Liebe/r Leser/in, Superhelden sind unsterblich. Man denke nur an Asterix oder Superman. Und wenn man Medien nach der Niedersachsen-Wahl aufmerksam verfolgt hat, konnte man den Eindruck gewinnen, dass die Rückkehr von Genschman (gesprochen „Gänschmän“) unmittelbar bevorsteht, also jenes Comic-Helden mit den großen Ohren, den die Satirezeitschrift „Titanic“ 1989 dem legendären Außenminister und FDP-Übervater Hans-Dietrich Genscher auf den Leib gezeichnet hatte. Dem aktuellen FDP-Chef Christian Lindner wurde nach dem desaströsen Abschneiden der Liberalen in Niedersachsen nämlich nahegelegt, „den Genscher zu machen“. Gemeint ist: Lindner soll die Koalition mit SPD und Grünen aufkündigen, um seine Partei vor dem Untergang zu bewahren. Genscher hatte die FDP 1982 aus der zerrütteten Koalition mit der SPD unter Kanzler Helmut Schmidt in einem waghalsigen Wendemanöver in ein Bündnis mit der Union unter Kanzler Helmut Kohl geführt. Muss also Olaf Scholz fürchten, das Schicksal Helmut Schmidts zu erleiden? Wohl kaum, auch wenn die Union den Liberalen gern die Hand reichen würde. Doch anders als 1982 verfügen FDP und CDU/CSU nicht über die Kanzler-Mehrheit im Bundestag, und in die Opposition wäre selbst Superheld Genschman nicht gesprungen. Vergleichbar indes ist die Krise der heutigen FDP mit der von vor 40 Jahren. In der Ampelkoalition mit „zwei linken Parteien“ (Lindner) setzt sie für den Ge-schmack ihrer Wähler zu wenig Markt und Mitte durch, wirkt aber auch selbst ohne inneren Kompass und zermürbt durch Wahlniederlagen und ein Dauertief in den Umfragen. Ein Weiterso verbietet sich bei Strafe des Untergangs, denn diese FDP – so das Urteil vieler Wähler – wird so nicht gebraucht. Ich würde den Liberalen dringend empfehlen, sich auf ihren Markenkern zu besinnen: auf die Selbstständigen und den Mittelstand. Diese Wählerklientel ist seit Jahren politisch heimatlos; in Ostdeutschland sind viele bereits zur AfD übergelaufen, im Westen sympathisieren nicht wenige mit ihr, wie der in Niedersachsen von der FDP zur AfD abgewanderte Wählerstrom erneut belegt. Viele Mittelständler unterstellen den etablierten Parteien und auch der FDP krasses Unverständnis für ihre zum Teil dramatische Lage. Aktuelles Beispiel: Während die Gaspreis-Kommission der Regierung am Montag vorschlug, Industriekunden mit mehr als 1,5 Millionen Kilowattstunden Jahresverbrauch vom 1. Januar 2023 an den Preis für 70 Prozent des Vorjahresverbrauchs bei sieben Cent zu deckeln, bekommen Mittelständler und Selbstständige bis März oder sogar bis April keine Gaspreissubventionen. Und die Abschlagszahlung aus dem Dezember wird viele Handwerker, Geschäfte und kleinere Betriebe nicht retten können. Offenkundig war die FDP in die Arbeit der vom Kanzler eingesetzten und von Habecks Wirtschaftsministerium betreuten Gas-Kommission nicht involviert. Auch Vertreter des Mittelstands fehlten am Tisch – im Gegensatz zur Großindustrie. Wie konnte Lindner das zulassen? Was auch in der FDP viele verdrängen: Mittelstand, das sind nicht die viel zitierten „Hidden Champions“ in der Provinz mit Hunderten oder gar mehreren Tausend Mitarbeitern. Mittelstand bedeutet überwiegend: Werkstätten, in denen man sich bei der Arbeit die Hände schmutzig macht, Handwerksbetriebe, in denen ein kleines Team zusammen mit dem „Chef“ um Aufträge und Umsatz kämpft – und immer häufiger ums Überleben. Laut Statistischem Bundesamt haben 2,9 Millionen der insgesamt 3,3 Millionen Betriebe in Deutschland weniger als zehn Mitarbeiter. Und weitere 350 000 beschäftigen zwischen 10 und 50 Angestellte. Denen geht es aktuell nicht um „Freiheit und Selbstbestimmung“, wie Lindner diese Woche die Wahltrümpfe der FDP benannte, sondern um die Freiheit zum Überleben im Inferno der Energiepreise, der Rekord-Inflation und der Kaufzurückhaltung der Kunden. Denen ist die Gas- und Strompreisbremse hundertmal wichtiger als die Schuldenbremse oder nicht einhaltbare Versprechen zum Bürokratieabbau. Der Mittelstand sieht mit Fassungslosigkeit, wie immer mehr Steuergeld im Sozialbereich verschwindet und er weiter mit immer neuen Vorschriften und Steuervorauszahlungen drangsaliert wird. Sie erwarten sich von der Politik und vor allem von der FDP ein auf ihre Bedürfnisse zugeschnittenes Krisenprogramm. Fündig werden sie vielleicht nur beim bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder, dessen Wiederauferstehung in der Gunst der Bürger eben Gründe hat. Der CSU-Chef trifft auch den Ton dieser handfesten Klientel. Lindner hat recht mit seinem Hinweis, irgendwie hätten alle Ampelparteien gegenwärtig Akzeptanzprobleme bei den Wählern. Der Unterschied: Im Gegensatz zu seinen beiden Koalitionspartnern geht es für seine FDP um die Existenz. Und die SPD verliert zwar tatsächlich in Wahlen und Umfragen, bleibt aber Kanzler-Partei. | | Herzlich Ihr Robert Schneider, Chefredakteur FOCUS-Magazin | |
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