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Liebe/r Leser/in,

sind Sie gut ins neue Jahr gekommen? Für die allermeisten gilt wohl: besser als viele Polizisten und Rettungssanitäter in Berlin und Hamburg, aber auch in Hagen, Bochum oder Essen. Womit wir beim ersten großen Thema des neuen Jahres wären: den Gewaltexzessen, zu denen Horden zumeist junger Männer die Silvesternacht missbraucht haben. Die Empörung darüber schlug hohe Wellen. Die Forderungen reichten vom bundesweiten Böllerverbot über die Ausrüstung der Feuerwehr- und Rettungskräfte mit Bodycams bis zur Verbesserung der Integrationsanstrengungen. Offensichtlich hat ein nicht geringer Teil der Chaoten und Gewalttäter einen Migrationshintergrund. Nebenbei bemerkt: Ich darf das noch sagen, der Berliner Polizei will ein neuer Sprech-Knigge verschiedene Begriffe rund um die Migration (z. B. das Wort „Asylbewerber“) untersagen. Ich glaube allerdings nicht, dass Probleme dadurch verschwinden, dass man sie nicht mehr benennt.

Meine Befürchtung ist, dass das Gerede der vergangenen Tage, das durch den beginnenden Wahlkampf in Berlin zusätzlich befeuert wurde, folgenlos bleibt. Diese Sorge ist schon deshalb begründet, weil gerade Berlin sich mit dem Phänomen der Gewaltexplosion in Silvesternächten seit 2017 herumschlägt, die sich auch gegen Polizei, Feuerwehr und Sanitäter – also gegen unseren Staat – richtete. Damals wurden die Gesetze verschärft, der Strafrahmen auf fünf Jahre erhöht.

Mich würde interessieren, ob dieser Strafrahmen jemals ausgeschöpft worden ist. Die 145 von der Berliner Polizei während der diesjährigen Silvesterrandale Festgenommenen befanden sich kurz danach bereits wieder auf freiem Fuß. Juristisch mag das seine Richtigkeit haben, aber ich kann jeden Feuerwehrmann und jeden Rettungssanitäter verstehen, der sich fragt, ob er sich diesen Job weiter antun soll. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) meint, dass zusätzliche Verbote und schärfere Gesetze wenig bringen.

Das ist schon deshalb richtig, weil vieles schon jetzt verboten ist. So darf man in Berlin nur von Silvester 18.00 Uhr bis Neujahr 6.00 Uhr böllern, Verstöße können mit bis zu 50.000 Euro geahndet werden. Nicht nur Chaoten und Gewalttäter lachen darüber sowie über die Ankündigung der Polizei, man werde auf die strikte Einhaltung dieser Böllerbegrenzung achten. Man werde zudem „Brennpunkte“ wie Neukölln im Blick haben. Gebrannt hat es dort trotzdem.

Und was ist mit dem deutschlandweiten Verbot, Pyrotechnik in der Nähe von Kirchen, Krankenhäusern, Kinder- und Altenheimen abzubrennen? Ob das in Berlin, Hamburg und anderen Groß­städten eingehalten wurde? Wir wissen es schon deshalb nicht, weil es nicht durchgesetzt wird. Doch Verbote, deren Einhaltung nicht kontrolliert wird, bringen nichts. Und so richtig es ist, den Migrationshintergrund der Krawalle zu erhellen, so illusionär ist die Forderung, die Inte­grationsarbeit zu verstärken. Wer soll das machen? Wir haben jetzt schon zu wenig Lehrer, Polizisten, städtische Mitarbeiter, ehrenamtliche Helfer.

Es offenbart sich ein deutsches Paradox: Der Staat, der in der Corona- und der Energiekrise übermächtig auftrat, erweist sich häufig als überfordert. So beschließt die Politik eine Erhöhung und Ausweitung des Wohngeldes, doch es fehlen die Mit­arbeiter, damit es rechtzeitig umgesetzt werden kann. Ähnlich das Bild bei der Gaspreisbremse, die seit Sonntag gilt, aber die Bürger erst rückwirkend nach drei Monaten entlastet.

Derselbe Staat, der Bürger und Wirtschaft mit einer rekordverdächtigen Bürokratie belastet, sieht sich nicht in der Lage, die Grenzen gegen illegale Einwanderung zu schützen oder die Schulen mit ausreichend vielen Lehrern zu versorgen. Und es war die Politik verschiedener Regierungen, die über viele Jahre durch eine illusionistische Energiepolitik die Gasmangellage und das Strompreisroulette geschaffen hat, die sie jetzt mit Hilfspaketen bekämpft. Wenige Monate nach der „Zeitenwende“ durch Ukraine-Krieg und 100-Milliarden-Euro-Wumms für die Bundeswehr fehlt es den Streitkräften weiter an Munition – vom Ausfall der modernen Puma-Panzer ganz zu schweigen. Die Überforderung des Gesundheitssystems angesichts der Pandemie, das Digitalisierungsdesaster sowie die Defizite bei der Bahn und im Straßennetz kommen hinzu.

Die Diagnose: Die einst weltberühmte Infrastruktur Deutschlands reicht vorne und hinten nicht mehr aus. Das ist wie mit einer zu kurzen Bettdecke: Es macht keinen Sinn, an ihr zu zerren, denn man braucht eine größere Decke. Dafür sollte der Staat das Geld der Steuerzahler ausgeben und weniger für milliardenteure Klimaschutzverträge, die Wirtschaftsminister Robert Habeck jetzt mit Großunternehmen abschließen will, damit sie auf klimafreundliche Produktion umstellen. Wenn die Technologien dafür vorhanden sind und diese sich rechnen, werden die Unternehmen das auch ohne Subventionen machen.

Während ich diese Zeilen schreibe, erreicht mich die Meldung, dass die von den Grünen durchgesetzte Antidiskrimi­nierungsbeauftragte, Ferda Ataman, Menschen nicht nur wegen ihres Alters, Krankheit, Behinderung, Herkunft, Geschlecht, Religion, Weltanschauung oder ihrer sexuellen Orientierung vor Benachteiligung schützen will, sondern künftig auch vor Diskriminierung wegen ihres sozialen Status, also wegen Armut. Denn, so Ataman, viele Bürger bekämen keine Wohnung, wenn sie Hartz-IV-Bezieher seien. Und Eltern mit jüngeren Kindern würden am Arbeitsmarkt diskriminiert, weil sie nicht immer flexibel seien.

Das alles ist beklagenswert, doch glaube ich nicht, dass der Staat Hartz-IV-Empfängern per Gesetz zu Wohnraum verhelfen kann, auch wenn das jetzt Bürgergeld-Bezieher sind. Denen würde es mehr helfen, wenn der Staat den Wohnungsbau in Schwung bringen würde. Die zuständige Ministerin Klara Geywitz, die auch das Wohngeld verantwortet, schafft leider die versprochenen 400.000 Wohnungen pro Jahr nicht – auch deshalb nicht, weil es überall an Fach­arbeitern und Handwerkern mangelt.

Herzlich Ihr

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Robert Schneider,
Chefredakteur FOCUS-Magazin

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