Liebe/r Leser/in, so ist es immer: Nach der Tobsucht kommt die Erschöpfung. Auf die Wut über die Bettwanze im Hotelzimmer folgt der komatöse Schlaf am Strand. Nach der Raserei über Habecks Heizgesetz kommt die resignierte Einsicht in die Notwendigkeit der Sanierung. Und auf den Aiwanger-Tornado folgt nun also die Ernüchterung, dass diese Geschichte nur Verlierer kennt – und einen Gewinner: Hubert Aiwanger. Plus vier Prozentpunkte, zweitstärkste Kraft in Bayern und für immer ausgestattet mit einer Erzählung, die die Leute von den Bierbänken reißt: Die woke Links-Elite wollte mich canceln, aber ich habe gesiegt! Super-Hubsi-Megastar!
In den Tagen zwischen erster Flugblatt-Veröffentlichung und den dampfenden Massen beim Gillamoos wurde heftig gestritten über Jugendsünde und Antisemitismus, Verantwortung und Verzeihen. Viele haben dabei nach ihrer eigenen Verortung gesucht, und dies, wenn sie klug waren, auch jenseits ihrer Parteipräferenz. Denn es geht nicht um links oder rechts. Es geht um die schmerzhafte Erkenntnis, dass Moral und Macht wenig gemein haben. Dass der Preis der Moral zu hoch sein kann, ebenso wie der Preis der Macht. Der Publizist Michel Friedman schreibt, Markus Söder habe sich nun „auf Gedeih und Verderb an die Freien Wähler gekettet“. Das Verhalten Aiwangers werde bei ihm jeden Tag einen Schmerz auslösen. Söder müsse nun sagen: „Aiwanger und seine Partei – das ist meine bürgerliche Option.“ Und Friedman fragt: „Kann er das wirklich?“
Söders Situation ist vier Wochen vor der Landtagswahl ungemütlich. Die Freien Wähler liegen bei 15 Prozent, die AfD bei 14 – knapp ein Drittel der Menschen schaut sich also rechts der CSU um. Die Erosion des alten Parteiensystems schreitet voran. Und während man sich in Berlin die Schuld zuschiebt – die Ampel-Versager treiben die Menschen hinfort! Nein, der Merz mit seinem Beton-Kurs! –, macht sich eine weitere schillernde Figur bereit, die Erschöpften, Resignierten oder schlicht Extremen um sich zu scharen: Sahra Wagenknecht. Auch sie eine Verächterin der woken Großstädter, denen das Gendersternchen wichtiger sei als die ungerechte Verteilung von Reichtum.
Auch sie unterwegs mit der Erzählung: Berlin gegen Menschenverstand. Ja, links wie rechts – so klingt der größte Mobilisierungs-Hit unserer Zeit.Als ich Sahra Wagenknecht vor gut vier Jahren in ihrem Bundestagsbüro traf, schien sie nachdenklich. Gerade hatte sie angekündigt, den Fraktionsvorsitz aufzugegeben, einen Burnout durchlebt, sie sprach über Verletzung und Radtouren mit ihrem Mann.
Heute verteidigt sie Putin und liebäugelt mit der Gründung einer Partei. Demoskopen bescheinigen ihr ein Potenzial um die 18 Prozent, und wenige würden sich mehr darüber freuen als die AfD. Das klingt überraschend, aber Stefan Möller, Co-Chef des thüringischen Landesverbands, erklärte unserem Reporterteam: „Eine Partei Wagenknechts könnte gemeinsam mit der AfD in einigen wichtigen Fragen eine Mehrheit jenseits des bisherigen Regierungsparteienkartells möglich machen.“ Der eine geht rechtsherum, die andere links – und, vereint in der Ablehnung, könnten sie schon bald eine zerstörerische Kraft entfalten. |