Hallo John Do,

heute schreibt Ihnen nicht Campact, sondern ich – Louis Motaal, Aktivist von Fridays for Future aus Berlin. Noch immer hüpft mein Herz, wenn ich an diesen einen Tag denke: der letzte Freitag im September, der große Klimastreik. 100.000 Menschen alleine in der Hauptstadt. Selten war ich so aufgeregt. Der Moderationszettel zitterte in meiner Hand, als ich auf die Bühne stieg. Das Bild dort war überwältigend: ein Meer aus Menschen, Schildern und Fahnen, die Wiese vor dem Bundestag bis in die hinterste Ecke gefüllt.

Diese enorme Energie von Zigtausenden Menschen brauchen wir jetzt noch einmal. Schon nächste Woche Freitag steigt der nächste Klimastreik – und diesmal fahren alle nach Berlin. Ich habe eine Bitte: Kommen auch Sie, John Do!

Wahrscheinlich fragen Sie sich jetzt: Warum denn schon wieder? Ganz einfach: Weil das Klima noch nicht gerettet ist. SPD, Grüne und FDP verhandeln gerade über die Zukunft meiner Generation. Sie werden die letzte Regierung sein, die die Klimakrise und das Artensterben noch stoppen kann. Eine historische Chance – doch es wird schwierig. Denn die FDP könnte jetzt alles vermasseln: Sie will den Klimaschutz alleine dem Markt überlassen. Und weil die Grünen unbedingt regieren wollen, könnten sie sich auf fatale Kompromisse einlassen, die das Klima weiter anheizen.

Und die SPD? „Als Bundeskanzler werde ich im ersten Jahr für Tempo sorgen“, sagte Kanzlerkandidat Olaf Scholz erst vor wenigen Wochen und versprach einen „sofortigen Neustart“ für den Klimaschutz nach der Wahl.[1][2] Ich finde: Das klingt wenig glaubhaft. Als Finanzminister hat Scholz beim Klima ordentlich gebremst.[3]Wenn wir ihn jetzt nicht auf sein Versprechen festnageln, dann war es das mit einer Politik, die das 1,5-Grad-Limit noch hält.

In den mehr als zwei Jahren bei Fridays for Future habe ich eines gelernt: Ohne unsere großen Demos bewegt sich nichts – auch nicht am Verhandlungstisch. Am Freitag, den 22. Oktober ziehen wir deswegen direkt vor die Fenster der sondierenden Wahlgewinner*innen: zum Willy-Brandt-Haus, der SPD-Parteizentrale. Seien auch Sie bei der Großdemo in Berlin dabei! Und geben Sie uns doch jetzt Bescheid, ob Sie kommen – damit wir besser planen können.

Ort: Berlin, Kanzleramt (Stadtplanlink)
Zeit: Freitag, 22. Oktober, 12 Uhr

Erst am vergangenen Wochenende stand ich am bröckelnden Rand des rheinländischen Dorfes Lützerath, blickte in den Abgrund des Tagebaus Garzweiler II. Ich konnte dabei zusehen, wie sich die Schaufel des Kohlebaggers durch die Erde frisst. Das macht mich fassungslos: Ein ganzes Dorf verschwindet, mit ihm komplette Landstriche und Existenzen – alles für klimaschädliche Kohle. Mit verschuldet hat das die Politik von SPD-Chef Olaf Scholz, der auch jetzt noch am viel zu späten Kohleausstieg 2038 festhält. Klingt so gar nicht nach „Klimakanzler“, finden Sie auch?

Und dann setzte er im Wahlkampf noch einen drauf: „Die Wissenschaft sagt auch, was ich sage“, behauptete er in einer Fernsehshow.[4] Das ist einfach falsch. Ein Kohleausstieg nach 2030 ist nachweislich nicht vereinbar mit den Pariser Klimazielen und dem 1,5-Grad-Pfad.[5]Scholz und Co. müssen jetzt beweisen, dass sie es wirklich ernst meinen. Sie müssen einen rechtzeitigen Kohleausstieg durchsetzen.

Seit 2017 gehe ich zu der jährlich stattfindenden UN-Klimakonferenz und weiss, wie sehr die Welt jetzt auf die Verhandlungen in Deutschland schaut – insbesondere auf den Umgang mit der Kohle. Wenn eine der größten Industrienationen nach jahrelangen Blockaden jetzt beim Klimaschutz durchstartet, wäre das ein mächtiges Signal an die anderen Länder. Und zwar pünktlich zur nächsten internationalen Klimakonferenz, die schon in zwei Wochen in Glasgow stattfindet.

Es ist ein Wechselbad der Gefühle. An manchen Tagen denke ich: Das schaffen wir niemals. Doch dann kommt so ein Freitag, wie der kurz vor der Bundestagswahl, an dem 620.000 Menschen mit uns auf die Straße gehen und für unsere Zukunft kämpfen. Das gibt mir wahnsinnig viel Kraft – und Hoffnung. Damit die neue Regierung die dringend notwendigen Klimaschutzmaßnahmen beschließt und umsetzt, müssen wir jetzt nochmal alles geben und jeden Menschen auf die Straße rufen. Ich frage Sie daher: Sind Sie am 22. Oktober beim Zentralstreik in Berlin dabei?

Ort: Berlin, Kanzleramt (Stadtplanlink)
Zeit: Freitag, 22. Oktober, 12 Uhr

Herzliche Grüße
Louis Motaal

PS: Viele Menschen sind beim großen Streik im September zu mir gekommen. Sie erzählten mir, dass sie einen richtigen Motivationskick spüren, der sie beflügelt, jetzt erst recht auf die Straße zu gehen. Ich hoffe sehr, dass es Ihnen auch so geht und wir uns gemeinsam am 22. Oktober zum zentralen Klimastreik in Berlin sehen! Um es Ihnen einfacher zu machen, haben wir aus vielen Orten Deutschlands günstige Anreisemöglichkeiten organisiert – sind Sie dabei?

[1]„Scholz will ‚sofortigen Neustart‘ beim Klimaschutz nach der Wahl“, Der Spiegel Online, 11. August 2021

[2]Twitter-Nachricht von Olaf Scholz (@OlafScholz) vom 4. August 2021, eingesehen am 12. Oktober 2021

[3]„Plötzlich Klimaschützer“, taz Online, 15. September 2021

[4]„Die Klimaziele von Olaf Scholz“, Die Prosieben Bundestagswahl Show, 15. September 2021

[5]„Wie viel Klimaneutralität steckt in den Wahlprogrammen?“, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, 9. September 2021