Liebe/r Leser/in, wie es sich anfühlt, älter zu werden, kann ich nicht sagen. Als ich mir vornahm, darauf zu achten, war ich noch zu jung. Sechs Jahre jung, um genau zu sein. Mein Cousin Götz hatte mir am Tag zuvor von den ersten Wochen am Gymnasium erzählt, und die Vorstellung, fünf Jahre später selbst durch die schwere Tür des grauen Betonriesen treten zu müssen, ließ mich schaudern. Was ich damals nicht wusste: Altern ist wie Atmen – es geschieht von selbst. Und das, liebe Leserinnen und Leser, beruhigt mich auch 36 Jahre nach diesem Schulweg auf eine wärmende, sentimentale Weise. Ich mag es, wenn Dinge altern, wenn sie wachsen und reifen. Das gilt für Materielles wie Häuser, Kunst und Autos genauso wie für Menschen und Gedanken. Also nicht: Früher war alles besser – sondern vielmehr Dinge von gestern für morgen. Lucas Cranach d. Ä. war 74, als er vor fast 500 Jahren den Menschheitstraum malte: Gebrechliche Gestalten mühen sich zittrig in ein Becken hinab. Ihre Körper welk, manche müssen getragen werden. Auf der anderen Seite entsteigen sie dem Bad – jung, strahlend, begehrenswert. Der Vision des Jungbrunnens, davon ist David Sinclair, Autor unserer Titelgeschichte, überzeugt, kommt die moderne Wissenschaft vom Altern sehr nahe. Diese revolutionäre Medizin, so der Harvard-Genetiker, könnte unsere Lebensspanne schon bald um Jahrzehnte erweitern. Als sein neues Buch „Lifespan“ Anfang September in Amerika erschien, schoss die Gebrauchsanweisung für das ewige Leben sofort hoch in die Bestsellerliste der „New York Times“. In Deutschland erscheint der neue Sinclair erst kommende Woche, weshalb ich mich freue, den Harvard-Professor und seine Erkenntnisse schon heute exklusiv in dieser Ausgabe begrüßen zu dürfen. Wir haben sein Stück mit Bildern aus Mick Jaggers Leben inszeniert – eine Hommage an die Schwerkraft des Lebens, wie ich finde. Und man tritt dem 76-jährigen Sänger der Stones gewiss nicht zu nahe, wenn man schreibt: In kaum einem Gesicht hat sich das Leben auf so wunderbare Weise verewigt. Als ich ihn vor Jahren einmal auf ein Gespräch traf, schockverliebte ich mich in diesen Mann. Kaum einer versteht es derart galant, dem Alter die Zunge rauszustrecken. Und anders als von Lucas Cranach d. Ä. imaginiert, kommt der moderne Jungbrunnen auch ihm zugute. Auf dem Bild des alten Meisters genossen nämlich ausschließlich Frauen die Verjüngungskur. Mir war das Bohei um das ewige Leben immer suspekt: Dorian Gray, der Heilige Gral, Faust in der Hexenküche. In meiner Welt gilt: kein Pakt mit dem Teufel, weder Pudel noch Schwefel, kein Boom, kein Bäng. Denn: Mit der Zeitlosigkeit geht eine gewisse Wertlosigkeit einher. Es mag die Perspektive eines Menschen mit überschaubarem Kontostand sein, aber das nehme ich gerne hin. Blickt man ins Silicon Valley, in die kalte Herzkammer des digitalen Imperialismus des 21. Jahrhunderts, stellt man unweigerlich fest, dass dort die Schwerkraft des Lebens gerade ein Update verpasst bekommt: Genauso wie Googles Firma Calico versucht der – zugegebenermaßen ziemlich geniale – Bio-Ingenieur Aubrey de Grey, den Tod abzuschaffen. Und auch die Bemühungen der Milliardäre Peter Thiel und Jeff Bezos, gegen das Ableben anzukämpfen, werden mit unendlichen Millionen in ungeahnte Dimensionen getrieben. Mich beruhigt die bislang gültige Endlichkeit unseres Daseins: Als Vater zweier (oft zauberhafter) Kinder bin ich gerne Anwalt der nächsten Generationen. Warum sollten diese auch keine Chancen bekommen? Zumal es heute schon für Greta und ihre Altersgenossen zu voll und zu heiß auf diesem Planeten wird. Wenn jetzt noch Valley-Vampire wie Peter Thiel die Ewigkeit aufmischen, kann ich nur sagen: nein, danke. Die eigene Vergänglichkeit verspricht für mich etwas Beruhigendes: Man darf das Mäntelchen der Selbstüberschätzung ablegen, fährt Testosteron runter und Herz rauf. Es helfen übrigens ganz konkrete Pläne fürs Alter – das habe ich mir bei meinem Vater abgeschaut. Was ich, Stand heute, dann schaffen will: den „Kosmos“ von Alexander von Humboldt; alle „Lustigen Taschenbücher“ am Stück; den Endgegner von „Donkey Kong Country 3“; alle Remixe von Dixon seit 2007; eine Fahrt mit dem Bulli von Berlin nach Shanghai; mehr als zwei Bahnen ohne Atemnot zu kraulen. So soll es sein. Im Sonnenlicht wie im Schatten. Ich wünsche Ihnen ein erbauliches Wochenende.Ich wünsche Ihnen (und mir) ein schönes Wochenende! |