Unsere Daten können enorm viel wert sein - das haben die beeindruckenden Kursentwicklungen von Facebook, Google und Co. unfraglich bewiesen. Ohne das massenhafte Sammeln von Daten und deren kommerzieller Verwertung dürften die Geschäftsmodelle dieser Internetgiganten nur einen kleinen Bruchteil ihrer astronomischen Bewertungen rechtfertigen.
Wie es scheint, geben wir unsere kostbaren Daten (mehr oder weniger bewusst) sogar gerne im Tausch für diese sehr nützlichen „kostenfreien“ Dienste her. Oberflächlich betrachtet ist es ja für mich auch nur von Vorteil, wenn Facebook mir eine Veranstaltung vorschlägt, die mich interessieren dürfte, Amazon mir ein Produkt vorstellt, welches ich tatsächlich demnächst brauchen könnte und Google meinen Terminplan besser als ich kennt und mir rechtzeitig die optimale Fahrstrecke dorthin anzeigt.
Wie der aktuelle Skandal um Facebook und das Daten-Analyse-Unternehmen Cambridge Analytica zeigt, erweist sich diese Sichtweise wohl doch als etwas gutgläubig und naiv. Daten haben neben dem kommerziellen nämlich auch noch einen hohen politischen Wert und die unbewusste Preisgabe dieser Informationen könnte uns schon sehr bald teuer zu stehen kommen. Das in dieser Diskussion oft zu Felde geführte Totschlagargument lautet: „Wo ist denn der Schaden? Ich habe doch nichts zu verheimlichen.“ Nun, das mag vielleicht (noch) so sein, aber wie jeder andere auch, haben Sie eine Menge zu verlieren.
Wenn Google Ihre Suchergebnisse nach den vorherigen Suchen „personalisiert“ verlieren Sie ohne es zu bemerken ihre Informationsfreiheit. Wenn Amazon ihren Konsum lenkt, verlieren Sie unbewusst Ihre Entscheidungsfreiheit. Wenn Facebook Ihnen bestimmte Beiträge empfiehlt, während es andere gänzlich vorenthält, verlieren Sie Stück für Stück Ihre Meinungsfreiheit. Je mehr wir über uns preisgeben, desto besser können wir analysiert und manipuliert werden. Die derzeitige mediale Aufmerksamkeit rund um den Datenskandal ermöglicht uns dabei wahrscheinlich nur einen kurzen Blick auf die Spitze eines riesigen Eisberges, welcher unaufhaltsam den „Schiffsrumpf“ unserer Demokratien aufreißt.
Die Firma Cambridge Analytica hat mutmaßlich illegal die Daten von Millionen Facebook-Usern ausgewertet und der Trump-Kampagne mit Ihren Ergebnissen einen bedeutsamen Vorteil verschafft. Das Wahlkampf-Team konnte dank dieser Informationen nicht nur gezielt die Trump-, Clinton und Wechselwähler identifizieren und mit angepassten Anzeigen und Spots individualisiert beeinflussen. Sie konnten sogar den Erfolg einzelner Anzeigen nahezu in Echtzeit nachvollziehen und so Ihre Wählermanipulation immer weiter perfektionieren. Offenbar hat es sich also bei den im Wahlkampf teils recht wild und planlos wirkenden Twitter-Auslassungen Trumps um hochgradig analytischen Stimmfang im Anti-Establishment-Segment der Wählerschaft gehandelt.
Ein höchst beunruhigender aber offenbar gut recherchierter Artikel aus Mai 2017 von Carole Cadwalladr im Guardian weist auf ein ähnliches Vorgehen der Leave-Kampagne bei der Beeinflussung der Brexit-Wahl hin. Anscheinend hatten auch hier Cambridge Analytica und ein weit verzweigtes Netzwerk des amerikanischen Milliardärs Robert Mercer ihre Finger im Spiel. Mercer hatte das Unternehmen erst 2013 übernommen, welches laut Cadwalladr zuvor auf psychologische Kriegsführung spezialisiert war und seinen Ursprung in den „Tiefen des militärisch-industriellen-Komplexes“ hatte. Wir sprechen also bereits von zwei demokratischen Wahlen, deren weltverändernder Ausgang wahrscheinlich mit Hilfe von Analysetechniken militärischen Ursprungs und auf Basis von Facebook-Daten beeinflusst wurde. Wie ich bereits erwähnte, dürfte dies nur die Spitze des Eisberges sein: Palantir heißt beispielsweise die „Analyse-Krake“, welche die unvorstellbare Datensammelwut weltweiter Geheimdienste wie der NSA oder dem britischen GCHQ in verwertbare Ergebnisse überführt. Ob dies, wie behauptet, nur zum Schutz und Wohle der jeweiligen Bevölkerung oder auch zu deren Beeinflussung und Kontrolle geschehen könnte, überlasse ich Ihrem Vorstellungsvermögen. Theoretisch jedenfalls ist unsere Demokratie auch aus dieser Richtung hochgradig gefährdet.
Zu den wertvollsten Daten überhaupt gehören übrigens unsere finanziellen Aktivitäten und Verhältnisse. Nicht nur für Unternehmen, Hacker oder Diebe - auch eine Regierung kann weit mehr Nutzen daraus ziehen, als nur Steuersünder oder sonstige kriminelle Aktivitäten aufzudecken: Das Einfrieren von Konten oder auch nur die entsprechende Drohung kann ein sehr probates Mittel sein, um politischen Gegenwind im Keim zu ersticken. „Vielleicht in Russland oder Trinidad, aber das ist hier doch nicht möglich!“ werden Sie sich denken. Nun, wie schnell sich der politische Wind selbst in gestandenen westlichen Demokratien in die falsche Richtung drehen kann, haben wir ja an den obigen Beispielen bereits gesehen. Die rechtlich höchst fragwürdige Enteignung der Bankkunden in Zypern 2013 sollte auch uns Europäern als deutliche Warnung dienen.
Wirklich sicher sind in dieser Zeit der großen Informationsoligopole und verschwimmender Grenzen zwischen öffentlichen und privaten Sektoren nur die Daten, die Sie für sich behalten. Gleiches gilt auch für Ihr Vermögen. Wirklich sicher vor repressiven Regimen und Datenmissbrauch sind nur die Anlagen, von denen keiner etwas weiß. Bargeld und Edelmetalle sind die letzten verbliebenen anonymen Zufluchtsorte für die sonst immer gläserner werdenden Bürger.
Ihr Sönke Mißfeld |