Liebe/r Leser/in, und? Wann erlebten Sie das letzte Mal einen Tiefpunkt? Ich meine diesen Moment, wenn überhaupt nichts mehr geht. Weil bereits alles schiefgegangen ist. Stimmt, das war beim Spiel gegen Österreich. Aber über dieses Spiel reden wir nicht. Wir schauen einfach das nächste Spiel der Deutschen an. Und das nächste. Erinnern Sie sich an Sisyphos? Der stand immer wieder unten im Tal. Er rollte den Stein nach oben. Bis dieser wieder nach unten kullerte. Und Sisyphos machte sich mit dem Stein wieder auf den Weg nach oben. Das Geheimnis des mythischen Dauerversagers: Er beklagte sich nicht. Seine ewige Wanderschaft von Tiefpunkt zu Tiefpunkt schwieg er einfach tot. Albert Camus meinte, man müsse sich Sisyphos als glücklichen Menschen vorstellen.
War Jan Ullrich je glücklich? Der kletterte einst mit dem Rad von Gipfel zu Gipfel – und strampelte doch nur von einem Tiefpunkt zum nächsten. Dass er sich als Rennfahrer beim Team Telekom mit Eigenblut aufgepumpt und -geputscht hatte, war zwar bewiesen, aber er selbst wollte sich dazu nie bekennen. Erst vor wenigen Tagen legte er seine Dopingbeichte ab.
Gedopt hatten auch die Regierungsrenner vom Team Ampel. Mit 60 Milliarden Euro hatten sie ihren Haushalt gepusht. Doch ihre Droge aus dem Corona-Notfallfonds, so stellte das Bundesverfassungsgericht jetzt klar, war illegal. Der von Karlsruhe verordnete Entzug riss Scholz, Lindner und Co. aus ihren Finanzträumen. Eine Dopingbeichte aber werden weder der Kanzler noch sein Finanzminister ablegen. Der setzte schnell die Schuldbremse aus und feuerte seinen Staatssekretär Werner Gatzer. Der sei schließlich für den Haushalt zuständig. Der sei der Schuldige.
Wir müssen uns den Tiefpunkt als einen geselligen Ort vorstellen. Alle Mühseligen und Gebeutelten treffen sich dort. Alle Verantwortlichen und alle Sündenböcke. Sie plaudern über das nächste Spiel und den nächsten Haushalt. Ob sie leiden? Reden wir nicht darüber. |