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Liebe/r Leser/in,

fast ein Jahr dauert Putins Krieg gegen die Ukraine, und ein gutes Ende ist nicht abzusehen – nicht für die Ukraine und nicht für uns, für den Westen. Die Ukraine kämpft Tag für Tag um nicht weniger als ihre Existenz, die zu beenden der russische Präsident Wladimir Putin entschlossen scheint. Verändert hat sich aber auch bei uns in den vergangenen zwölf Monaten so einiges: Deutschland liefert zusammen mit seinen Verbündeten schwere Waffen bis hin zu Kampfpanzern, mit deren Hilfe der russische Angriff gestoppt und die Truppen Putins aus der Ukraine vertrieben werden sollen. Ob dies gelingt, ist ungewiss. Gewiss aber ist, dass die Waffen Menschen den Tod bringen.

Wir erkennen damit eine Realität an, der zufolge gegen einen zu allem entschlossenen Aggressor nicht nur, aber vor allem Waffengewalt hilft – entweder zur Abschreckung und damit zur Verhinderung eines Krieges oder im Krieg. Und wir akzeptieren damit unausgesprochen, dass es geboten sein kann, für eine gute Sache zu den Waffen zu greifen. Unsere Außenministerin von den Grünen, Annalena Baerbock, ließ sich in ihrer emotionalen Solidarität mit der Ukraine sogar zu den Worten hinreißen: „Wir kämpfen einen Krieg gegen Russland und nicht gegeneinander.“ Für den Satz erntete sie zwar heftigen Widerspruch, aber nur in dem Sinn, dass dadurch das westliche Dogma infrage gestellt werden könnte, man sei keine Kriegspartei. Ernsthaften Rücktrittsforderungen sah sich die Ministerin jedenfalls nicht ausgesetzt.

Nicht nur Annalena Baerbock, die deutsche Politik insgesamt – von AfD und Linke abgesehen – hat einen weiten Weg zurückgelegt. Aber hält unser gesellschaftliches Bewusstsein ebenfalls Schritt mit den starken Veränderungen? Dem Griechen Heraklit wird der Satz zugeschrieben, dass der Krieg der „Vater aller Dinge“ sei. Die einen, erläuterte der Philosoph vor mehr als 2500 Jahren seine These, „macht er zu Göttern, die anderen zu Menschen, die einen zu Sklaven, die anderen zu Freien“.

Vor allem Letzteres mutet hochaktuell an, und dennoch würde sich wahrscheinlich nicht einmal Marie-Agnes Strack-Zimmermann auf Heraklit berufen. Und bei allem Verständnis für die Bedeutung von Waffen für den Ausgang des Ringens mit Russland, in dem nicht weniger als unsere Weltordnung und unsere Lebensweise auf dem Spiel stehen, dürften die meisten Deutschen fremdeln bei dem Gedanken, Soldaten und ihre Waffen vor dem Einsatz zu segnen. In der Ukraine sehen das Geistliche, die mit den Kämpfern an vorderster Front stehen, sehr anders.

Worum es mir geht: In der Stimmung stehen wir hinter der Ukraine und deren Kampf. Aber Stimmungen tragen nicht weit. Es fehlt ein moralisches Fundament, von dem aus wir mit den neuen Realitäten umgehen und auf denen unsere radikal veränderte Politik beruht. So lange ist es schließlich nicht her, dass in diesem Land die Überzeugung vorherrschte, dass Krieg immer schlecht sei und Waffen folglich auch.

Von der Möglichkeit eines „gerechten Kriegs“ wollten die wenigsten etwas wissen. Gewachsen ist dieser pazifistische Common Sense über viele Jahre und in streitigen Diskussionen. Und: Er ist nicht verschwunden und löst atemberaubende Widersprüche aus. So verdanken die Grünen ihren politischen Aufstieg nicht zuletzt dem seinerzeit verbreiteten Widerstand gegen die vom damaligen SPD-Kanzler Helmut Schmidt betriebene atomare Nachrüstung mit Mittelstreckenraketen gegen die Vorrüstung der Sowjetunion. Die Grünen von heute müssten an der Seite Schmidts stehen.

Ein ganz anderes Beispiel: Einige Sparkassen und andere Institute haben sich in den vergangenen Jahren ethische Grundsätze gegeben, die Investitionen, beziehungsweise Kreditvergaben, für Rüstungsgeschäfte ausschlossen. Meine Frage: Können Kredite für Rüstungsgeschäfte moralisch schlecht sein, wenn gleichzeitig die westlichen Staaten dieser Industrie Waffen und Munition aus den Händen reißen und die Bürger in ihrer Mehrheit dazu applaudieren? Nichts zu tun haben wollen viele Bankinstitute auch mit Kernenergie oder fossilen Energieträgern wie Kohle, auf die aktuell nicht einmal SPD und Grüne verzichten mögen. Und auch in unseren Schulen und Kirchen ist nach meinem Eindruck der Epochenbruch des 24. Februar 2022 noch nicht angekommen.

Über all das müsste mehr gesprochen und heftig gestritten werden, gerne auch in Talkshows, vor allem aber im Bundestag und in den Parteien. Denn Entscheidungen wie die, dass die Lieferung von Kampfpanzern an die Ukraine gut ist, die von Kampfjets aber auf keinen Fall infrage kommt, sollte der Kanzler nicht mit sich ausmachen. Das gilt gerade in einem Land, das vor 90 Jahren einen Adolf Hitler an die Macht kommen ließ und damit die Mega-Katastrophe des Zweiten Weltkriegs verantwortet. Die Lehre daraus ist, wie der Fall Ukraine lehrt, eben nicht „Nie wieder Krieg“. Aber wie lautet sie dann?

Herzlich Ihr

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Robert Schneider,
Chefredakteur FOCUS-Magazin

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