Das TOUR Tech-Briefing zur 11. Etappe der Tour de France 2025 |
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Fotograf: Getty Images/MARCO BERTORELLO |
Vom 5. Juli bis zum 27. Juli messen sich die besten Radsportler der Welt bei der Tour de France. Über Sieg und Niederlage auf den Straßen Frankreichs entscheiden dabei nicht nur die Beine, sondern auch das Material. Das TOUR Tech-Briefing zur 11. Etappe. |
Tour de France 2025 - 11. Etappe: Toulouse - Toulouse | 156,8 Kilometer | 1750 Höhenmeter |
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Das Höhenprofil der 11. Etappe, Fotograf: A.S.O. |
Nach dem Ruhetag stehen 157 hügelige Kilometer an. Vier Anstiege der vierten Kategorie und einer der dritten sind zu erklettern. Knapp neun Kilometer vor dem Ziel ist die Côte de Pech David mit 800 m Länge und durchschnittlich 12,4 % Steigung der steilste Zacken im Profil. Dort könnte ein Puncheur aus einer Gruppe heraus attackieren. |
Zu erwarten ist, dass eine Gruppe wegkommt und dass zwei Rennen in einem ablaufen: Das Feld mit den GC-Fahrern wird es vermutlich etwas ruhiger angehen lassen, während Mannschaften, die noch nichts gewonnen haben, ihre Fahrer in die Fluchtgruppe beordern werden. Denn der Blick ins Roadbook zeigt: Für Nicht-Kletterer wird es nicht mehr viele Gelegenheiten geben, bei dieser Tour um einen Etappensieg zu fahren. |
Rückschau Healy |
Wer plant, den Tag auf der Flucht zu verbringen, wird erneut so aerodynamisch am Start stehen wollen wie möglich. Vorbild: Ben Healy. Der Ire, der in Gelb zur elften Etappe startet, zeigte bei seinem Sieg auf der sechsten Etappe, wie eine lange Soloflucht gelingen kann: Durch gutes Pacing und eine Top-Aerodynamik. Healy hat auf Strava die Powerdaten seines Ritts veröffentlicht. Danach trat er während seiner knapp einstündigen Flucht im Schnitt mit 322 Watt ins Pedal (rund 5 W/kg), was beachtlich ist, insbesondere weil auch am Anfang des Rennens viel Power nötig war, um die Fluchtgruppe zu etablieren. Healy dieselte aber nicht Richtung Ziel sondern fuhr bis zum Ende sehr dynamisch mit dem Ziel, die Geschwindigkeit allzeit so hoch wie möglich zu halten. Sein Ritt zeigt eine Reihe von Powerpeaks von 400 bis 700 W, zu Beginn trat er sogar kurz mit 1.000 W. Mit dieser Fahrweise erzielte er einen Schnitt von 46,3 km/h – trotz einiger Anstiege, der längste 4,4 Kilometer lang. Wie gut er seine Körner einteilte, verrät auch der Die Aufzeichnung seiner Herzfrequenz. Den Maximalwert von 187 Schlägen pro Minute erreichte Healy erst am letzten Anstieg fünf Kilometer vor dem Ziel. Im Schnitt lag der Puls während der Flucht bei 170 Schlägen. |
In Relation zur aufgebrachten Leistung war Healy sehr schnell unterwegs, was für eine ausgezeichnete Aerodynamik spricht. Diese war sicher ein Schlüssel für seinen Erfolg. |
Positionsvergleiche |
Noch schneller als Healy rasten die Ausreißer Jonas Rickaert und Mathieu van der Poel auf der neunten Etappe bei ihrer epischen 170-Kilometer-Flucht Richtung Ziel: Im Mittel lag das Tempo bei etwas über 50 km/h(!), beschleunigt durch den Rückenwind. Die Ausreißer fuhren die zweitschnellste Tour-Etappe aller Zeiten als Paar-Zeitfahren! Fast wäre die waghalsige Flucht sogar erfolgreich gewesen. Erst 650 Meter vor dem Ziel wurde Mathieu van der Poel von den heranrasenden Sprintern eingeholt. |
Rickaert und van der Poel attackierten bei Kilometer Null und es gab keine Gegenwehr, weil das Feld wohl damit kalkulierte, zwei Mann leicht zurückholen zu können. Leicht wurde es aber nicht fürs Feld, diesen Vorsprung abzuschmelzen. Obwohl der Wind gegen Ende für die Ausreißer unvorteilhaft von Rück- auf Gegenwind drehte, verteidigten sie ihren Vorsprung zäh und die Sprintermannschaften mussten ihre Anfahrer erheblich arbeiten lassen, um überhaupt Zeit aufzuholen. |
Die Aerodynamik ist bei diesem ungleichen Kampf zwei gegen viele absolut entscheidend. Die Ausreißer können nach so langer Flucht nicht mehr so aufdrehen wie eine größere Gruppe Verfolger, die sich die Arbeitslast im Wind besser teilen kann. Die Ausreißer können nur versuchen schlau zu fahren, sich gegenseitig optimalen Windschatten zu geben und dem Fahrtwind so wenig Angriffsfläche wie möglich zu bieten. Der bulligere Rickaert sah im Vergleich zu van der Poel deutlich weniger aerodynamisch aus, aber wir haben keine Zahlen, um das zu belegen. |
Materialmäßig waren Mathieu van der Poel und Jonas Rickaert top ausgestattet. Das Canyon Aeroad gehört zu den schnellsten Rädern im Feld, und nirgends kann ein Top-Aerorad seine Vorzüge besser ausspielen als bei einer so langen Flucht. Dort addiert sich der Vorteil gegenüber einem mittelmäßigen Rad auf viele Minuten. |
Die Technik ist trotzdem keine Gewähr, dass die Flucht gelingt. Ob Ausreißer durchkommen, hängt eher an der Gruppendynamik im Feld und daran, ob die Verfolger richtig einschätzen, wie es um die Ausreißer bestellt ist. Gehen diese nicht gleich voll ans Limit und sind sie in der Lage, in der Schlussphase genau wie das Feld noch etwas aufzudrehen, können die Verfolger sich verkalkulieren. Dabei spielt die Qualität der Ausreißer auch eine Rolle. Ein Weltklassefahrer wie Mathieu van der Poel kann sich heftiger wehren als ein Profi aus der zweiten Reihe. Entsprechend knapp wurde es. |
Lohnt der Kampf ums Gramm? |
Doch zurück zur elften Etappe. Ein Aero-Rad ist nach den Demonstrationen der letzten Tage gesetzt für eine etwaige weitere Flucht. Aber welchen Einfluss hat das Gewicht, wenn sich 10,5 Kilometer vor dem Ziel noch die kurze steile Rampe von 800 Metern Länge in den Weg stellt? Sollten die Mechaniker Überstunden machen, um noch die letzten Gramm Übergewicht wegzuzaubern? Dieser Frage gehen wir in unserer Simulation nach. |
Die Zahl des Tages: 19 Sekunden |
Von der Attacke am Fuße des letzten Hügels bis ins Ziel sparen die schnellsten Räder 19 Sekunden gegenüber den langsamsten. Aero sticht reines Gewicht, denn das Tempo muss ja vom Anstieg bis ins Ziel gebracht werden. Allerdings hilft ein leichtes Bike dabei, die Attacke am Berg erfolgreich zu gestalten. |
Deshalb sehen wird das Cervélo S5 im 1x12-Setup erneut vorne. Es ist das Schnellste am Anstieg, unterstützt also das Wegkommen. Im weiteren Verlauf holt der Aero-Überflieger Van Rysel RCR-F Pro zwar auf, hat in der Gesamtabrechnung aber knapp das Nachsehen. |
Die Taktik vom Team Visma, Top-Aerodynamik mit Tricks wie dem Einfach-Antrieb so weit wie möglich zu erleichtern, geht auf. Unser Rat an die Mechaniker ist daher: macht alles, um die Aerobikes Richtung 6,8 Kilo Mindestgewicht zu drücken. |
Das (fast) vollständige Feld im Überblick* |
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Fotograf: Robert Kühnen |
Die Tabelle zeigt die Rangfolge der Räder bei einer Attacke am letzten Hügel, 8,8 Kilometer vor dem Ziel. Das Cervélo S5 gewinnt mit seiner Mischung aus Top-Aerodynamik und Mini-Gewicht. Reine Leichtbikes fahren hinterher, sie sind ein Handicap in der flachen Zielanfahrt. |
*) Die Berechnungen beruhen auf den von TOUR in Labor und Windkanal getesteten Rädern. Die Maschinen bei der Tour de France können in Details davon abweichen. Auch Last-Minute-Prototypen konnten wir natürlich noch nicht untersuchen. Hintergründe zur Simulation. |
Unser Experte |
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Fotograf: Robert Kühnen |
Robert Kühnen ist studierter Maschinenbauer, schreibt für TOUR über Technik- und Trainingsthemen und entwickelt Prüfmethoden. Die Simulationsrechnungen verfeinert Robert seit Jahren, sie werden auch von Profi-Teams genutzt. |
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