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PRESSEMITTEILUNG Nr. 4/2025

Vizepräses: Was sind die institutionellen
Schmerzen gegen das Leid Betroffener?
Christoph Pistorius zum Stand der Aufarbeitung sexualisierter Gewalt

Düsseldorf (14. Januar 2025). „Wenn im März die Unabhängige Regionale Aufarbeitungskommission für die rheinische, die westfälische, die lippische Kirche und die gemeinsame Diakonie ihre Arbeit aufnimmt, erreichen wir eine weitere wichtige Station auf dem Weg zur Aufarbeitung sexualisierter Gewalt auch in der Evangelischen Kirche im Rheinland“, sagt Vizepräses Christoph Pistorius.

Der Beauftragte der Kirchenleitung der rheinischen Kirche für das Thema sexualisierte Gewalt sieht gute Fortschritte: „Zur Vorbereitung der Arbeit der Kommission bereiten Staatsanwält*innen die Personalakten der an die ForuM-Studie gemeldeten Fälle sowie sukzessive alle weiteren als auffällig herausgefilterten Personalakten auf. Dadurch bekommen die Mitglieder der Kommission eine gute Arbeitsgrundlage. Die Bearbeitung der an die ForuM-Studie gemeldeten Fälle durch die Jurist*innen ist bereits sehr weit fortgeschritten“, so Vizepräses Pistorius am Dienstag vor Journalist*innen in Düsseldorf.

Siebenköpfige unabhängige Aufarbeitungskommission
Der siebenköpfigen Unabhängigen Regionalen Aufarbeitungskommission – kurz URAK – gehören neben den beiden Betroffenenvertreter*innen und den drei unabhängigen Expert*innen, die von den Bundesländern vorgeschlagen werden, noch zwei Mitarbeitende von Kirche und Diakonie an. Kirchlich Beschäftigte dürfen in der Kommission keine Mehrheit haben. „Wir sind in den notwendigen Vorbereitungen auf einem guten Weg und rechnen damit, dass auch die beteiligten Bundesländer Nordrhein-Westfalen und Saarland in Kürze die entsprechenden Expert*innen benennen. Dann kann die Arbeit starten.“

Stabsstelle wurde personell verstärkt
Seit der Veröffentlichung der ForuM-Studie Ende Januar 2024 wurde, so wird es Pistorius auch Anfang Februar der Landessynode als oberstem Leitungsgremium der rheinischen Kirche berichten, die zuständige Stabsstelle Prävention, Intervention und Aufarbeitung personell verstärkt. Leiterin ist inzwischen die Kriminologin Katja Gillhausen. „Insbesondere die Bereiche Interventionsmanagement und Aufarbeitung wurden personell verstärkt“, beschreibt Christoph Pistorius. Auch bei der Sichtung der Personalakten, die in den Kirchenkreisen und Gemeinden liegen bzw. deren Mitarbeitende betreffen, gebe es gute Fortschritte: „Bislang liegen aus dem Beteiligungsforum auf EKD-Ebene noch keine verbindlichen Regelungen zur Aufarbeitung vor. Wie diese aussehen werden und wann sie vorliegen, ist unklar. Da wir aber die Zeit nutzen wollen, hat eine Arbeitsgruppe im Landeskirchenamt eine Verfahrensanleitung erarbeitet, die den Kirchenkreisen Hilfestellungen für die praktische Durchführung einer standardisierten Aktendurchsicht geben soll. Das Landeskirchenamt arbeitet hierzu im Rahmen eines Pilotprojekts mit dem Kirchenkreis Wuppertal zusammen und evaluiert fortlaufend die der praktischen Arbeit zugrunde liegende Verfahrensanleitung. Nach Abschluss der aktenbasierten Aufarbeitung des Kirchenkreises Wuppertal wird eine aktualisierte Version der Verfahrensanleitung an alle Kirchenkreise übersandt. Bereits jetzt können dort Vorarbeiten geleistet werden. Dazu hat die Stabsstelle in Abstimmung mit dem landeskirchlichen Archiv den Kirchenkreisen Informationen übersandt.“

Zahlen, Daten und Fakten auf einer Themenseite
In der im Frühjahr 2021 nach Einführung der Meldepflicht eingerichteten Meldestelle sind bis Ende Dezember 2024 insgesamt 124 Meldungen aus allen Ebenen der rheinischen Kirche eingegangen. Sie beziehen sich aber zum Teil auch auf Jahre zurückliegende Vorfälle. In 33 dieser Fälle sind die Beschuldigten Theologen (in 31 Fällen ist die beschuldigte Person Pfarrer und in je einem Fall Pastor im Ehrenamt bzw. Vikar). Die 124 Verdachtsmeldungen bei der Meldestelle und die 70 der ForuM-Studie gemeldeten Verdachtsfälle auf landeskirchlicher Ebene können aber nicht addiert werden, weil es in zumindest einem Drittel dieser Fälle eine Überschneidung gibt. Über weitere Zahlen und Daten gibt eine Übersicht auf der Themenseite der Evangelischen Kirche im Rheinland Auskunft.

Wissenschaftlicher Blick auch auf Schülerheime und Internate
„Im Bereich der Aufarbeitung haben wir im Nachgang zur Forschungsstudie zum Martinstift in Moers ein Projekt der Aufarbeitung gewaltförmiger Konstellationen in allen Schülerheimen und Internaten auf dem Gebiet der Evangelischen Kirche im Rheinland im Auftrag gegeben. Eine dazugehörige Vorstudie ist bereits fertig“, sagt Vizepräses Pistorius. Auch zu einem Kölner Fall ist inzwischen der Vertrag für eine Studie unterzeichnet worden. Gemeinde und Kirchenkreis arbeiten diesen Fall bereits seit längerer Zeit auf und werden dabei zukünftig durch Wissenschaftler*innen unterstützt. Im Fall eines inzwischen verstorbenen Kirchenmusikers hat die Evangelische Kirche im Rheinland gemeinsam mit den drei Kirchenkreisen Düsseldorf, Leverkusen und Moers eine institutionelle Aufarbeitung unter wissenschaftlicher Begleitung zu sexualisierter Gewalt an zwei Kindern bzw. Jugendlichen gestartet. Im September 2024 wurde zu dem Fall ein Betroffenenaufruf veröffentlicht, weil aufgrund der bisherigen Erkenntnisse weitere Betroffene vermutet werden.

Sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche begünstigt?
Außerdem will die Evangelische Kirche im Rheinland zusammen mit anderen Landeskirchen und der EKD die Frage wissenschaftlich klären lassen, ob die Diskussion um eine liberalere Sexualerziehung in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts auch dazu geführt hat, dass sexualisierte Gewalt gegenüber Kindern und Jugendlichen innerhalb der evangelischen Kirche strukturell begünstigt wurde. In der evangelischen Kirche zeitweise hoch angesehene Pädagogen wie Gerold Becker oder Helmut Kentler stehen mittlerweile für die Instrumentalisierung sexualpädagogischer Impulse. Eine Vorstudie ist inzwischen abgeschlossen. Über die Hauptstudie wird auf EKD-Ebene entschieden. Die rheinische Kirche bereitet in diesem Kontext bereits eine wissenschaftliche Fall-Untersuchung vor, die aus landeskirchlicher Perspektive besonders relevant ist. Dabei wird es auch darum gehen, dass Zeitzeugen und Betroffene zu Wort kommen. Überdies hat das Landeskirchenamt Mitte des vergangenen Jahres eine Handreichung für die gottesdienstliche Thematisierung sexualisierter Gewalt vorgelegt, die in den Gemeinden genutzt werden kann.

Beschäftigung mit dem Thema nicht unumstritten
Pistorius räumte ein, dass die Beschäftigung mit dem Thema sexualisierte Gewalt nicht überall in der Kirche ungeteilten Widerhall finde. Mitunter werde die Beschäftigung damit eher vermieden. „In der Tat: Die Beschäftigung mit dem Thema sexualisierte Gewalt/Missbrauch ist schmerzhaft, anstrengend und unangenehm. Aber was sind eigentlich unsere institutionellen Schmerzen gegen das Leid, das Menschen eben auch in unserer Kirche angetan wurde?! Wir sind den Betroffenen die ernsthafte, ehrliche und aufrichtige Beschäftigung mit dem Thema schuldig – und unserer eigenen Glaubwürdigkeit auch“, so der Vizepräses.
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Stichwort: ForuM-Studie
Im Teilprojekt E der ForuM-Studie waren in der rheinischen Kirche nicht nur die insgesamt ca. 150 vorliegenden Disziplinarakten zu allen Berufsgruppen durchgesehen worden, sondern auch alle auf landeskirchlicher Ebene vorliegenden Akten von Pfarrpersonen ab dem Jahr 1946 bis einschließlich 2020. Insgesamt waren dies Personalakten von 4733 Pfarrpersonen.
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Autor: persönlicher Referent des Vizepräses Jens Peter Iven, jens.iven@ekir.de, Telefon 0211 4562-205
Kontakt: stv. Pressesprecherin Cornelia Breuer-Iff, cornelia.breuer-iff@ekir.de, Telefon 0211 4562-423

 

 

 

 

Absender:
Evangelische Kirche im Rheinland | Das Landeskirchenamt | Stabsstelle Kommunikation und Medien | verantwortlich: stv. Pressesprecherin Cornelia Breuer-Iff | Hans-Böckler-Straße 7 | 40476 Düsseldorf | Tel. 0211 4562-423 | Fax: 0211 4562-490 | www.ekir.de/presse
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