Liebe Frau Do, den zweiten Tag in Folge beginnt die „Stimme des Westens“ mit dem Sturm aufs Kapitol in Washington. Wie Sie vermutlich auch empfinde ich die Bilder als verstörend. Aber noch verstörender ist nicht das, was war, sondern was hätte sein können. Wenn die Trumpisten organisierter gewesen wären, wenn sie jemand angeführt hätte und sie alle Waffen getragen hätten – nicht auszudenken. Die USA sind nur knapp einem versuchten Staatsstreich entgangen. Und nein, das ist nicht zu hoch gegriffen. Das ist nicht mehr unmöglich. So vieles galt bei Donald Trump als unmöglich und wurde dann möglich. In meinem Leitartikel schreibe ich über die Gefahr, die von ihm auch nach der Vereidigung seines Nachfolgers ausgeht. Dorothee Krings untersucht in ihrer Analyse die krude Gedankenwelt von Donald Trump und seinen Anhängern. Ihr Befund ist dramatisch. Nach vier Jahren Trump, nach vier Jahren Falschinformation und Hetze und nach vier Jahren der Umdeutung von Begriffen („alternative Fakten“) scheint eine wachsende Zahl von Amerikanern für rationale Argumente kaum mehr zugänglich zu sein. Birgit Marschall hat mit Daniela Schwarzer über die Auswirkungen der Washingtoner Eskalation auf andere Demokratien gesprochen. Die Direktorin der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik ist besorgt. „Weltweit werden sich Autokraten oder Politiker, die es werden möchten, genau anschauen, wie Trump Schritt für Schritt radikalisiert und das System untergraben hat“, sagt Schwarzer. Unser Washington-Korrespondent Frank Herrmann beschäftigt sich mit dem Verhalten der Polizei. Die Sicherheitskräfte wirkten überrascht und zu Beginn der Ausschreitungen zögerlich. Für amerikanische Polizisten ist dies mehr als ungewöhnlich. Während Donald Trump nach vier Jahren abgewählt wurde, hat Angela Merkel einen selbstbestimmten Rückzug nach 16 Jahren im Blick. Die Bundeskanzlerin tritt bei der Wahl im September nicht nochmal an, und einer der denkbaren Nachfolger ist NRW-Ministerpräsident Armin Laschet, der am Samstag kommender Woche zum CDU-Vorsitzenden gewählt werden will. Gemeinsam mit Maximilian Plück habe ich ihn interviewt: ein Gespräch über Merkel, die CDU („überall viel Unterstützung“), mögliche Koalitionen (lieber FDP als Grüne) und die Corona-Lage („Jede Maßnahme muss kontrolliert werden“). Der Aachener tritt nicht schneidig auf, aber bestimmt. Die Fußstapfen der Bundeskanzlerin seien groß, aber er sei bereit. Groß und ehrgeizig sind die Ziele und Vorsätze, mit denen Menschen ins neue Jahr starten. Vier Wochen auf Wein und Bier verzichten, keine Weingummis naschen, wieder mit dem Joggen anfangen – diese Auflistung ließe sich beliebig fortführen. Aber ist das in diesem Lockdown-Januar, in dem viele von uns schon angespannt und gestresst genug sind, eigentlich eine gute Idee? Dieser Frage ist Julia Rathcke mit dem Gesundheitspsychologen Thomas Kantermann nachgegangen. „Immer schön realistisch bleiben!“ heißt der Text. Denn zu hochgesteckte Ziele und übertriebener Eifer schaden uns letztlich, sagt Kantermann. Starten wir also optimistisch und voller Tatendrang in diesen Freitag – versuchen aber den ungesunden Ehrgeiz zu vermeiden. Einverstanden? Bis morgen! Herzlich Ihr Moritz Döbler Mail an die Chefredaktion senden P.S.: Wenn Ihnen dieser Newsletter gefällt, empfehlen Sie die "Stimme des Westens" weiter! |