Die dramatische Outperformance von Wachstums-Aktien hält unvermindert an. In Deutschland markierte der TecDAX in dieser Woche erneut ein Allzeit-Hoch. Value-Aktien hinken dagegen weit hinterher. Der Markt ist im Moment absolut verrückt nach Wachstum. Dem Wachstum wird gehuldigt. Die Aktien von Wachstumsunternehmen, die die Analystenschätzungen übertreffen, gehen komplett durch die Decke. Firmen, die dagegen operativ stagnieren oder sogar rückläufige Gewinne ausweisen, werden in den Boden gerammt. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Das ist bis zu einem gewissen Grad normal. Börsianer neigen dazu, aktuelle Entwicklungen quasi unbegrenzt in die Zukunft fortzuschreiben und da haben naturgemäß Wachstums-Aktien einen psychologischen Vorteil. Aber was im Moment passiert sind meiner Ansicht nach absolute Übertreibungen, die nicht mehr gesund sind und die sich eher früher oder später relativieren werden. Ich greife mal exemplarisch zwei solche Wachstumsunternehmen heraus: Sartorius Vorzüge und Wirecard. Schauen wir uns mal die prognostizierte Gewinnentwicklung und die fundamentale Bewertung bei den beiden an: Sartorius wird als Biotech-Zulieferer wahrgenommen und ist in der Vergangenheit stark gewachsen. Biotech gilt im Moment als "sexy" Branche. Die Anleger billigen den Aktien entsprechend sehr hohe Bewertungen zu. Aber ist das gerechtfertigt? Tatsächlich prognostizieren die Analysten für Sartorius weiteres Wachstum: Erwartet wird eine Umsatzsteigerung von 2017 bis 2019 von ca. 10 Prozent per anno. Die Gewinnsteigerung je Aktie soll von 2017 auf 2018 bei 8,6 Prozent liegen, von 2018 auf 2019 dann bei 15,3 Prozent. Das ist nicht schlecht, aber der Markt billigt der Aktie dafür ein 2018er-KGV von 53 zu! Das ist fast schon absurd hoch - und das obwohl die Gewinnschätzungen der Analysten für 2018 im letzten Jahr von 2,59 Euro je Aktie auf 2,28 Euro je Aktie zurückgekommen sind! Das heißt: Die Aussichten haben sich tendenziell verschlechtert. Trotzdem hat die Aktie im letzten Jahr um 37 Prozent zugelegt. Bemerkenswert! Sartorius AG (ISIN: DE0007165631) | | WKN / Kürzel | Börsenwert | KGV 17/18e/19e | Kurs | 716563 / SRT3 | 8,6 Mrd. EUR* | 58/53/46 | 122,70 EUR |
* bei Sartorius gibt es 37,44 Mio. Stamm-Aktien und 37,44 Mio. Vorzugs-Aktien. Die korrekte Marktkapitalisierung ergibt sich, wenn man die jeweiligen Kurse der Stamm-Aktien und Vorzugs-Aktien mit 37,44 Mio. multipliziert und die beiden Werte dann addiert. Viele Börsenseiten wie z.B. comdirect.de weisen die Marktkapitalisierung falsch aus, weil sie nur die jeweilige Gattung berücksichtigen. Die Stamm-Aktien haben die Kürzel SRT und notieren etwas tiefer, im Moment bei 111 Euro. Beispiel 2: Wirecard. Das Unternehmen wächst deutlich schneller als Sartorius. Der Umsatz soll von 2017 auf 2018 um 30 Prozent und von 2018 auf 2019 um knapp 25 Prozent steigen. Der Gewinn je Aktie soll von 2017 auf 2018 um 21 Prozent und von 2018 auf 2019 um 34 Prozent steigen. Schenkt man der Prognose der Analysten Glauben ist das durchaus beeindruckend. Wirecard ist also ein waschechtes Wachstumsunternehmen. Aber: Mit einem 2018er-KGV von über 45 ist die Aktie aber nochmal deutlich höher bewertet als es bei einem klassischen Vergleich von prozentualem Gewinnwachstum zu KGV gerechtfertigt wäre. Und vor allem: Die Prognose für den Gewinn pro Aktie in 2018 ist im Laufe des letzten Jahres um gerade mal acht Prozent gestiegen. Das hat aber zu einem Kursanstieg um 127 Prozent geführt. Das heißt: Was sich vor allem geändert hat ist die Wahrnehmung des Unternehmens bei den Anlegern, nicht dessen fundamentale Aussichten. Inzwischen rückt Wirecard in Punkto Marktkapitalisierung sogar der Deutschen Bank auf die Pelle. Der Unterschied zwischen Wirecard (aktuell 17,4 Milliarden Euro) und den "Blauen" (aktuell 19,7 Milliarden Euro) ist so gering wie nie. Es wird spannend sein zu sehen, ob Wirecard es tatsächlich schaffen wird, die Deutsche Bank einzuholen und vor allem ob das dann auch dauerhaft so bleiben wird. Denn: Noch liegt die Deutsche Bank beim für 2018 prognostizierten operativen Gewinn je Aktie mit 2,93 Milliarden Euro bei einem Vielfachen dessen, was für Wirecard erwartet wird, nämlich 440 Millionen Euro. Allerdings war es eben in der Vergangenheit schon (zu) oft so, dass sich die angebliche Gewinnprognose bei der Deutschen Bank in einen Verlust verwandelt hat, weil das Unternehmen mal wieder irgendwelche ungesetzlichen Geschäfte abgewickelt hat und dann Milliardenbußen dafür zahlen musste. Fest steht, dass die Deutsche Bank als Investment nur für beinharte Antizykliker in Frage kommen, die nach dem Motto handeln: Eine Aktie sollte man dann kaufen, wenn die Stimmung deutlich schlechter als die Fundamentaldaten sind. Bei Wirecard ist im Moment so ziemlich das Gegenteil der Fall: Wirecard (ISIN: DE0007472060) | | WKN / Kürzel | Börsenwert | KGV 17/18e/19e | Kurs | 747206 / WDI | 17,4 Mrd. EUR | 58/45/34 | 140,95 EUR | Es herrscht grenzenlose Euphorie! Das ist auch deshalb erstaunlich, weil Wirecard in Punkto Bilanzierung noch vor zwei Jahren heftig in der Kritik stand. Credit Suisse-Analyst Charles Brennan hatte noch im April 2016 zum Verkauf der Aktie aufgerufen, weil die Bilanz des Zahlungsabwicklers für das vergangene Jahr genauso viele Fragen aufgeworfen wie sie beantwortet habe. Das Kursziel hatte er damals von 42 auf 31 Euro gesenkt. Inzwischen liegen wir mehr als 100 Euro höher und Credit Suisse hat seine Meinung der Kursentwicklung angepasst und das Kursziel jüngst auf 132 Euro erhöht. Meine Meinung: Wirecard-Mastermind und Großaktionär Markus Braun ist dabei, das Unternehmen zu einem Global Player zu machen. Hierfür wurden in der Vergangenheit mehrere übernahmen von aufstrebenden, kleineren Zahlungsabwicklern gemacht, z.B. in Indien. Dort hat man für ein Unternehmen namens GI Retail am 1. März 2016 satte 340 Millionen Euro bezahlt (inklusive Earn-out-Regelungen), obwohl das Unternehmen bisher vor allem als wenig profitabler Reiseveranstalter aufgetreten war. Man hatte hier einen EBITDA-Faktor von 49 bezahlt. Das heißt: Wirecard geht hohes Risiko und investiert die Cashflows aus dem operativen Geschäft aggressiv in die globale Expansion. Bisher scheint das aufzugehen. Kommen wir nun bewertungstechnisch betrachtet zu zwei Gegenbeispielen: Gegenbeispiel 1: Dialog Semiconductor: Sie kennen wahrscheinlich die Problematik beim Powermanagement-Chip-Spezialisten: Dialog verliert Geschäft mit seinem mit Abstand wichtigsten Kunden Apple, weil dieser nun die Chips teilweise selber herstellt (es ist noch nicht offiziell, dass man selber Chips entwickelt, gilt aber als ausgemachte Sache). Unklar ist, wieviel Geschäft Dialog dadurch genau verloren geht. Das weiß bisher noch nicht einmal das Unternehmen selbst. Zudem war die Kommunikation mit dem Kapitalmarkt diesbezüglich sehr unglücklich. Zunächst verlautbarte man, dass es 2018 noch keine Umsatzeinbußen geben werde. Einige Wochen später musste man dann kleinlaut zugeben, dass das doch der Fall sein wird. Diese Gemengelage hat dazu geführt, dass die Analystenschätzungen für den Gewinn pro Aktie in 2018 im vergangenen Jahr von 2,97 Euro auf 2,44 Euro zurückgekommen sind. Das entspricht einem Rückgang um 18 Prozent. In 2019 soll der Gewinn dann nochmal um 5 Prozent auf 2,32 Euro je Aktie zurückkommen. Das ist nicht schön und die Befürchtung der Börsianer ist, dass dieser Abwärtstrend dann auch in 2020 und darüber hinaus anhalten wird. Das kann auch durchaus so sein, ist aber keineswegs eine ausgemachte Sache. Dialog hat noch einige andere spannende Technologien im Portfolio, einen sehr hohen Cashbestand und kaum Schulden, hat also viele Möglichkeiten um gegenzusteuern und tut dies auch. Schauen wir uns nun die Kursentwicklung von Dialog an: Die Aktie hat alleine in den vergangenen 12 Monaten 64 Prozent an Wert verloren. Das 2018er-KGV ist auf aktuell nur noch 6,5 gesunken. Dialog Semiconductor (ISIN: GB0059822006) | | WKN / Kürzel | Börsenwert | KGV 17/18e/19e | Kurs | 927200 / DLG | 1,18 Mrd. EUR | 6/6,5/7 | 15,10 EUR | Natürlich sind diese Kursverluste teilweise berechtigt. Es ist aber fraglich, ob das in diesem Umfang der Fall ist. Dialog ist ein kerngesundes Unternehmen mit immer noch sehr hohen Cashflows und einem Cashbestand von über 500 Millionen US-Dollar (ca. 425 Millionen Euro). Damit ist alleine 36 Prozent der Marktkapitalisierung durch Bargeld abgedeckt. Zudem erfolgten in der Vergangenheit mehrere kleinere Übernahmen, die gut zu Dialog gepasst haben und die Technologiebasis verbreitert haben. Trotzdem tut der Markt so als könne das Unternehmen die aktuellen Gewinnniveaus quasi nie mehr erreichen. Hinzu kommt, dass Dialog auch ein Übernahmekandidat ist. Bereits im letzten Jahr haben die Chinesen Tsinghua University ihre Beteiligung auf etwas über neun Prozent ausgebaut. Gegenbeispiel 2: H&R, ein Spezialchemie-Unternehmen. Hier soll der Umsatz in 2018 leicht steigen von 1,03 Milliarden Euro auf 1,08 Milliarden und dann von 2019 auf 2020 nochmal etwas von 1,09 Milliarden Euro auf 1,12 Milliarden Euro. Der Gewinn pro Aktie soll von 0,89 Euro über 1,185 Euro auf 1,28 Euro je Aktie in 2019 anziehen. Das sind durchaus passable Wachstumsraten. Auch die durchschnittliche Prognose der Analysten für den Nettogewinn je Aktie ist im letzten Jahr gestiegen, von 1,04 Euro auf 1,185 Euro, also immerhin um 14%. Das interessiert den Markt aber nicht im Geringsten, weil die Branche im Moment als wenig sexy gilt und H&R im letzten Jahr einen rückläufigen Nettogewinn verbuchen musste. Die Folge: Das 2018er-KGV liegt bei nur noch 9,4. Die Aktie hat im letzten Jahr um 14 Prozent nachgegeben und seit Beginn des Jahres 2018 sogar um über 20 Prozent. In den Diskussionsforen sind die Aktionäre enttäuscht und monieren die desaströse Kursentwicklung. H&R GMBH & CO KGAA (ISIN: DE000A2E4T77) | | WKN / Kürzel | Börsenwert | KGV 17/18e/19e | Kurs | A2E4T7 / 2HRA | 421 Mio. EUR | 9/9,8/13 | 11,54 EUR | Warum die Aktie so schlecht performt ist faktisch schwer zu erklären. Vor kurzem erst wurde ein erstes Quartal im Rahmen der Erwartungen bekanntgegeben. Der Ausblick für das Gesamtjahr wurde beibehalten, wenn auch mit dem Zusatz, dass man "angesichts der gesellschaftlichen und geopolitischen Herausforderungen und der damit verbundenen Sensibilität der Marktnotierungen und Produktpreise" derzeit eine weitere Konkretisierung als verfrüht ansehe. Gut, das klingt nun schon etwas skeptisch, aber auch bei H&R handelt es sich um ein kerngesundes Unternehmen mit einer Eigenkapitalquote von über 50 Prozent und durchgehend hoher Profitabilität in den vergangenen drei Jahren. Was heißt das nun auf den Punkt gebracht? Anleger stürzen sich wie verrückt auf alles, was irgendwie nach Wachstum "riecht". Dabei ist das Wort "riecht" wichtig, denn die tatsächlichen Zahlen werden hier teilweise außer acht gelassen, siehe H&R. Ein Unternehmen wird nur in zwei Schubladen gesteckt, entweder "Wachstum" oder "Nicht-Wachstum". Wachstum wird mit teilweise exorbitant hohen Bewertungen honoriert, Nicht-Wachstum wird massiv abgestraft. Letzteres ist selbst dann der Fall, wenn es sich um gesunde Firmen mit hoher Substanz handelt. Diese Tendenzen haben sich zuletzt sogar noch verstärkt. Wie sollen wir das einordnen? Zunächst einmal in dem man zur Kenntnis nimmt, dass diese Entwicklung historisch nicht einmalig ist. Solche Phasen gab es immer wieder mal in der Börsengeschichte, zuletzt Mitte/Ende der 90er-Jahre als sich alle wie verrückt auf Internet- und Telekommunikations-Aktien gestürzt haben und andere Teile des Marktes ignoriert wurden. Die Kurse stiegen weiter als es viele jemals für möglich gehalten hätten. Als sie dann aber im Frühjahr 2000 ihre Hochs erreicht hatten, folgten katastrophale Verluste über drei Jahre hinweg und eine noch viel länger anhaltende dramatische Underperformance von Wachstums-Aktien gegenüber Value-Aktien. Ich bin davon überzeugt, dass es diesmal wieder so kommen wird, auch wenn viele Wachstumsunternehmen inzwischen weit mehr Substanz haben als damals. MEIN FAZIT: Value-Aktien sind im Moment teilweise dramatisch unterbewertet, Wachstums-Aktien überbewertet. "Return to the mean" ist eines der beständigsten Phänomene in der Börsengeschichte. Value-Aktien werden wieder in Mode kommen, das ist so sicher wie die Nacht auf den Tag folgt. Das Falscheste was Sie daher als Value-Investor machen könnten wäre es, eine erfolgserprobte Value-Strategie ausgerechnet jetzt über Bord zu werfen! Hinweispflicht nach §34b WpHG: Die Geldanlage-Report-Redaktion ist in keinem der genannten Wertpapiere / Basiswerte zum Zeitpunkt des Publikmachens des Artikels investiert. Es liegen daher keine Interessenskonflikte vor. Die in diesem Artikel enthaltenen Angaben stellen keine Aufforderung zum Kauf oder Verkauf von Wertpapieren dar. Mein Tipp Nur noch wenige Tage bis zur Fußball-Weltmeisterschaft. Natürlich ist die WM ein Großereignis, das Russland viel Aufmerksamkeit verschaffen wird – auch dem russischen Aktienmarkt! Viele Anleger haben sich wegen der politischen Spannungen aus Russland verabschiedet. Dennoch entwickeln sich russische Aktien seit einigen Jahren wieder erstaunlich gut. In diesem Video von meinem Kollegen Gerhard Heinrich erfahren Sie: • Warum sich Russlands Börse so stark erholt hat!? • Welche Argumente für russische Aktien sprechen!? • Wie Anleger mit dem politischen Risiko umgehen sollten! → Hier klicken und das Video gleich ansehen... |