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Kurzstrecke |
Tagesspiegel Checkpoint vom Dienstag, 19.05.2020 | Meist bewölkt bei bis zu 17°C. | ||
+ Autofreie Innenstädte in London, Paris und Brüssel – und in Berlin? + Sicherheitsbehörde stuft „Ende Gelände“ als linksextremistisch ein + Schlachtensee wird neuer Berliner Ortsteil + |
von Julius Betschka |
Guten Morgen, Madrid hat es getan und Brüssel hat es getan, London jüngst auch – und sogar das chronisch dichte Paris: Autos wurden dort in den vergangenen Wochen aus großen Teilen der Innenstadt verbannt. So rollen auf der Rue Rivoli nun E-Roller statt Blechlawinen (Beweis hier), während die Potsdamer Straße wieder gut verstopft ist. Dabei hatte Berlin 2018 Deutschlands erstes Radverkehrsgesetz beschlossen und die Mobilitätswende einleiten wollen. Die Berliner Pop-Up-Bike-Lanes wurden in der Krise zum Vorbild, viel mehr passierte nicht. Fehlt der Wille? Fehlt ein Weg? Auf Checkpoint-Anfrage lobt die Senatsverwaltung für Verkehr die autofreien Innenstädte in London, Brüssel und Paris als „Leuchtturmprojekte mit weltweiter Strahlkraft“. Senatorin Regine Günther (Grüne): „In der Pandemie-Lage ist umso deutlicher geworden, dass Fläche in der Stadt die neue Währung ist.“ Durch die Abstandsgebote verschärfe sich auch die Debatte um die gerechte Aufteilung des öffentlichen Raumes. „Es ist unausweichlich, dass insbesondere Kfz-Parkplatzflächen reduziert werden müssen. Autos gehören in die derzeit oft leeren Parkhäuser“, sagt Günther. Vorrang hätten Radverkehr, Fahrradfahrer und Fußgänger. Warme Worte, der große Wurf bleibt bislang aus. Das liege, heißt es aus der Verkehrsverwaltung, an den umfangreichen Beteiligungspflichten, die die StVO vorschreibe, und daran, dass Berlin im Gegensatz etwa zu Brüssel oder Paris eine „polyzentrische Stadt“ sei. Die Verkehrsverwaltung kann den Bezirken kaum reinregieren und dort wird je nach politischer Couleur Brumm- oder Rollpolitik gemacht. Was in Friedrichshain-Kreuzberg, Neukölln und Pankow stolz auf die Fahrbahn gebracht wird, landet in Reinickendorf oder Tempelhof-Schöneberg womöglich im Straßengraben. Mehr solcher Großprojekte wie die autofreie Friedrichstraße lägen dagegen durchaus in der Hand eines zupackenden Senats – noch mehr in der eines visionären Regierenden Bürgermeisters. Doch selbst der Prestigeversuch an der Friedrichstraße verzögert sich „coronabedingt“, erklärt die Verkehrsverwaltung – ähnliche Projekte sind gar nicht erst in Vorbereitung. Berlin robbt weiter in Richtung Verkehrswende. | |||
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Wir blinken mal und ziehen auf die linke Spur: Innensenator Andreas Geisel (SPD) wird heute den Verfassungsschutzbericht vorstellen – der könnte in diesem Jahr selbst zum Politikum geraten. Wie der Checkpoint erfuhr, stufen die Berliner Sicherheitsbehörden die Klima- und Anti-Kohle-Aktivisten von „Ende Gelände“ auf Seite 162 des Berichts erstmals als „linksextremistisch“ ein. Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) hat deshalb für die Senatssitzung Gesprächsbedarf angemeldet, genauso die Kulturverwaltung von Klaus Lederer (Linke). Die Anti-Kohle-Bewegung besetzt seit 2015 deutschlandweit Braunkohletagebaue. Der Bundesverfassungsschutz bezeichnete sie im vergangenen Jahr als „linksextremistisch beeinflusste Kampagne“. Insbesondere die Gruppe „Interventionistische Linke“ bilde ein Scharnier zwischen zivilen Protestbündnissen und gewaltbereiten Kräften. Der Verfassungsschutz erkennt eine „hohe strategische Bedeutung“ des Bündnisses für die linksextremistische Szene. Georg Kössler, umweltpolitischer Sprecher der Grünen im Abgeordnetenhaus, ist schockiert über die Entscheidung der Berliner Behörde. „Dass sowas in einem rot-rot-grünen Land passiert, ist mir ein Rätsel.“ Kössler nahm früher selbst bei „Ende Gelände“ teil, seit er Abgeordneter ist, begleitet er die Proteste als parlamentarischer Beobachter. Bundestagsabgeordnete wie Ulla Jelpe (Linke), Sven-Christian Kindler oder der Europaabgeordnete Erik Marquard (beide Grüne) unterstützen die Aktivisten. Unter denen gebe es auch einige Linksextremisten, sagte Kössler. „Aber die Interventionistische Linke ist auch in vielen Anti-Nazi-Bündnissen aktiv und steht dort zusammen mit CDUlern.“ Viel wichtiger für die Struktur von „Ende Gelände“ seien Grüne Jugend und die Linksjugend solid. „Die Entscheidung der Sicherheitsbehörden kriminalisiert die Jugendorganisationen von Grünen und Linken“, sagt Kössler. Innensenator Andreas Geisel wird sich von seinen linken und grünen Amtskollegen ähnliches anhören müssen – ändern wird das für dieses Jahr nichts mehr: der Senat erhält den Bericht lediglich „zK“: zur Kenntnisnahme. | |||
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Nicht „zK“, sondern „zz“ – ziemlich zühügig! – geht’s in Friedrichshain-Kreuzberg zu: Die für einige Wochen halbgefrorene Berliner Gastronomie hat noch Auftauprobleme. Der Bezirk will den Wirten deshalb unter die Arme greifen und für mehr Platz im Freien sorgen (CP vom 16.05.). Parkplätze und Straßenland sollen weichen, damit der lauschige Abend im Restaurant mit gesundem Abstand serviert werden kann. 300 Gastronomen haben sich dafür gemeldet, sagt Felix Weisbrich, Leiter des Straßen- und Grünflächenamtes dem Checkpoint. Ballermannatmosphäre und „Schankmeilen“ sollen aber bitte vermieden werden: „Wir werden keine ganzen Straßen für die Gastronomie sperren – davon haben wir Abstand genommen“, sagt Weisbrich. Er wolle die Gehwege entlasten und Anwohner nicht noch mehr belasten. Gastronomen dürfen sich deshalb maximal bis zur Größe des ursprünglichen Terrassenangebots auf dem Asphalt ausbreiten, Läden ohne Platz im Freien auf Breite der Fensterfront. Ein Online-Tool, um die Anträge schneller zu bearbeiten, soll bis Ende der Woche fertig sein – los geht’s womöglich schon nach dem Wochenende. Verwaltungslichtgeschwindigkeit. | |||
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Wir schalten den Warp-Antrieb aus und blicken ins Rote Rathaus: Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) will heute im Senat ihre Covid-19-Teststrategie vorlegen. Seit Wochen warten die Koalitionäre darauf. Verwirrungspotential: Auch die Klinikkonzerne Vivantes und Charité haben ein gemeinsames Papier erarbeitet. Es wird ebenfalls heute diskutiert. Die einen nennen es „Ergänzungsvorschlag“, andere sprechen von einem „Gegenkonzept“. Nach Checkpoint-Informationen gibt es auch innerhalb der Koalition noch Redebedarf: Erstens muss geklärt werden, wer die Kosten der sogenannten Clustertests übernimmt – Massentestungen zum Beispiel von Lehrern oder Pflegekräften. Zweitens wächst in Teilen der Koalition das Unbehagen, inwieweit die Covid-19-Teststrategie wichtigen Akteuren – wie den Kliniken und den Gesundheitsämtern – nicht nur vorgelegt, sondern tatsächlich abgestimmt wurde. Drittens braucht es eine rechtliche Grundlage auf der wie geplant alle Menschen, die in Krankenhäuser oder Pflegeheime kommen, getestet werden dürfen. Warten auf Godot? Warum das fatal wäre, erklärt ein Experte der Weltgesundheitsorganisation (die der falsche Sündenbock ist): Es sei an der „Zeit für die Vorbereitung, nicht für Feierlichkeiten“, sagte der WHO-Regionaldirektor für Europa am Montag und warnte vor einer „Doppelwelle“ von Grippe und Covid-19. Die aktuellen Zahlen für Berlin sehen wie folgt aus: 182 Personen sind in Berlin im Zusammenhang mit dem Coronavirus gestorben. 26 Prozent (46 Menschen) wohnten in Alten- und Pflegeheimen. Der Altersmedian der mit Corona Verstorbenen liegt in Berlin bei 81 Jahren. Seit dem ersten März gab es 6474 bestätigte Fälle, 412 Menschen sind aktuell erkrankt. 20 Neuinfektionen wurden gemeldet. | |||
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Wir spulen zurück zum Wochenende und erinnern an schildbürgerhafte Szenen. Während am Samstag in der Schlange vor dem Primark am Alexanderplatz mehrere Hundert Menschen standen, wurden nebenan Gruppen von Demonstranten von der Polizei auseinandergebeten und abgedrängt. Die Freude am billigen Konsum schien über dem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit zu stehen. Die Rechtspolitiker im Abgeordnetenhaus fordern den Senat deshalb auf, die Beschränkungen der Versammlungsfreiheit aufzuheben. Der SPD-Rechtspolitiker Sven Kohlmeier betonte: „Demokratie lebt von Meinungsfreiheit und vom Versammlungsrecht.“ Christian Gaebler (SPD), Chef der Senatskanzlei, sprach dagegen von einem „Zielkonflikt“ zwischen Grundrechten und Pandemiebekämpfung. Womit Gaebler sicher nicht unrecht hat. Das hätte sich der Senat aber überlegen sollen, bevor alle Kaufhäuser wieder aufgesperrt wurden. Das ist der eigentliche Zielkonflikt. Trotz des Parlamentsbeschlusses will Rot-Rot-Grün aber am vereinbarten Stufenmodell festhalten: Ab dem 25. Mai sollen Versammlungen bis zu 100 Teilnehmern möglich sein, ab Anfang Juni will Innensenator Geisel Demonstrationen wieder ganz erlauben. Bis dahin gilt: Sie dürfen eine Stunde für ein billiges T-Shirt anstehen, aber ohne Anmeldung nicht unbedingt ein Protestplakat hochhalten. | |||
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Hurra, hurra die Schule... brennt? Berlins Klassenzimmer sind pandemiebedingt im Ausnahmezustand, die Lehrerinnen und Lehrer zu Krisenmanagern geworden. Und jetzt soll der Unterricht auch noch in den Ferien stattfinden. Umso wichtiger ist es, das Gute zu erzählen. Wir wollen zeigen wie der Unterricht auch unter besonders blöden Umständen funktionieren kann. Der Checkpoint sucht deshalb ab sofort „Berlins kreativste KrisenlehrerInnen“. Wer geht besonders engagiert und erfinderisch mit der Lage um? Welche Ideen gibt’s für mehr Nähe in der Ferne? Wie hält man Schüler bei Laune? Schicken Sie uns Ihre Vorschläge an checkpoint@tagesspiegel.de. Vielleicht können ja alle ein bisschen voneinander profitieren, damit das Lernen wieder besser läuft. PS: Und sollte es bei Ihnen katastrophal laufen, interessiert uns das natürlich auch. | |||
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