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Liebe/r Leser/in,

eine Freundin, Deutschtürkin, sehr erfolgreich, mit Hang zu Härte, sagte einmal: „Als Kanake brauchst du Eltern, die mindestens achtmal so gut sind wie deine. Und Freunde, die dich nicht fertigmachen, wenn du bei den Almännern mitspielen willst.“ In diesem Moment verstand ich, dass sie mehr weiß von den Geheimnissen des Aufstiegs als ich.

In ihrer Welt hieß das: Kanaken versus Almänner, Eltern versus System. In meiner kamen die Kinder aus biodeutschen, aber ­sozial getrennten Welten. Hier die Bürgerkinder aus Bonner Beamtenfamilien. Dort die Dorfkinder von Bauern und Handwerkern. Hochdeutsch versus Singsang, ansonsten: schlaue, einfältige, nette, fiese Kinder – alles dabei. Man saß vier Jahre zusammen im Schatten des Kirchturms – und bekam schließlich die Empfehlung für die ­weiterführende Schule. Alle Beamtenkinder durften aufs Gymnasium. Von den Dorfkindern tauchte exakt eines nach den Sommerferien in der Latein-Klasse auf.

Laut dem französischen Soziologen Pierre Bourdieu entscheidet weniger das Einkommen über den Status eines Menschen als eine komplexe Mixtur aus Beziehungen, Bildung, Sprache und Wissen um die Kodizes des Erfolgs. Der Glaube an die Möglichkeit des Aufstiegs war in Deutschland immer und gerade in harten Zeiten der Kitt, der soziale Brüche linderte. Das Mantra der Republik: Die Kinder werden es besser haben! Ludwig Erhard hatte Wohlstand für alle versprochen, und tatsächlich erlebten die Deutschen drei Jahrzehnte gemeinsamer Fahrstuhlfahrt nach oben.

50 Jahre später, längst panikte die Mittelschicht, und die Ersten sprachen von Hartz-Dynastien, da rief Angela Merkel die Bildungsrepublik aus und behauptete „Wohlstand für alle heißt: Bildung für alle“ – doch Pisa strafte sie Lügen. Und heute? Braucht eine arme Familie in Deutschland laut OECD sechs Generationen, um ein Durchschnittseinkommen zu erreichen. Glaubt weniger als die Hälfte an die soziale Durchlässigkeit. Hofft nicht einmal ein Drittel aus unteren Schichten auf den Aufstieg aus eigener Kraft. Und auch wenn die amerikanische, französische und britische Gesellschaft als noch hermetischer gelten – in einer Zeit, in der fast die Hälfte eines Jahrgangs Abitur macht, stimmt eben nicht mehr, dass Bildung der Garant für Aufstieg sei. Was aber ist es dann?

In unserer Titelgeschichte kommen nun Menschen zu Wort, die nicht mit Privilegien geboren wurden und dennoch Macht, Status und Geld errungen haben. Da ist der ­67-jährige Aloys Krieg, Sohn einer Bauern­familie, heute Professor der Mathematik. Da ist die 43-jährige Serap Güler, Kind eines türkischen Bergmanns, heute CDU-Abgeordnete im Bundestag. Da ist schließlich Tijen Onaran, 38, Unternehmerin und Autorin, die klar formuliert, was es braucht für den Weg nach oben: Anstrengung, Mut, Klarheit, mehr Geschwindigkeit als Perfek­tion und … lesen Sie selbst! Egal was Sie erreicht haben oder wohin Sie noch wollen: Nur wer die Muster kennt, kann sie ­wahlweise nutzen oder durchbrechen, um sich und anderen beim Aufstieg zu helfen.

Herzlich Ihre

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Franziska Reich,
Chefredakteurin FOCUS-Magazin

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