |
PWC: Deutsche Konsumenten nutzen die Amazon-Website verstärkt auch zur Recherche. 45 Prozent starten ihre Produktsuche dort. |
2017 - 58 Prozent der deutschen Kund:innen |
Studie „Cross-Channel – Quo Vadis?“ des ECC Köln: Knapp 58 Prozent der befragten Konsumenten nutzen Amazon vor dem Kauf als Entscheidungshilfe und Produktsuchmaschine. |
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2024 - 49,6 Prozent der deutschen Kund:innen |
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Ich möchte gar nicht auf den einzelnen Prozentsätzen herumreiten. Abhängig von der Zusammensetzung der Stichprobe kann es da ohnehin schon zu erheblichen Schwankungsbreiten im Ergebnis kommen. |
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Auffallend ist aber eine Erkenntnis: Die Dominanz der Marktplätze auf dem Feld der Produktsuchen scheint jüngst eher zu sinken. |
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50 Prozent? Das hatten wir Pi mal Daumen vor sieben Jahren schon, zuletzt eher ein paar Prozent mehr. Amazons Dominanz scheint also leicht rückläufig zu sein: Auch der auf Amazon spezialisierte US-Datenanbieter Jungle Scout verzeichnet bei Amazon USA von 2022 zu 2023 einen Rückgang von 61 Prozent auf 57 Prozent. |
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Marktplätze erachten Suchmaschinen auch als relevant |
Marktplätze gehören zu den größten Werbekunden der Suchmaschinen, herausstechendes Beispiel ist der chinesische Marktplatz Temu, dessen Muttergesellschaft PDD Holdings laut The Wall Street Journal bei Google zu den Top 5 Kunden gehört. Laut NYT platzierte Temu bei Google addiert über 1,4 Millionen Ads. |
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Zusätzlich soll Temu im vergangenen Jahr über 2 Milliarden US-Dollar alleine bei Meta ausgegeben haben. (Was Temu ohne Korrektur dementiert.) |
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Amazon gab laut Statista 2023 knapp 44,4 Milliarden fürs Marketing aus. Laut AdAge erhöhte Amazon dabei auch seine Ausgaben für Tiktok. |
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Die Dominanz der Marktplätze auf dem Feld der Produktsuchen scheint eher zu sinken, der Lock-in-Effekt für Prime-Kunden existiert aber weiterhin. |
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Dass Marktplätze sowohl in Suchmaschinen als auch in sozialen Medien im großen Stil Werbung schalten, zeigt, dass diese trotz ihrer eigenen Relevanz immer noch viel Traffic von außen zukaufen. |
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Die Relevanz einer Plattform ist eine Frage der (Kauf-)intention. |
Ich habe zum Abschluss eine schöne Phrase: Sei da, wo deine Kunden sind, am besten zu dem Zeitpunkt, zu dem die Kaufintention entsteht. |
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Auf Marktplätzen bewegen sich viele, die eine akute Kaufabsicht haben. Sicher gibt es auch da Inspiration als Teil der Customer Journey, aber letztlich dürfte ein großer Teil der Kund:innen dort trockene Beschaffungseinkäufe tätigen. Oder sich zumindest gezielt mit einer vagen Kaufintention dort hinbewegen. |
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Wo kann sich das Suchvolumen, das von den Marktplätzen geht, hinbewegt haben? |
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Inspiration und ein Spontankauf begegnet den potenziellen Kund:innen oft dort, wo sie entspannt nach Unterhaltung suchen. |
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Auch wenn beispielsweise Amazon und beispielsweise Douglas, der eine schlecht, der andere gut, mit eigenen Shoppable-Video-Feeds experimentiert, um diesen Unterhaltungsfaktor zu nutzen: Videos konsumieren die Kund:innen zur Unterhaltung dann eher in sozialen Netzwerken. |
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Die ARD-/ZDF-Onlinestudie 2023 zeigt, dass die unter 30-jährigen 69 Minuten am Tag in den sozialen Netzwerken verbringen und davon mit 35 Minuten den Löwenanteil der Zeit für Videos verbrauchen. Instagram nutzen Nutzer:innen zu 63 Prozent täglich, Snapchat zu 37 Prozent und Tiktok zu 30 Prozent, bei allen Tendenz steigend. Bewegtbild macht mit 50 Prozent den größten Teil der altersübergreifenden Internetnutzung aus. Und sowieso mobil, von 14 bis 49 Jahren sind alle (96/97 Prozent) mobil unterwegs. |
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Vielleicht erfasst die ARD-/ZDF-Onlinestudie ja im nächsten Jahr, wie oft und mit wie viel Zeitaufwand Nutzer:innen KI-Assistenten nutzen. Dieser Kanal dürfte bald überproportional wachsen und Suchvolumen an sich reißen. Die Frage ist, wie schnell. |