Seit geraumer Zeit tauchen im Internet immer wieder mal Berichte über die angebliche "Momo Challenge" auf, mit der Kinder in den Tod getrieben worden seien. Eine gruselige Figur mit riesigen Augen steht dabei im Mittelpunkt. In Videos singt sie entweder Lieder oder spricht Sätze, in denen dem Hörenden gedroht wird, dass er sterben würde oder der Hörer angestiftet wird, sich die Arme aufzuschneiden. Auch von gefährlichen Aufgaben wurde berichtet, die über WhatsApp verschickt würden. In dieser Woche sammelten die britischen Boulevard-Riesen Mirror und Mail Online 740.000 bzw. 530.000 Likes und Shares mit entsprechenden Artikeln.
Am Donnerstagabend sprang auch die Bild auf den Zug auf, schrieb "Eltern aufgepasst - Selbstmord-Aufrufe in YouTube-Videos für Kinder!" über den Artikel und stürmte innerhalb weniger Stunden mit 27.400 Facebook- und Twitter-Interaktionen auf Platz 1 der journalistischen Artikel Deutschlands. Wobei "journalistisch" in diesem Fall sicher diskutabel ist. Denn: An der Momo Challenge ist kaum etwas wahr. Der Guardian und die BBC berichteten schon am Donnerstagmorgen in viel beachteten Artikeln über "Momo" und bezeichneten den Hype um die Figur als "Hoax", also als Scherz.
Die Behauptungen der Boulevard-Medien, es gäbe Todesfälle und zahlreiche Eltern, die sich besorgt bei Behörden melden, seien falsch. Die britische "National Society for the Prevention of Cruelty to Children" hat dem Guardian gegenüber beispielsweise zu Protokoll gegeben, man hätte mehr Telefonanrufe von Medien als von besorgten Eltern bekommen. Die "Samaritans", eine Organisation, die sich u.a. um Suizidprävention kümmert, wird mit den Worten zitiert: "These stories being highly publicised and starting a panic means vulnerable people get to know about it and that creates a risk."
Medien machen einen harmlosen Scherz ohne realen Hintergrund also erst zur Gefahr. "The rumour mill appears to have created a feedback loop, where news coverage of the Momo challenge is prompting schools or the police to warn about the supposed risks posed by the Momo challenge, which has in turn produced more news stories warning about the challenge", so der Guardian. Und weiter: "Although the Momo challenge has been circulating on social media and among schoolchildren in various forms since last year, the recent coverage appears to have started with a single warning posted by a mother on a Facebook group for residents of Westhoughton, a small Lancashire town on the edge of Bolton. This post, based on an anecdote she had heard from her son at school, went viral before being picked up by her local newspaper and then covered by outlets from around the world."
Und einen halben Tag nach diesem wichtigen Artikel kommt dann also Bild und schreit: "Eltern augepasst!" ins Netz. Und: "Selbstmord-Aufrufe in YouTube-Videos für Kinder". Und bettet zu allem Überfluss "Peppa Pig"-Videos ein, in die solche "Momo"-Sequenzen eingebaut wurden. Schon das Upload-Datum der Videos (27. Februar) zeigt, dass offenbar genau das entsteht, wovor der Guardian-Artikel gewarnt hat: Aus dem Hoax entsteht durch Medienberichte die tatsächliche Gefahr. Je weiter die Stories und Artikel verbreitet werden, desto mehr Trittbrettfahrer tauchen auf, die tatsächlich entsprechende Videos bei YouTube hochladen, obwohl das Unternehmen zu Beginn des "Momo"-Hypes noch gesagt hatte: "Contrary to press reports, we have not received any evidence of videos showing or promoting the Momo challenge on YouTube." Mirror, Mail, Bild und andere sorgen nun indirekt dafür, dass es doch solche Videos gibt, über die dann wiederum berichtet werden kann.
Der gesamte "Momo"-Hoax steht exemplarisch für das große Qualitätsproblem vieler Online-Medien: Ein einzelner Facebook-Post mit einer Anekdote wird von einem Lokalmedium aufgegriffen, von immer mehr Medien abgeschrieben und zum weltweiten Aufreger und Angstmacher. Nicht nur Bild ist in Deutschland übrigens auf den Zug aufgesprungen. Bei Google News fanden sich am Donnerstagabend auch Artikel von Merkur.de, Web.de, der Hannoverschen Allgemeinen, watson, Nordbayern.de, Bunte.de, Gala.de und inFranken.de.