Heribert Prantl beleuchtet ein Thema, das Politik und Gesellschaft (nicht nur) in dieser Woche beschäftigt.
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16. Februar 2025
Prantls Blick
Die politische Wochenschau
Prof. Dr. Heribert Prantl
Kolumnist und Autor
SZ Mail
Guten Tag,
am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz trat eine kleine große alte Dame auf. Sie ist eine berühmte Christdemokratin, eine Kämpferin für Emanzipation und Liberalität und passt als solche nicht unbedingt in das Bild, das die Friedrich-Merz-CDU heute bietet. Sie ist eine Frau, die die Bundesrepublik so geprägt hat wie nicht viele andere. Bei ihrem Auftritt in München war sie schon recht wackelig, stützte sich auf ihre Referentin und auf das Rednerpult; dort stand sie dann zwar von Krankheit gezeichnet, aber so temperamentvoll und aufgekratzt, wie man sie kennt, und bedankte sich für eine hohe Auszeichnung. Sie wurde geehrt mit einem Preis für eines ihrer Lebenswerke, nämlich für ihre Verdienste um die deutsch-polnische Freundschaft, als „eine der großen Vertreterinnen der Versöhnergeneration“, wie es hieß.

Die Rede ist von Rita Süssmuth, einst Ministerin für Jugend, Familie, Gesundheit und Frauen im Kabinett Kohl, dann zehn Jahre lang Präsidentin des Deutschen Bundestags. Sie gehört zu den späten Müttern des Grundgesetzes. Am Montag wird sie 88 Jahre alt.

Von Rita Süssmuth stammt der schärfste Kommentar zur Sicherheitskonferenz, von ihr kommt die klarste und die treffendste Kritik am wirren und irren Auftritt des US-Vizepräsidenten James David Vance: „Überlasst die Welt nicht den Wahnsinnigen“, hat sie geschrieben. Zugegeben: Es ist dies kein aktueller Kommentar, Süssmuths Satz ist schon fünf Jahre alt; es handelt sich um den Titel eines Buches von ihr aus dem Jahr 2020 mit dem Untertitel: „Ein Brief an die Enkel“.

Aber der Süssmuth-Satz „Überlasst die Welt nicht den Wahnsinnigen“ passt wahnsinnig gut zu den Dummdreistigkeiten, mit denen der US-Vizepräsident in München das Publikum entsetzt hat. Die Art und Weise, wie Vance sich in die inneren Angelegenheiten Deutschlands und der EU eingemischt hat, seine Wahlwerbung für die AfD und den Rechtsextremismus in Europa, seine hanebüchenen Bemerkungen über die Meinungsfreiheit hat der CDU-Kanzlerkandidat Merz als „fast schon übergriffig“ bezeichnet. Man darf das „fast“ weglassen. Es war eine Rede, die nur ein einzig Gutes hatte: Sie hat die deutsche und die europäische Politik hoffentlich final aufgerüttelt: Überlasst die Welt nicht den Wahnsinnigen.

Es wäre gut gewesen, wenn Europa nicht auf einen Donald Trump gewartet hätte, um im Ukraine-Krieg Verhandlungen zu beginnen. Vor knapp zwei Jahren hat der Historiker Peter Brandt in der Süddeutschen Zeitung geschrieben: „Manchmal muss man verhandeln, um überhaupt zu Verhandlungen zu finden!“ Es wäre gut gewesen, man hätte auf ihn oder auf den alten Philosophen Jürgen Habermas gehört, der seinerzeit, auch in der SZ, gefordert hatte, der Westen möge energischer auf Verhandlungen drängen. Habermas beklagte damals den bellizistischen Tenor der geballten öffentlichen Meinung.

Parallel zur Münchner Sicherheitskonferenz fand die 23. Internationale Münchner Friedenskonferenz statt. Ich durfte dort über das Friedensgebot des Grundgesetzes reden. Es ist bisher versäumt worden, dieses Friedensgebot auszuarbeiten, zu substanziieren, zu spezifizieren und zu konkretisieren, so wie das mit dem Rechtsstaatsgebot und dem Sozialstaatsgebot geschehen ist. Das rächte und rächt sich in der öffentlichen Diskussion über den Ukraine-Krieg, weil sie keinen Halt in der Verfassung hatte und hat. Für die bevorstehende Ukraine-Verhandlungszeit gilt der kluge Satz des Friedensnobelpreisträgers Willy Brandt: „Der Frieden ist nicht alles. Aber ohne Frieden ist alles nichts.“

Dieser Satz soll uns mahnend in die kommende Woche begleiten, es ist die Woche vor der Bundestagswahl. Es fragt sich freilich, was ein Trump-Friede für ein Friede ist, wenn er als Deal über die Köpfe der Ukrainer hinweg eingefädelt wird. Bleiben wir hoffnungsvoll, trotz alledem und alledem.
SZPlus Prantls Blick
Lovely Rita, lonely Rita
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Ihr
Heribert Prantl
Kolumnist und Autor der Süddeutschen Zeitung
SZ Mail
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Prantls Leseempfehlungen
Wer ist Rassist?
Das ist die Frage, die sich bei der Diskussion um den Kanzler und den Berliner Kultursenator Chialo stellt, den Scholz als „Hofnarr“ beleidigt hat. Bei der Beantwortung hilft ein Gedenktag. Gewiss: Es gibt fast jeden Tag irgendeinen Gedenktag; es gibt ernsthafte Gedenktage wie den „Datenschutztag“; es gibt schmackhafte Gedenktage wie den „Tag der italienischen Küche“ und es gibt alberne Gedenktage wie den „Weltknuddeltag“.

Man könnte also den Tag, der jährlich am 21. März begangen wird und für den die Vorbereitungen jetzt auf Hochtouren laufen, mit einem abgeklärten „Aha“ registrieren und vorbeigehen lassen. Es ist der „Internationale Tag gegen Rassismus“, ausgerufen 1966 von der Vollversammlung der Vereinten Nationen und später mit der Bitte an die Mitgliedsstaaten ergänzt, alljährlich eine solidarische Aktionswoche zu organisieren. Der Gedenktag erinnert an das Massaker von Sharpeville nahe Johannesburg in Südafrika, als 20 000 Menschen gegen das diskriminierende Passgesetz des damaligen Apartheid-Regimes protestierten und die Polizei in die Menge schoss: 69 Menschen starben.

Lang her, weit weg – so sah man das in Deutschland lange Zeit; bis Jürgen Micksch, ein evangelischer Theologe und Soziologe, vor 30 Jahren die Initiative ergriff und aufzeigte, was hinter dem damals nach Anschlägen und Gewalttaten gebräuchlichen Reden von Fremden- und von Ausländerfeindlichkeit steckt: Rassismus. Er prägt das politische Geschehen in ganz Europa immer stärker und immer gefährlicher. Seit 1995 gibt es in Deutschland, jedes Jahr im März, von Micksch und seinen Verbänden gelenkt und geleitet, die „Tage gegen Rassismus“. Im vergangenen Jahr zählten dazu über 5000 Veranstaltungen mit mehr als 300 000 Teilnehmern. Es ist dies ein Beispiel dafür, was ein Einzelner vermag.

In diesem Jahr begannen die Tage gegen Rassismus sehr früh und sehr wahlkampfgesteuert: Als der Bundeskanzler auf einer Unternehmerparty den Berliner Kultursenator Joe Chialo als „Hofnarr“ der CDU beleidigte, begann eine erregte Debatte darüber, ob Scholz ein Rassist sei. Warum? Chialo ist gebürtiger Deutscher mit tansanischen Wurzeln und dunkler Hautfarbe. Scholz' Äußerung war dumm und beleidigend. Ihn deswegen als „Rassist“ zu bezeichnen, wäre aber eine Verharmlosung des Rassismus. Vielleicht können die bevorstehenden Tage gegen Rassismus helfen, die Maßstäbe zurechtzurücken.

Die „Stiftung gegen Rassismus“ hat zum 30. Jahrestag unter dem Motto „100% Menschenwürde“ eine Broschüre herausgegeben, die vom Wesen und Werden der Tage gegen Rassismus in Deutschland handelt. Sie ist zu beziehen von der Homepage der Stiftung gegen Rassismus in Darmstadt und kann dort auch in gedruckter Form bestellt werden.
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Wer ist wie Gott?
Die Tyrannen des 20. Jahrhunderts haben versucht, die Menschen ihrem Allmachtsdrang zu unterwerfen. Man muss die Befürchtung haben, dass US-Präsident Donald Trump dabei ist, ihnen nachzueifern. Er strebt nach unbegrenzter Macht, nach unbegrenzter Unterwerfung alles anderen unter sein Ich – und er sieht sein Ich als Mittelpunkt der Welt, um den sich alles dreht. Weil ihn sehr viele evangelikale Christen in den USA gewählt haben, darf man feststellen: Das eigentlich ist es, was die Bibel mit Sünde meint – der Drang nach Unbegrenztheit.

Der Kollege Hilmar Klute hat sich in der SZ-Wochenendausgabe in dem Text „Der Autokrat und seine Jünger“ der „Monstrosität“ der „Machthaberei“ von Trump gewidmet, der nie ein Hehl daraus gemacht habe, „dass ein Großteil der Energie, die er auf seine zweite Amtszeit zu verwenden gedenkt, für die Verfolgung seiner Feinde vorgesehen ist“. Klute warnt in seinem klugen Essay deutsche Politiker wie Friedrich Merz und Markus Söder davor, in Trump ein „heimliches Role Model“ zu sehen: „Die Verführung, niedrige Instinkte im hohen politischen Geschäft zur Entfaltung zu bringen, ist gewaltig.“
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