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Liebe/r Leser/in,

in der deutschen Politik ist seit einigen Wochen viel von Schuld die Rede. Dass man Wladimir Putin falsch eingeschätzt habe, sich von ihm hat täuschen und belügen lassen, ist schon fast etwas wie politische Folklore geworden. An die Spitze der Bewegung hat sich diese Woche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gesetzt, indem er das ewig lange Festhalten an Nord Stream 2 als persönlichen Fehler einräumte und damit Sühne leistete.

Wie wir nicht erst seit dem gleichnamigen Epos des russischen Dichters Dostojewski wissen, gehören Schuld und Sühne zusammen. Das gilt umso mehr, wenn es um nichts Geringeres als um Kriegsschuld geht. Natürlich trägt für den brutalen Überfall auf die Ukraine und die damit einhergehenden Kriegsverbrechen allein Putin die Verantwortung. Und dennoch kann man in Berlin und Paris nicht der Frage ausweichen, ob man mehr für den Schutz der Ukraine hätte tun können, zum Beispiel durch eine Aufnahme des Landes in die Nato 2008. Hätte Russland wirklich ein Mitgliedsland der westlichen Allianz angegriffen?

Steinmeier jedenfalls – und das ehrt ihn – stellt sich dieser und anderen Fragen im höchsten Staatsamt, während die damalige Bundeskanzlerin und damit politisch Hauptverantwortliche davor fest die Augen verschließt. Angela Merkel hat zusammen mit dem damaligen französischen Präsidenten Sarkozy der Ukraine die Nato-Tür vor der Nase zugeschlagen und findet das auch heute noch alternativlos richtig. Und auch die schleichende Abrüstung der Bundeswehr über all die Jahre mag den Kriegstreiber im Kreml ermutigt haben.

Die Altkanzlerin weiß, dass in diesen Wochen ihr politisches Lebenswerk auf dem Spiel steht. Denn sie hat – mit tatkräftiger Unterstützung der SPD-Führung – Deutschland massiv von russischem Gas und Öl abhängig gemacht und dabei alle Warnungen in den Wind geschlagen – ob sie aus Washington, ­Warschau, Kiew oder aus der eigenen Partei kamen. Putin haben die Milliarden-Einnahmen eine Hochrüstung mit Waffen ermöglicht, über die zum Teil (Hyperschallraketen) nicht einmal die USA verfügen. Dafür sühnt seit Wochen das ukrainische Volk leibhaftig, wie nicht nur die schrecklichen Bilder aus Butscha belegen.

Doch die deutsche Politik steht nicht nur vor den Trümmern ihrer Russland­politik, sondern auch vor denen ihrer Energiepolitik. Schon die verkorkste Energiewendepolitik seit der Jahrtausendwende hat dem Land – im Namen des Klimaschutzes – Energie-Höchstpreise beschert und die Versorgungssicherheit in Gefahr gebracht. Hunderte Milliarden, manche sagen: eine Billion Euro, hat diese Politik gekostet, die aber nicht dazu geführt hat, dass Deutschland seine Klimaziele einhalten konnte.

Zur Erinnerung: Dieses Höchstpreisniveau in der Energieversorgung des Landes wurde erreicht, obwohl riesige Mengen preiswerten Russengases zur Verfügung standen. Dieses Gas muss jetzt dauerhaft durch deutlich teureres Flüssiggas aus den USA und Katar ersetzt werden – ein weiterer Preisschock, der Wettbewerbsfähigkeit, Jobs und damit Wohlstand kosten wird. Denn dieses Gas ist knapp und weltweit begehrt. Und Deutschland hat es bislang nicht für nötig erachtet, auch nur ein Terminal für Flüssiggas-Importe zu bauen, während zum Beispiel Italien bereits über zwei verfügt. Die Sorglosigkeit der deutschen Energiepolitik der Vergangenheit ist zum Verzweifeln.

Ebenso unverständlich wie beunruhigend ist das Festhalten der Ampelregierung an vor allem ideologisch begründeten Zielen. Wie kann man sicher laufende Atomkraftwerke abschalten wollen in einer Situation, in der uns ein Gaslieferstopp Putins angeblich in Rezession und Massenarbeitslosigkeit stürzen würde und in der Wirtschaftsminister Robert Habeck um jeden Kubikmeter Fracking-Gas in den USA und anderswo betteln muss – also Gas, das wir auch in Deutschland fördern könnten, uns das aber seit Jahren selbst verboten haben?

Mein Verdacht ist: Grünen und Sozialdemokraten ist der Verzicht auf Kernkraft (immerhin eine CO2-freie Stromquelle) wichtiger als der auf Putins Gas. Jedenfalls wurde hierzulande schon immer viel gegen Atomkraft und Atomwaffen (der USA!) und wenig gegen Putins Kriege demonstriert. Und meine Sorge ist: Wenn wir jetzt nicht alles, wirklich alles an heimischer Energie mobilisieren, um das Gas aus Russland schneller zu ersetzen, als dies mit dem Ausbau erneuerbarer Energien möglich wäre, dann nähern wir uns einer ökonomischen und moralischen Katastrophe. Niemand will doch irgendwann erklären müssen, dass der Atomausstieg wichtiger war als der Kampf gegen Putins Größenwahn.

Schuld und Sühne sind auch in Zukunft ein untrennbares Paar. Leider lehrt die Geschichte, dass häufig die einen für eine Schuld sühnen, die andere verantworten.

Mit vielen Grüßen,

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Robert Schneider,
Chefredakteur FOCUS-Magazin

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