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Kurzstrecke |
Tagesspiegel Checkpoint vom Dienstag, 27.09.2022 | So gut wie keine Sonne, teilweise Regen bei max. 14°C. | ||
+ Ein ganz normaler Wahltag in Pankow? Wie ein Wahlamtsleiter und eine Wahlvorständin den 26. September 2021 erlebten + Berliner CDU will Wahlwiederholung: Welche Rolle spielt Mario Czaja? + Ist Berlin jetzt besser als München, oder nicht? Es bleibt verwirrend + |
von Julius Betschka |
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Guten Morgen, kleine Zeitreise gefällig? Es ist der 26. September 2021, 6 Uhr. Sie schlafen vermutlich noch, denn es ist ein Sonntag. Großer Wahltag in Berlin. Vier Abstimmungen stehen an und ein Marathon. Marc Albrecht, Wahlamtsleiter in Pankow, schließt sein Büro im zweiten Stock des Rathauses auf. Noch sind die Flure leer, nur der Wachschutz ist da. Hallo! Guten Morgen! Das ist seine Schaltzentrale. Ab 8 Uhr werden in Pankow bis zu 236.000 Wahlberechtigte erwartet. 6.20 Uhr, einen Kilometer südlich. Wahlvorständin Birgit Walter schnürt ihre Laufschuhe, packt Tesafilm ein und einige Kugelschreiber. Kann man nie genug von haben. Sie macht sich auf den Weg in ihr Wahllokal im Pankower Carl-von-Ossietzky-Gymnasium. 8 Uhr, Wahlbeginn. Der kritische Punkt, das weiß Albrecht. Aus seiner Sicht läuft es gut an. Sie hatten sich mehr als ein Jahr lang sorgsam auf diesen Tag vorbereitet: ein riesiger Logistikapparat mit Tausenden Helfern, der mit wenigen Leuten zu koordinieren ist. Albrecht hat große Stimmbezirke verkleinert und ihre Anzahl vergrößert. Auch deshalb gibt es deutlich mehr Wahlhelfer als sonst. 8.30 Uhr. Die Menschen im Ossietzky-Gymnasium sind viel zu lange in den Wahlkabinen, einige brauchen zehn Minuten für die vielen Kreuze. Wartezeit: 45 Minuten. 8.55 Uhr. Ein anderes Wahllokal im Ossietzky-Gymnasium meldet: „Wähler wurde fälschlicherweise in Wahllokal 323 geschickt – vom benachbarten Wahllokal 315. Wähler hat Stimmzettel ausgefüllt, danach aufgeklärt über Irrtum. Ergebnis: Wähler geriet in Rage, zerriss Stimmzettel und verließ das Wahllokal ohne Stimmabgabe.“ So steht es in einer Mitschrift des Wahlvorstandes. 11 Uhr. Neue Hinweise laufen im Rathaus ein: Hygienevorschriften werden nicht befolgt, Schlangen werden immer länger. Albrecht wundert das nicht. Die Schlangen wirken länger, weil anderthalb Meter Abstand gehalten werden müssen, denkt er. 12 Uhr. Birgit Walter gibt erstmals die Wahlbeteiligung durch, sie liegt in Pankow bei 27,1 Prozent. Die Landeswahlleitung meldet per Pressemitteilung: „Die Wahl in den 2257 Berliner Wahllokalen verläuft bisher ruhig.“ Bei Walter ist es mit der Ruhe längst vorbei. Ihre Wahlhelfer können kaum Pause machen, weil sie als Ordner gebraucht werden. Gegen 13.30 Uhr. In einigen der acht anderen Wahllokale im Ossietzky-Gymnasium gehen die Wahlzettel aus. Walter wird um Stimmzettel gebeten. Sie lehnt ab. Die Wahlbeteiligung ist in ihrem Lokal bislang noch nicht sonderlich hoch, die Stimmzettel könnten auch ihr ausgehen. Vorsichtshalber ruft sie im Rathaus Pankow an und bittet um Nachschub. Dort klingelt das Telefon inzwischen minütlich. Mehr Stimmzettel, mehr Stimmzettel, mehr Stimmzettel. Und viele lange Warteschlangen. Albrecht geht noch von Einzelfällen aus. Er schickt Kuriere los, sie sollen Stimmzettel ausliefern. Er ahnt langsam: Das wird kein normaler Wahltag … Wir beenden diese kleine Zeitreise. Weitergewählt wurde in Pankow noch bis 20.57 Uhr, erst um 6 Uhr morgens waren alle Stimmen ausgezählt. Morgen wird die chaotische Berlin-Wahl wegen dieser und anderer Absonderlichkeiten vor dem Landesverfassungsgericht verhandelt. Meine Kollegin Anna Thewalt und ich haben das zum Anlass genommen, tief hineinzukriechen in diesen womöglich schicksalshaften Tag für Berlin. Abonnenten lesen die ausführliche Rekonstruktion aus Sicht Beteiligter und Verantwortlicher hier. Darin erfahren Sie auch, was ein Berliner Wahlamtsleiter mit einem Techno-DJ gemein haben kann. Keine Sorge: Es sind nicht die klingelnden Ohren. Uns interessiert Ihre Meinung dazu sehr! Was halten Sie für richtig: Muss die Wahl wiederholt werden? Komplett? Teilweise? Oder gar nicht? Stimmen Sie hier ab. | |||
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Zahlenspiele. Zumindest in der Berliner CDU. Dort bereitet man sich schon auf eine umfassende Wahlwiederholung vor. Anlass zur Freude gibt den Unionern (nicht denen, den anderen!) wohl auch die aktuelle politische Tabelle: CDU 21 (+3), Grüne 21 (+2), SPD 18 (-3), Linke 11 (-3), AfD 9 (+1), FDP 7 (-0,1). Das ergab eine repräsentative Umfrage von „Civey“ im Auftrag des Tagesspiegel. CDU-Landes- und Fraktionschef Kai Wegner läuft sich öffentlich und semi-öffentlich schon warm für neue politische Bündnisse. Was mit einem knochenkonservativen CDU-Landesverband in Hessen geklappt hat, muss doch auch in Berlin möglich sein: Schwarz-Grün oder vice versa. Nur heißt einer von Berlins Grünen-Fraktionschefs Werner Graf und eben nicht Tarek Al-Wazir oder gar Kretschmann (der Kreuzbergs Grünen eher als Schreckgespenst taugt). Eines eint Graf und Wegner aber zumindest: ihre Hertha-Leidenschaft. Dann wäre da noch: Mario Czaja. Der Generalsekretär der Bundes-CDU und Nicht-Intimus von Wegner begibt sich zuletzt auffällig häufig wieder hinab in die Berliner Landespolitik. Jetzt kritisiert Czaja Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) und wirft ihr „Horrorszenarien“ vor, weil sie das kurzzeitige Abschalten der Stromversorgung für „vertretbar“ erklärte. Etwas eint ja Giffey und Czaja: Beide haben den Weg aus der Bundespolitik zurück aufs Berliner Parkett gesucht. Für die Abteilung Attacke ist in der Bundes-CDU offensichtlich Parteichef Merz selbst zuständig (siehe: Zitat des Tages). Sein Partei-General hat es aber ohnehin nicht so mit dem professionellen Kämpfen: 1997 folgte Czaja zweimal seiner Einberufung zur Bundeswehr nicht, musste 2000 Euro Strafe zahlen, wie jetzt die SZ herauskramte. Käme in Berlin sicher gut an, die Geschichte. | |||
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Krankenhaus, aber unglücklich. Der SPD-Abgeordnete Orkan Özdemir wartete gestern am späten Abend drei Stunden mit seiner kleinen Tochter in der Notaufnahme im St.-Joseph-Kinderkrankenhaus, wie er auf Twitter schreibt. Sie hatte 40 Grad Fieber (wir wünschen: gute Besserung!), doch niemand nahm das Kind dort auf. „Absolutes Chaos und Überforderung. Gerade wurde eine Frau einfach weggeschickt, die mit ihrem Neugeborenen ankam und kaum laufen konnte“, schreibt der Sozialdemokrat. Als sie nach drei Stunden immer noch nicht mit einer Schwester oder Ärztin gesprochen haben, fährt Özdemir zu einem befreundeten Arzt nach Hause – so ein Glück haben aber nicht alle. Özdemir schreibt: „Übrigens wurde die Frau, die weggeschickt wurde, via Krankenwagen eben eingeliefert.“ Sein Fazit: absolut traumatische Erfahrung. | |||
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Krankenhaus, aber unglücklich II: Wäre doch schön, man wüsste wenigstens, welche Rettungsstellen besonders oft voll sind – das möchte der Senat allerdings lieber nicht mitteilen. Es handele sich um „geschützte Unternehmensdaten“, schreibt Gesundheitsstaatssekretär Thomas Götz (Grüne). Das sieht aber selbst der Chef von Vivantes, Johannes Danckert, anders. Er sagte meinem Kollegen Hannes Heine: „Das Gesundheitssystem braucht einen Neustart. Der kann nur dann sinnvoll ablaufen, wenn wesentliche Daten konsequent transparent gemacht werden – beispielsweise hinsichtlich lokaler Unterschiede, die dann für eine Verbesserung der Patientenversorgung genutzt werden können.“ Die Spannbreite liegt zwischen 3200 bis 95.000 versorgten Fälle pro Notaufnahme. Es gibt also in jedem Fall „lokale Unterschiede“. | |||
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Themenwechsel: Das Schimpfen über München ist ja genauso Volkssport in Berlin wie das Schimpfen über Berlin in München. Im Podcast „Berliner & Pfannkuchen“ (hier hören, bitte) hat Berlin den pünktlich zum Oktoberfest anstehenden Vergleich (völlig überraschend) knapp gewonnen, was natürlich Kritik hervorruft: Meine Kolleginnen Ann-Kathrin Hipp und Anke Myrrhe haben bei ihrem Ranking doch glatt den „Shoppincenter Performance Report“ (SCPR) 2022 übersehen. Darin haben es gleich drei Berliner Einkaufscenter unter die Flop 10 geschafft. In den Neukölln Arcaden, dem Europacenter und im Schultheissquartier sind die Mieter im Deutschlandvergleich besonders unglücklich. Aus München ist nur das Forum Schwanthalter Höhe bei den Flops dabei. Also doch Vorteil München? Jetzt werden Sie schreien: Aber die Bierpreise auf dem Oktoberfest! Mindestens 12,80 Euro pro Maß! Ja, ist denn schon Weihnachten? Nun ja, auf dem Musikfestival Lollapalooza hat der halbe Liter am Wochenende auch sechs Euro gekostet und jede zweite Berliner Bar mit Craftbeer-Tank verkauft ihre fruchtig-ungenießbaren Eigenkreationen „mit besonderer Note“ inzwischen für 7 Euro. Das sind, Moment …, 14 Euro pro Maß. Das ist ja fast ein halbes Berliner 29-Euro-Ticket – aber das wollen uns die Bayern jetzt auch nachmachen. Darauf nen Berliner, ähh, Pfannkuchen. | |||
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