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Vom 1. bis zum 23. Juli messen sich die besten Radsportler der Welt bei der Tour de France. Über Sieg und Niederlage entscheiden dabei nicht nur die Beine, sondern auch das Material. Das TOUR Tech-Briefing zur 21. Etappe. |
Tour de France 2023 - 21. Etappe: Saint-Quentin-en-Yvelines - Paris | 115,1 Kilometer |
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Das Höhenprofil der 21. Etappe der Tour de France 2023, Fotograf: A.S.O. |
Das große Finale in Paris steht vor der Tür. Die Fahrer drehen nach einer Auftaktstrecke noch acht Runden á 6,8 Kilometer auf der Prachtstraße von Paris. Der Kurs ist schnell, gut überschaubar und frei von größeren Schwierigkeiten. Die Fahrer sind frisch, soweit man das nach diesen drei Wochen sein kann. Die Etappe selbst ist jedenfalls die leichteste der ganzen Tour de France. Etwas Schaulaufen plus eine Stunde hartes Radrennen. Die wesentliche Schwierigkeit sind die Mistreiter: der Abschlusssprint ist besonders prestigeträchtig und damit hart umkämpft. |
Was man tun muss, um im Sprint von technischer Seite gut gerüstet zu sein, haben wir in mehreren Ausgaben dieses Newsletters dargestellt. Zuvorderst: aerodynamisch sein. |
Tour de France 2023: Sprint auf Kopfsteinpflaster |
Auf den Champs Elysees sieht die Sache nicht anders aus. 700 Meter vorm Ziel ist die letzte Kurve zu bewältigen, dort muss ein Sprinter in Position sein, danach geht es schnurstracks geradeaus Richtung Zielstrich. Gesprintet wird auf einem relativ glatten Kopfsteinpflaster. Mit 28er-Reifen und angepasstem Luftdruck, wie sie von den meisten Fahrern ohnehin gefahren werden, ist der Untergrund gut beherrschbar. Hauchzarte Reifen ohne Pannenschutz, wie bei vielen Zeitfahrreifen, sind auf dem Innenstadtkurs aber nicht empfehlenswert. Erfahrungsgemäß ist dort das Pannenrisiko höher. |
Als Zahl des Tages beschäftigen wir uns aber nicht mit dem Sprint sondern schauen zurück zum Zeitfahren vom Dienstag - die 16. Etappe der Tour de France 2023. In unserem Briefing hatten wir eine Siegerzeit von 32:56 prognostiziert, die von Jonas Vingegaard um 20 Sekunden unterboten wurde. |
Von einem Radwechsel hatten wir abgeraten. Die meisten Fahrer ließen das auch bleiben. Aber Mitfavorit Tadej Pogacar wechselte das Rad, was rund 14 Sekunden dauerte. Einen Vorteil verschaffte er sich damit nach unserer Berechnung nicht, im Gegenteil. Er verlor an der Kernsteigung 34 Sekunden auf Vingegaard, im weiteren Verlauf, als der Berg abflachte, schlug der Aero- und Power-Vorteil von Vingegaard durch. Hier machte der Däne massiv Boden gut (-43 Sekunden). Pogacar hatte sicher nicht seinen besten Tag, aber auch nicht die beste Strategie, um nach Gelb zu greifen. |
Vingegaard sagte nach dem Rennen, dass er sich im flachen Teil der Strecke zurückgehalten und 380 Watt getreten habe. Auf Basis dieser Information und mit den Streckendaten haben wir seinen cwA-Wert kalkuliert. |
Zahl des Tages: 0,18 Quadratmeter |
Dass Jonas Vingegaard schnell auf dem Rad saß, hat jeder gesehen. Der Kopf lag vollständig vor dem Rumpf. Anhand der Zwischenzeiten, unseres Modells der Strecke und der Angabe von Vingegaard kalkulieren wir seinen cwA-Wert auf 0,18 Quadratmeter. |
Das ist ein absoluter Weltklassewert. Wir kennen nur einen geringeren publizierten Wert. Der Amerikaner Colby Pearce, ehemaliger amerikanischer Stundenrekordler, wurde mit 0,1656 gemessen – aber in seiner Spezialdisziplin auf der Bahn, nicht vergleichbar mit einem Straßenwettkampf in der Tour de France. |
Der cwA-Wert ist das Produkt aus Stirnfläche und cw-Wert, er beschreibt, wie aerodynamisch ein Objekt ist. Möglichst geringe Werte sind anzustreben. Normale cwA-Werte für sehr gute Zeitfahrer liegen bei rund 0,195 Quadratmeter. |
Diese absolute Top-Aerodynamik war aber nur ein Baustein in Vingegaards Siegfahrt. Er ging auch hohe Risiken in der Abfahrt ein, hatte die richtige Pacing- und Material-Strategie und trat außergewöhnlich viel Leistung. Dies alles zusammen ergab die Fabelzeit. |
Damit ist das diesjährige Tech-Briefing an seinem Ende. Ich hoffe es war unterhaltsam und ergab die eine oder andere Einsicht in die Technik hinter den großen Leistungen der Stars. Bis zum nächsten Jahr! |
Unser Experte |
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Fotograf: Robert Kühnen |
Robert Kühnen ist studierter Maschinenbauer, schreibt für TOUR über Technik- und Trainingsthemen und entwickelt Prüfmethoden. Die Simulationsrechnungen verfeinert Robert seit Jahren, sie werden auch von Profi-Teams genutzt. |
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