Kommen wir also zu Henryk M. Broder und seiner Rede, die er Dienstagabend vor der Bundestagsfraktion der AfD gehalten hat. Ein Aufreger wurde daraus zunächst durch ein peinliches Foto, das die strahlende Alice Weidel zeigt, wie sie Broder umarmt. Weidel verbreitete das Bild via Twitter. Von dort aus sorgte es für tausende Tweets, noch mehr Likes und Retweets als Weidel erreichte beispielsweise der RND-Korrespondent Markus Decker mit "Henryk M. Broder ist mit dem Satz seiner Eltern groß geworden: 'Wir haben für Dich das KZ überlebt.' Jetzt liegt er in den Armen einer Partei, die das Holocaust-Mahnmal als Mahnmal der Schande bezeichnet. Es ist nicht zu fassen." Zu dem Zeitpunkt war aber noch völlig unklar, was Broder der AfD-Fraktion überhaupt gesagt hatte.
Im Laufe des Mittwochs veröffentlichte die Welt nun Broders komplette Rede und sammelte damit wie oben erwähnt mehr als 20.000 Interaktionen auf Facebook und Twitter ein. In einer Vorbemerkung entschuldigte sich Broder für das Weidel-Foto: "Es wäre richtig gewesen, sich der Umarmung zu entziehen. Als Journalist sollte man auf Distanz zu Politikern und Politikerinnen achten. Es gibt freilich keinen Grund, aus dieser Umarmung weiter gehende Schlüsse zu ziehen. Ich bitte um Entschuldigung und gelobe, bei der nächsten Gelegenheit vorsichtiger zu sein."
Interessanter allerdings ist die Rede selbst, weil sie auf sehr unterschiedliche und teilweise widersprüchliche Reaktionen stieß. So feierte Sascha Lobo Broder beispielsweise dafür, dass er "der AfD-Fraktion 'ihr seid Nazis' ins Gesicht gesagt" habe. Das erfülle sein Herz "schon mit einem Quantum Freude". Journalist und ehemaliger Merian-Chef Andreas Hallaschka twitterte: "'Schalom allerseits' Henryk #Broder hält eine gandiose Rede vor der #AfD-Fraktion im Bundestag, 'einem Raum voller Krypto-Nazis', und schenkt den Abgeordneten ordentlich ein." Schaut man sich die Rede aber als Video auf der Facebook-Seite der AfD-Fraktion an - und liest sie nicht nur, so kann man sich längst nicht mehr so sicher sein, dass Broder gerade den entsprechenden Satz "Ein Besuch bei Ihnen stand nicht auf meiner Liste, ich habe die Einladung trotzdem gerne angenommen, wann bekommt ein Jude schon die Gelegenheit, in einem Raum voller Nazis, Neo-Nazis, Krypto-Nazis und Para-Nazis aufzutreten?" wirklich als ernstes "Einschenken" oder "Ins Gesicht sagen" gemeint hat oder nicht voller Ironie.
Nicht wegzudiskutieren sind allerdings Sätze wie "Man nennt die 12 schlimmsten Jahre der deutschen Geschichte nicht einen Vogelschiss", "Ich trete für eine bunte, offene und tolerante Gesellschaft ein, in der niemand ausgegrenzt wird" oder "Ich beurteile die Menschen in meiner Umgebung nicht nach Herkunft, Hautfarbe oder Religion, sondern danach, ob sie (...) auch andere Meinungen als die eigenen gelten lassen", für die die Rede ebenfalls auf Twitter gefeiert wurde und die den AfD-Politikern eigentlich nicht so besonders gefallen haben dürfte. Dennoch teilten auch sie Broders Rede vielfach und lobend. Broder selbst machte am Ende seiner Rede klar, was passieren müsste, bis er die AfD wählen würde: "Sie müssten Ihre Begeisterung für Russland und Putin dämpfen, Ihre USA-Allergie kurieren, Zweideutigkeiten in Bezug auf die deutsche Geschichte unterlassen und sowohl Ihren Mitgliedern wie Wählern klaren Wein darüber einschenken, dass Sie kein Depot für kontaminierte deutsche Devotionalien sind."