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Kurzstrecke |
Tagesspiegel Checkpoint vom Montag, 13.01.2020 | Meist bewölkt bei bis zu 6°C. | ||
+ Genossen kritisieren Müller für Giffey-Statement + Neustart bei Berlins Klimaaktivisten + 2019 wieder mehr Angriffe auf Polizeibeamte + |
von Julius Betschka |
Es wirkte nach außen fast ungewöhnlich ruhig in der Berliner SPD. Die Vorwürfe gegen den Mann von Familienministerin Franziska Giffey sind schon einige Tage alt, kaum jemand wollte sich dazu äußern. Seine Entlassung aus dem Beamtenverhältnis sei eine Privatangelegenheit, hieß es. Es schien, als stehe die Berliner SPD in dieser – ja doch politischen – Privatsache hinter ihrer Hoffnungsträgerin. Reihen geschlossen? Nicht ganz. Einer tanzt ein wenig aus der Reihe: Michael Müller, Regierender Bürgermeister, Sozi-Landesvorsitzender. Er ließ sich, von der BZ zu Giffey befragt, zu folgendem Satz verleiten: „Die Sache hilft ihr nicht.“ Von vielen in der Partei wurden diese fünf knappen Worte als Angriff auf Giffey empfunden. Immerhin ist sie, tritt sie an, wohl Müllers ärgste Konkurrentin um die Bürgermeisterkandidatur. Auf dem Neujahrsempfang der SPD-Fraktion am Samstagabend (Journalisten mussten draußen bleiben) war Müllers Satz deshalb DAS Thema, heißt es. „Das ist illoyal”, sagte eine einflussreiche Berliner SPD-Frau dem Checkpoint. Ein Mitglied der Fraktion fragte: „Wie kann man das als Landesvorsitzender öffentlich sagen?” Auch in der Parteilinken, wo man die pragmatische Giffey skeptisch sieht, erntete der Regierende Unverständnis: „Sowas tut man einfach nicht”, hieß es dort. In der SPD tanzt Michael Müller mit seinem Statement – zumindest öffentlich – einen einsamen Tanz. Befindet sich überparteilich aber in illustrer Gesellschaft. Außer ihm äußerte sich bislang eigentlich nur einer so richtig zu Giffey: AfD-Chef Georg Pazderski. Übrigens: Unter Berliner Sozis kursiert das Gerücht, die Presse-Info über die Entlassung von Giffeys Mann sei aus der Partei selbst gekommen. Einflussreiche SPD-Männer wollten verhindern, dass sie im Landesverband weiter Fuß fasst. Giffey gilt einigen Herren noch immer als Quereinsteigerin ohne den notwendigen „Stallgeruch”. Kurzer Checkpoint-Kommentar: Freund, Feind, Parteifreund – Genosse. Gesundheit – kann man da nur wünschen. Dass selbst die in Gefahr sein kann, wenn man sich in der Berliner SPD engagiert, lesen Sie weiter unten im Encore. | |||||
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Apropos Quereinsteiger: In der Politik haben Sie’s oft schwer. Berlins Bildungssystem dagegen wäre längst kollabiert ohne Menschen, die erst spät in den Lehrerberuf einsteigen. Besonders in Schulen in sozialen Brennpunkten arbeiten viele nicht ausgebildete Lehrerinnen und Lehrer. Nur: Bräuchte es nicht gerade dort, wo es richtig brennt die erfahrensten Feuerwehrleute? Eine Anfrage des SPD-Abgeordneten Joschka Langenbrinck, die dem Tagesspiegel exklusiv vorliegt, zeigt: In sieben sogenannten Brennpunktschulen liegt der Quereinsteiger-Anteil erstmals bei mehr als 30 Prozent. Tendenz: stark steigend. Im vergangenen Schuljahr gab es noch 27 Schulen, an denen mehr als 20 Prozent Quereinsteiger unterrichten – nun sind es schon 45. Von 170 auf 200 stieg die Zahl der Schulen, die eine Quote von mehr als zehn Prozent aufweisen. Meine Kollegin Susanne Vieth-Entus hat das ganze Drama um die Lehreinsteiger für Sie aufgeschrieben. Bildungsexperte Langenbrinck schlussfolgert: Man müsse den Einsatz des ungelernten Lehrpersonals an Schulen „noch stärker steuern“. Bloß: Um kräftig gegenzusteuern, bräuchte es jetzt noch eine spitzenmäßige Steuerfrau. Die bisherige räumt vor allem in Peinlichkeitslisten ab. | |||||
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Bis in den frühen Morgen feierten sie am Wochenende: die Grünen. 40 Jahre Partei-Existenz (und 30 Jahre Bündnis 90 im Osten). Das war selbst der CDU – eine, ähm, besonders delikate – Gratulation wert: eine Pizza Vegetaria alla Candela. Während viele Grüne mit einem Mix aus Wehmut und Stolz auf ihre Zeit in der Partei zurückblicken, üben wir vom Checkpoint uns in weiser Voraussicht. Wie stellen sich Berlins grüne Spitzenkräfte ihre Partei und die Stadt in noch einmal 40 Jahren vor? Eine Checkpoint-Umfrage: Ramona Pop (Wirtschaftssenatorin): „Ihren 80. Geburtstag feiern die Berliner Bündnisgrünen mit einem erfrischenden Bad im Flussbad an der Spree, deren Wasser dann wieder unbelastet ist. In der 5-Millionen-Metropole werden CO2-Emmissionen der Vergangenheit angehören. Die Sonne liefert Energie auf Dächern und Fassaden. Zu unserem Fest kommen alle im gut ausgebauten, emissionsfreien und kostenlosen Nahverkehr, der Lieferverkehr ist automatisiert. An Silvester gibt es ein knallbuntes LED-Feuerwerk und wir weihen die erste Ströbele-Grundschule ein.“ Silke Gebel (Fraktionsvorsitzende): „Als agile Rentnerinnen werden Frau Pop, Frau Kapek und ich immer noch bei den Baumpflanzaktionen der Partei mit unserem Elektrolastenrad dabei sein. Die Partei hat erneut einen Vorstoß gemacht, Berlin und Brandenburg zu fusionieren. Die Parteizentrale ist auf das Gelände eines ehemaligen Kohlekraftwerkes umgezogen, wo ein ökosozialer Kiez entstanden ist.” Monika Herrmann (Bürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg): „Ich bin nicht sonderlich optimistisch, was die nächsten 40 Jahre betrifft. Die starke Rechtsradikalisierung und die Klimakatastrophe bereiten mir große Sorgen. Ich bin in 40 Jahren 95 – seltsame Vorstellung. Wir Grünen werden zukünftig in Europa und Deutschland ein stärkeres politisches Gewicht haben. Unsere Themen werden auch in den nächsten Jahrzehnten der Erhalt der Demokratie, der Bürger*innenrechte und immer wieder die Umwelt sein. Und natürlich wird alles ganz anders sein als jetzt.“ Werner Graf (Landesvorsitzender): „Die Berliner Grünen haben Berlin radikal umgebaut. Die Straßen sind zum Tanzen da, Berlin versorgt sich autonom mit Erneuerbarer Energie und anstelle von Beton blüht die Stadt grün auf. Um die großen Fragen auch international zu lösen, haben sich Grüne in allen Metropolen zusammengeschlossen. So wurden die Klimakatastrophe verhindert, Geflüchtete solidarisch aufgenommen und ein sozial gerechtes Wirtschaftssystem geschaffen.” Gratuliere – auch zu so viel Selbstbewusstsein! | |||||
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Manche Nachrichten lassen einen ratlos zurück: Wieder wurden mehr Polizistinnen und Polizisten in Berlin Opfer von Gewalt. Polizeipräsidentin Barbara Slowik stellte die Zahlen am Sonntag vor: Fast 7000 Beamte wurden 2019 angegriffen. Das sind jeden Tag – genau: jeden Tag – 19 Einsatzkräfte. 19 Menschen. Beleidigungen und Bedrohungen sind nicht einmal mit eingerechnet. „Unfassbar”, findet das Slowik. Besser trifft das Statement des Sprechers der Berliner Polizei-Gewerkschaft, Benjamin Jendro: „Die fast 20 täglichen Attacken auf Polizisten in der Hauptstadt sind nicht nur Angriffe auf unser demokratisches Zusammenleben, sondern in erster Linie Angriffe auf Menschen.” Wie die „Morgenpost” in ihrer Montagsausgabe berichtet, werden auch Feuerwehrleute stark attackiert: 200 Angriffe gab es im vergangenen Jahr, besonders die Schwere der Attacken habe deutlich zugenommen. Es scheint, dass einigen (besonders: jungen Männern) die Grundregeln des Zusammenlebens komplett abgehen, ob es nun die Linksextremisten in der Rigaer, die Raser am Ku’damm, die Clan-Kids in Neukölln oder die Böllerwerfer aus Schöneberg sind. Immerhin: Polizeipräsidentin Slowik erklärte, mehr tun zu wollen, um die psychischen Belastungen für Beamte abzufangen. Marcel Luthe, Innenexperte der FDP, sagte dem Checkpoint: „Es ist die Aufgabe des Senats, für die Sicherheit derer zu sorgen, die für unsere Sicherheit sorgen – die Zahlen zeigen, dass das nicht gelingt.” | |||||
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Kommen wir von der Gegenwartskritik zur Vergangenheitsbewältigung: Die Liebknecht-Luxemburg-Demo ist das jährliche Historienspektakel für die politische Linke. Der Anlass ist ernst, die Anmutung der Demo zum 101. Todestag der beiden Kommunistenführer eher museal. Am Sonntag gedachten Hunderte der beiden. Oder Tausende? Oder sogar Zehntausende? Ja, wie viele waren es nun? Schauen wir mal, was die Kollegen schreiben: Die Berliner Zeitung errechnet „Zehntausende”, die der Kommunisten gedachten, und befindet: „Die Leute sind diesmal wirklich gut gelaunt.” Gut zu wissen. Der rbb zählt rund 3000 Menschen in der Demo. Die taz, nicht dafür bekannt, linke Demos kleinzurechnen, schreibt von 4000 Menschen, die vorbei an den Stalinbauten der Frankfurter Allee gen Zentralfriedhof Friedrichsfelde ziehen. Statt bester Stimmung attestiert die Zeitung der Demo ein besonderes Zeitgefühl: „Pünktlich wie sonst nirgends in der Linken“, habe sich der Zug in Bewegung gesetzt. Chapeau! Noch früher dran war nur die Deutsche Presseagentur: Die war schon morgens auf dem Friedhof und berichtete von 600 Menschen, die am Grab von Luxemburg und Liebknecht rote Nelken ablegten. Die fehlende Masse wurde am Morgen durch Prominenz wettgemacht: die Bundesspitze der Linkspartei war genauso gekommen wie Berlins linker Kultursenator Klaus Lederer. Im Demozug selbst fand bekannte Gesichter eher, wer sich in der Vergangenheit mit Gewalt und Antisemitismus in der Berliner Linken beschäftigt hatte. Mittendrin lief ein schwarzgekleideter Block durchtrainierter linker Hooligans, mit dabei: Mitglieder des – mittlerweile angeblich aufgelösten – Jugendwiderstandes. Jene maoistische Schlägercrew aus Neukölln, die mit Attacken auf andere Linke und einem gerüttelt Maß Antisemitismus auffiel. Zu stören schien das kaum jemanden. Ein jeder Genosse zählt, solange sich noch jemand findet, der von „Zehntausenden” schreibt. Klassenkampf ist auch: Massenkampf. | |||||
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