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Kurzstrecke |
Tagesspiegel Checkpoint vom Mittwoch, 30.03.2022 | Überwiegend dichte Bewölkung bei max. 9°C. | ||
+ Ukrainische Analystin: Debatte um Botschafter „ein Witz“ + FDP forciert Autobahn in Berlin + SPD Treptow-Köpenick und Mitte forcieren Parteiausschluss von Gerhard Schröder + |
von Robert Ide |
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Guten Morgen, ist dies ein Morgen der Hoffnung nach mehr als einem Monat des Mordens, angeordnet in Moskau, ausgeführt in Mariupol und vielen anderen ukrainischen Städten und Dörfern? Bei den Friedensverhandlungen zwischen dem angreifenden Russland und der angegriffenen Ukraine gibt es zumindest verlautbarte Fortschritte sowie angebliche Versprechen des Kreml, von denen sich erst zeigen muss, ob sie diesmal etwas wert sind. Zunächst zu den Neuigkeiten aus dem Kriegsgebiet: - In den Friedensgesprächen in Istanbul behauptet Moskau, substanzielle Teile der Truppen rund um die ukrainische Hauptstadt Kiew zurückziehen zu wollen. Im US-Verteidigungsministerium geht man davon aus, dass dies ein taktisches Manöver sei, um ermüdete Teile der Armee auszutauschen und eine mögliche neue Militäroffensive in anderen Landesteilen zu starten. - In der belagerten Hafenstadt Mariupol sind durch die russischen Bombardierungen wohl Tausende Zivilisten ums Leben gekommen. „Wir glauben tatsächlich, dass es in Mariupol Tausende von zivilen Opfern geben könnte", sagt Matilda Bogner von den Vereinten Nationen. Das Bürgermeisteramt der südukrainischen Stadt geht von fast 5000 Toten aus, darunter 210 Kinder. - Unterdessen warnen die USA ihre Bürgerinnen und Bürger vor willkürlichen Festnahmen in Russland – mit einer ungewöhnlich harten Reisewarnung. Das US-Außenministerium erklärte darin am späten Dienstagabend (Ortszeit), „alle US-Bürger, die in Russland wohnen oder reisen, sollten das Land umgehend verlassen“. - Inmitten des Krieges auf der Erde hat ein russischer Kosmonaut das Kommando über die Internationale Raumstation ISS an einen US-Kollegen übergeben. Auch wenn die Menschen auf der Erde „Probleme“ hätten, bleibe die ISS ein „Symbol der Kooperation“, sagte Anton Schkaplerow bei einer Zeremonie, die die US-Raumfahrtbehörde Nasa übertrug. Nachfolger Thomas Marshburn sagte, es sei „Ehre und Privileg“ für ihn, neuer Kommandant im Weltraum zu werden. Danach gab es schwerelose Umarmungen. Fortlaufend informieren wie Sie hier in unserem Tagesspiegel-Liveblog. Über alle wichtigen, oft weiterhin erschütternden Ereignisse – und auch über das, was vielleicht Hoffnung gibt. | |||
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Wenn Sie selbst Hoffnung durch Spenden geben wollen, helfen Sie unserer Tagesspiegel-Aktion „Menschen helfen!“ für die Opfer des Krieges in der Ukraine, in betroffenen Nachbarländern und in Deutschland. Zusammen mit unserem Partner „Bündnis Entwicklung Hilft“ wird auch Geld für akute Nothilfen an Träger in Berlin und Brandenburg vergeben. Bitte spenden Sie an: Spendenaktion Der Tagesspiegel e.V. Verwendungszweck: „Menschen helfen!/Ukraine“ Berliner Sparkasse BIC: BELADEBE IBAN: DE43 10050000 0250030942 Danke! | |||
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Auf immer neue Proben gestellt werden die Beziehungen zwischen der Ukraine und Deutschland aufgrund der jahrelang russlandfreundlichen Politik der Bundesregierungen, von der sich manche Entscheidungsträger noch immer nicht abwenden können. So verbringt selbst in diesen Tagen das politische Berlin viel Zeit damit, diplomatische Haltungsnoten an den ukrainischen Botschafter Andrij Melnyk zu verteilen, etwa weil er „keinen Bock“ auf ein russisch-ukrainisches Friedenskonzert im Schloss Bellevue hatte, während auf die Städte seiner Heimat russische Bomben fallen. Selbstkritik oder Selbstreflexion etwa von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) zu seiner Rolle als Chef des Bundeskanzleramts unter Kanzler Gerhard Schröder und späterer Außenminister unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sowie Protegé der umstrittenen Nord-Stream-Gaspipelines sind dagegen bisher nicht vernehmbar. Wann werden dafür Haltungsnoten fällig? Vielleicht ist derzeit sowieso die Frage angebrachter, wie eigentlich Ukrainerinnen und Ukrainer über die deutsche Politik denken. Dazu haben wir mit Nataliya Novakova am Checkpoint-Telefon gesprochen. Die 38-Jährige aus Lugansk lebt seit drei Jahren in Berlin und ist Analystin für die ehemaligen Sowjetstaaten bei der Open Society Foundation. Hier vier kurze Fragen an sie: Frau Novakova, es gibt aus Moskau erste Andeutungen für eine mögliche Waffenruhe. Würde die Ukraine überhaupt einen langen Krieg schaffen? Teile meiner Familie sind noch in Lugansk, viele Freunde harren in der Ukraine aus. Die Verhandlungen sind für sie und uns alle schwierig, denn jeder Staat muss seine territoriale Integrität schützen. Niemand in Osteuropa vertraut Russland. Ohne Mitgliedschaft in der Nato braucht die Ukraine andere Sicherheitsgarantien. Natürlich kann man über den langfristigen Status der Krim diskutieren. Aber darüber, dass Mariupol russisch wird? Wie soll das gehen nach dem Morden dort? Die Ukraine ist motiviert, sich selbst zu retten und keine Besatzung zu akzeptieren. Russland muss einen Ausgang aus dem eigenen Krieg finden. Die Bunderegierung hat lange gezögert bei der Hilfe für die Ukraine – bei Waffenexporten, den Sanktionen, auch mit der Reaktion auf die Rede von Präsident Wolodymyr Selenskyj im Bundestag. Wie erklären Sie sich das? Ich denke, es hat mit dem Zweiten Weltkrieg zu tun. Damals waren die Russen die Befreier. Was aber vergessen wird: Die Ukrainer gehörten genauso dazu. Nach dem Zerfall der Sowjetunion haben sich die deutsche Politik und Gesellschaft auf Russland konzentriert – und wenig Interesse gezeigt an den neuen souveränen Staaten: Belarus, Georgien, der Ukraine. Deutschland muss endlich aufmerksam für seine Nachbarn sein. Und sich fragen, was wichtiger ist: Wirtschaft oder unsere Werte? Die Deutschen könnten diese Krise ja nutzen für eine schnellere Energiewende: Ohne russisches Gas fördert man umweltschonende Techniken und ist nicht mehr so abhängig von Diktaturen. Russland ist keine Demokratie, kein sozialer Staat, es ist kapitalistisch, oligarchisch korrupt und kriegstreibend. Daher verstehe ich die Moskau-Treue vieler Linker und auch von Sozialdemokraten nicht. In Deutschland bewerten viele den ukrainischen Botschafter Andrij Melnyk als undiplomatisch. Wie erleben Sie als Ukrainerin das? Diese Debatte ist ein Witz. Andrij Melnyk arbeitet genau so, wie es seine Rolle verlangt. Er ist ja nicht als Privatperson in Berlin, sondern als Vertreter eines angegriffenen Staates und nebenbei sicher auch als Organisator von Verteidigungswaffen. Wenn sich Andrij Melnyk in ein Friedenskonzert mit russischen Musikern setzen würde, während unsere Städte von Russland bombardiert werden, würde das kein Ukrainer in der Heimat verstehen. Es ist ja schön für die deutsche Befindlichkeit, dass Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mit Kultur vermitteln will. So etwas kann man nach dem Krieg machen. Jetzt ist die Zeit, um den Angegriffenen zu helfen und Osteuropa zu besuchen. Die Deutschen sollten weniger mit russischen Augen auf die Ukraine sehen, sondern sich selbst ein Bild machen. Gibt es etwas, das Ihnen Hoffnung macht in den Beziehungen zwischen der Ukraine und Deutschland? Ich erlebe in Berlin eine große Hilfsbereitschaft für die Geflüchteten, viele lassen Menschen in Not in ihre Wohnungen einziehen. Die Politik sollte das auch tun: die Ukraine durch das Helfen besser verstehen. Wir wollen schon seit Jahren ein Teil von Europa sein. Jetzt erkennen viele in Deutschland, dass wir es im Herzen längst sind. Leider hat es dafür erst diesen schlimmen Krieg gebraucht. | |||
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Mit Gefühl zeigen viele Berlinerinnen und Berliner aktives Mitgefühl. Eine von ihnen ist Julia Endres. Die 34-Jährige hat seit 2015 in Flüchtlingsunterkünften gearbeitet und zuletzt für die Caritas ein Jugendzentrum in Lichtenberg geleitet. Nun hat sie über Nacht die Verantwortung für eine Notunterkunft für Ukrainerinnen und Ukrainer in Prenzlauer Berg übernommen. In einem ehemaligen Altenheim in der Pappelallee betreut sie nun bis zu 180 in Berlin Angekommene und versucht nebenbei, die Infrastruktur für ein eilig einzurichtendes Heim aufzubauen. „Für die Geflüchteten ist jetzt die Registrierung wichtig, so sind sie auch krankenversichert“, erzählt Endres am Checkpoint-Telefon. Im Kiez gebe es viel Unterstützung, etwa Kinderbetreuung zur Entlastung der Mütter oder Sachspenden. „Aber bei den Geflüchteten gibt es auch viel Selbständigkeit. Bis eine Reinigungsfirma gefunden war, haben sie das Haus geputzt und viele andere Aufgaben übernommen.“ Ein großes Problem für die Kriegsopfer sei weiterhin die Verfügbarkeit von Bargeld. Ukrainisches Geld ließe sich in Berlin nach wie vor kaum wechseln. „Manche Frauen sind zurück nach Polen gefahren, um Zloty zu tauschen, damit sie damit in Berlin an Euro kommen.“ Nun immerhin will die Sparkasse schnell Konten für Menschen aus der Ukraine in Berlin einrichten. Aber allein dieses Detail zeigt: Die Stadt braucht auf allen Ebenen noch viel Mitgefühl – und für die Hilfe einen langen Atem. | |||
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Den Atem verschlägt es nicht nur der SPD angesichts ihres Altkanzlers Gerhard Schröder, der selbst im Angesicht von Russlands Krieg offenbar lieber als vom Kreml bezahlter Wirtschaftslobbyist in die Geschichte eingehen will denn als geachteter Altkanzler. Bisher hat sich Schröder noch nicht zur Aufforderung der Parteispitze geäußert, seine Mandate oder aber sein Parteibuch zurückzugeben. Deshalb rumort es nicht nur in Berlins SPD, auch wenn Parteichefin und Regiermeisterin Franziska Giffey findet, es gebe „gerade ganz andere Probleme“. Zwei Berliner Kreisverbände der Partei wollen das nicht auf sich beruhen lassen. „Das Verhalten von Gerhard Schröder ist parteischädigend und deshalb fordern wir ein Ausschlussverfahren“, sagt Christopher Jäschke, Vorsitzender der SPD Treptow-Köpenick, auf Checkpoint-Anfrage. Der Kreisverband habe das gerade offiziell beschlossen und darüber nun die Berliner Parteispitze informiert. „Natürlich ist das unangenehm für die Parteiführung und es wird versucht, Schröder als Witzfigur abzutun. Aber dafür ist der Vorgang zu ernst“, findet Jäschke. „Wir müssen den Altkanzler ausschließen, wenn er weiter russischen Staatskonzernen dient, die einen Angriffskrieg finanzieren.“ Ganz ähnlich argumentiert die SPD Mitte, die der Parteiführung zudem Zögerlichkeit vorwirft. „Die Parteispitze hat zu spät die Konfrontation mit Gerhard Schröder gesucht, obwohl er längst eine klare Linie überschritten hat“, sagt Kreischef Yannick Haan auf Nachfrage. Deshalb habe die SPD aus Mitte sogar angeregt, Schröder die Zuschüsse für sein Büro als Altkanzler zu streichen, sei aber im Berliner Landesvorstand gescheitert. Gleichwohl werden nun vorliegende Ausschlussanträge, etwa von der SPD Heidelberg, auch aus Berlins Mitte heraus unterstützt; behandelt und entschieden wird das Verfahren in Schröders Heimatverband Hannover. „Natürlich ist ein Parteiausschluss ein schwerer Prozess“, weiß Haan – und drückt eine Hoffnung aus, die wohl viele in der SPD haben: „Hoffentlich dauert es nicht so lange wie bei Thilo Sarrazin.“ | |||
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Bevor wir unten gleich für Tagesspiegel-Plus-Leserinnen zum Comic kommen (hier noch schnell Abonnent werden!), zitieren wir den Kommentar unserer Comic-Künstlerin Naomi Fearn zu den ersten 100 Amtstagen der Regierenden Bürgermeisterin: „Es ist bis jetzt so, dass Franziska Giffey sich ein bisschen auf die Fahnen geschrieben hat: Die Sachen, die sie sich vorgenommen hat, die werden auch gemacht. Und was der Rest der WG dazu sagt, ist so: comme ci, comme ça“. Die ganze Neu-Regierungs-Rathaus-Doku des RBB mit Checkpoint-Beteiligung gibt’s hier zu sehen. Und jeden Tag aufs Neue in Berlin zu bestaunen. | |||
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