#trending // Greta Thunberg und die Deutsche Bahn Das Aufreger-Thema des Sonntags war in den sozialen Netzwerken eins, das an Irrelevanz kaum zu toppen ist. Kurz zusammengefasst: Greta Thunberg fuhr auf dem Weg nach Hause mit der Deutschen Bahn, hatte keinen Sitzplatz, twitterte ein Foto, wurde missverstanden, dann beschimpft, die Bahn tat beleidigt, wurde dann auch beschimpft, usw.
Letztlich ist das Beispiel "Greta Thunberg und die Deutsche Bahn" ein sehr gutes Beispiel dafür, was schief läuft im Online-Journalismus: Auf der Suche nach dem schnellen vielfachen Klick und Like machen zu viele Medien Storys aus simplen Tweets und ohne weitere Recherche. Greta Thunberg twitterte ein Foto von sich, auf dem Boden eines ICE sitzend. Dazu schrieb sie: "Travelling on overcrowded trains through Germany. And I'm finally on my way home!" Wie sie später klar stellte und wie man sich auch hätte denken können, war der Tweet keineswegs negativ gemeint: "Overcrowded trains is a great sign because it means the demand for train travel is high!" schrieb Thunberg.
Zum großen Aufreger wurde die Sache dann durch Tweets der Deutschen Bahn: "Liebe #Greta, danke, dass Du uns Eisenbahner im Kampf gegen den Klimawandel unterstützt! Wir haben uns gefreut, dass Du am Samstag mit uns im ICE 74 unterwegs warst. Und das mit 100 Prozent Ökostrom." Und: "Noch schöner wäre es gewesen, wenn Du zusätzlich auch berichtet hättest, wie freundlich und kompetent Du von unserem Team an Deinem Sitzplatz in der Ersten Klasse betreut worden bist." Was die Thunberg-Gegner natürlich dazu veranlasste, Verschwörungstheorien zu stricken, Thunberg hätte gar nicht auf dem Boden gesessen, sondern in der 1. Klasse. Medien nahmen auch diesen Tweet gern auf, schrieben Headlines wie "Bild auf 'überfülltem Zug': Aufregung um Gang-Foto: Greta Thunberg hatte laut Bahn Sitzplatz in der Ersten Klasse" ("stern") oder "Auf dem Rückweg von Klimakonferenz - 'Kompetent in Erster Klasse betreut': Hatte Greta doch einen Platz im ICE?" ("Focus Online") oder "Bahn widerspricht Greta Thunberg – 'Sitzplatz in der 1. Klasse'" ("Welt") oder sogar "Greta Thunberg in überfülltem Zug auf dem Weg nach Hause - War das Foto gestellt?" ("RTL.de"). So helfen Medien bei Verschwörungstheorien.
Widersprochen hat die Bahn Thunberg jedoch gar nicht, denn auf ihrer Reise von Basel bis Hamburg hatte Thunberg erst nach vielen Stunden, ab Kassel (Bahn) oder Göttingen (Thunberg), einen Sitzplatz. Das bestätigte die Bahn in einer - Achtung! - Pressemitteilung! Medien wie "RTL.de" machten dann sogar aus dem vermeintlichen Widerspruch Kassel oder Göttingen eine Infografik. Dabei liegen ganze 18 Minuten Fahrtzeit zwischen den beiden Haltestellen.
Das alles ist so irre und unfassbar, dass man nicht weiß, ob man lachen oder weinen sollte. Und auch die Tatsache, dass ich jetzt vier Absätze darüber schreibe, dass Greta Thunberg Bahn gefahren ist, gehört zu dieser Unfassbarkeit. Aber was soll ich machen, wenn unter den zehn nach Facebook- und Twitter-Interaktionen erfolgreichsten journalistischen Artikeln des Tages im deutschsprachigen Raum sieben (!) mit genau diesem Thema zu tun haben und #trending nunmal genau über solche Phänomene berichten will?
PS: "Wir alle schulden Günther Oettinger eine Entschuldigung". |