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Liebe/r Leser/in,

große Dinge haben nicht selten kleine Anfänge: Vor gut zwei Wochen kündigte
Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) angesichts der chaotischen Situation auf den deutschen Flughäfen an: „Die Bundesregierung plant, die Einreise von dringend benötigtem Personal aus dem Ausland für eine vorübergehende Tätigkeit in Deutschland zu ermöglichen.“ Eine Woche später ließ Innenministerin Nancy Faeser bereits wissen, auch Gastronomie und Hotellerie sollten davon profitieren. Und FDP-Fraktionschef Christian Dürr macht die Tür noch breiter: „Es geht um dringend benötigte Einwanderung auf allen Ebenen in den Arbeitsmarkt.“

Nun werkelt eine interministerielle Arbeitsgruppe, und im Herbst wollen Faeser und Heil ein neues Zuwanderungsgesetz vorlegen. Auch wenn die Sozialdemokratin Faeser von „guten Arbeitskräften“ spricht, die sie nach Deutschland holen möchte, so kann man doch sagen, dass wir aller Voraussicht nach noch in diesem Jahr die Wiederauferstehung des 1973 beendeten Gastarbeiter-Systems erleben werden; also die gezielte Anwerbung von Arbeitskräften im Ausland für einen befristeten Zeitraum. Und man kann es sich leicht vorstellen, dass schon bald andere Branchen als Luftfahrt, Hotellerie und Gastro Bedarf anmelden werden, z. B. die Bauwirtschaft, das Handwerk oder Dienstleister wie die Gebäudereiniger. Und auch Erzieher sind ja in Deutschland Mangelware.

In der Zeit zwischen dem ersten Anwerbeabkommen mit Italien 1955 bis zum Anwerbestopp 1973 kamen 14 Millionen Gastarbeiter aus neun Staaten – darunter Spanien, Griechenland, Türkei, aber auch aus Südkorea und Marokko – in die Bundesrepublik. Mehr als zehn Millionen kehrten übrigens in ihre Heimatländer zurück. Viele blieben und holten ihre Familien nach, veränderten so ganze Stadtviertel, unsere Esskultur, das Leben in Deutschland überhaupt. In der DDR kamen Vertragsarbeiter vor allem aus Vietnam, Kuba, Mosambik und Polen. Ich denke, es gibt nicht allzu viele Dinge, die unser Land mehr verändert haben als der Zuzug ausländischer Arbeitnehmer.

Wie Gäste wurden die Gastarbeiter in den 50er und 60er Jahren freilich nicht behandelt, eher wie Beschäftigte dritter Klasse. Die ihnen zugewiesenen Unterkünfte waren bescheiden und die Arbeitsbedingungen oft hart. Denn es ging zunächst um einfache Arbeiten in der Industrie oder solche, die mit viel Dreck zu tun hatten. Das wollen Faeser und Heil für die Gastarbeiter der Zukunft verhindern, indem sie den Unternehmen vorschreiben, dass die in der Türkei und in anderen Staaten Angeworbenen von den Unternehmen zu Tariflöhnen direkt beschäftigt werden. Leiharbeit soll ausgeschlossen sein, gute Unterkünfte sollen hingegen Pflicht werden. Das kann im Ergebnis dazu führen, dass kurzfristig aus dem Ausland geholte Arbeitskräfte z. B. am Gepäckband eines Flughafens zu besseren Konditionen schaffen als die langjährig dort Beschäftigten. Da droht Stress in den Betrieben.

Doch es bleiben auch andere Fragen offen. Will die Bundesregierung wie in der Vergangenheit bilaterale Abkommen mit den Staaten schließen, aus denen die Gastarbeiter kommen werden? Sollen die Arbeitnehmer aus Nicht-EU-Staaten eher für Monate oder für Jahre engagiert werden? Wie werden die Themen Kranken- und Rentenversicherung geregelt? Was bedeutet die in der EU geltende Arbeitnehmerfreizügigkeit für die künftigen Gastarbeiter? Geht eine massive Anwerbung im Nicht-EU-Ausland überhaupt ohne Zustimmung der EU? Und: Haben wir für die Angeworbenen genügend Wohnungen?

Man erkennt: So schnell wird es mit den Ersatzarbeitskräften nicht gehen. Die Urlauber sollten sich schon mal darauf einstellen, dass bei ihrer Rückreise noch viele Probleme ungelöst sein werden.

Klar hingegen ist: Die Gastarbeiter-Initiative von Faeser und Heil bedeutet auch das Eingeständnis, dass Migranten, die aus politischen, wirtschaftlichen oder Kriegsgründen zu uns kommen, unsere Arbeitsmarktprobleme nicht lösen werden. Aus Flüchtlingen werden eben viel zu selten Facharbeiter. Und deshalb finde ich es schwierig, wenn Ministerin Faeser parallel zur Anwerbung von Gastarbeitern die Bleibeperspektive für abgewiesene und damit ausreisepflichtige Asylbewerber verbessern will, wenn diese nur lange genug in Deutschland durchgehalten haben. Das wird sich im Nahen Osten und in Nordafrika schnell herumsprechen.

Noch weniger verständlich ist für mich, dass seit dem 1. Juli die Jobcenter keine Sanktionen mehr wegen Pflichtverletzungen wie die Weigerung, eine Arbeit aufzunehmen, verhängen dürfen. Das Moratorium gilt zunächst nur für ein Jahr. Ich frage mich: Ist es sinnvoll, Menschen vom Bosporus oder vom Balkan an unsere Gepäckanlagen in den Flughäfen zu schaffen, solange wir noch zwei Millionen Arbeitslose haben?

mit vielen Grüßen,

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Robert Schneider,
Chefredakteur FOCUS-Magazin

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