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Wochenende Kurzstrecke |
Tagesspiegel Checkpoint vom Samstag, 16.10.2021 | Bewölkt bei bis zu frischen 12°C, Schauer möglich. | ||
+ Aufarbeitung vom Wahl-Debakel: Berlin kann alles – außer alles + Koalitionsverhandlungen: sozial und ökologisch, ökosozial oder sozialdemokratisch? + BER: „Das ist ja hier alles wie in Slow Motion“ + |
von Lorenz Maroldt |
Guten Morgen, „Berlin kann alles, außer alles“ – mit diesem leicht abgewandelten Werbespruch eines südwestdeutschen Besserwisser-Ländles bilanziert der FDP-Abgeordnete Paul Fresdorf die aktuelle Lage der Stadt. Ob das für Bronze, Silber, Gold oder Blech bei der heutigen Auszeichnung der Berlinerinnen und Berliner der Woche reicht? Na, das werden wir ja gleich sehen. Hier erstmal ein kleiner Überblick: „Das Vertrauen in das ordentliche Funktionieren von Wahlen in Berlin ist erschüttert“, stellte Andreas Geisel gestern als letzter der 3.766.082 Berlinerinnen und Berliner überrascht fest. Na sowas! Bisher hatte die oberste Verwaltungsaufsicht jegliche Verantwortung für das Chaos brüsk abgewiesen, jetzt aber erklärte der Innensenator: „Ich schließe mich ganz ausdrücklich der Entschuldigung des Senats an.“ Einerseits schloss Geisel sich also an, andererseits schloss Geisel nicht aus, in diesem Fall: dass auch er die Wahl anfechtet, nachdem das bereits so ziemlich alle angekündigt haben, die den Schlamassel zu verantworten haben – die inzwischen demissionierte Landeswahlleiterin inklusive. Die hatte Geisel im Parlamentsausschuss aber auch keine Wahl mehr gelassen: In alle Vorbereitungsrunden, so erklärte es Petra Michaelis den Abgeordneten, war auch die Innenverwaltung eingebunden“. Jetzt rufen also alle „Haltet den Dieb“ – und hoffen, mit der Wahlurne unterm Arm unentdeckt davon zu kommen. Wir könnten dazu den Sozialdemokraten Heinz Buschkowsky zitieren („Bravo! Jemand hat Andreas Geisel wohl endlich aufgeweckt. Der Ankündigungssenator will Vertrauen zurückgewinnen. Ich lach mich kaputt!“), aber das lassen wir mal lieber, der ehemalige Neuköllner Bürgermeister und Giffey-Förderer ist nüchtern kaum mehr zu ertragen. Und es ist ja noch früh am Tag. Lassen wir lieber Checkpoint-Leser Jens Singer sprechen: „Sehr geehrte Damen und Herren! In meiner Karnevalsgesellschaft hatten wir Vorstandswahlen. Da war vielleicht was los. Ein Teil der Mitglieder wurde in die falsche Kneipe eingeladen, der andere gar nicht. Einige durften erst gar nicht mitwählen. Der Rest bekam falsche oder vertauschte Stimmzettel. Das Ergebnis? Wurde am Schluss nur noch geschätzt! Klar haben sich ein paar aufgeregt. Aber letztlich durften die weiter machen, die das ganze Chaos angerichtet haben. Zum Abschluss der Versammlung haben wir auf den alten und neuen Vorstand getrunken und den Schlager gesungen: Berlin bleibt doch Berlin!“ Ach ja, fast hätten wir‘s vergessen, das so genannte „amtliche Endergebnis“ liegt jetzt vorläufig vor: Demnach bleibt‘s dabei, dass die SPD mit 21,4 Prozent das schlechteste Berlinergebnis aller bisherigen Zeiten eingefahren hat. Die CDU sackte im Vergleich zur Wahlnachtzählung nochmal leicht von 18,1 auf 18,0 und die FDP von 7,2 auf 7,1, während die Linke jetzt statt 14,0 auf 14,1 kommt. Ordentlich zugelegt hat dagegen die Interventionistische Linke: Die von Sektierern eroberte Enteignungsinitiative kam nochmal auf 1,2 Punkte mehr als anfangs ausgezählt (oder geschätzt, man weiß es ja nicht so genau) – jetzt sind es 57,6 Prozent. Das letzte Wort zur Wahl hat für diese Woche Hans-Georg Kauert, Senatsdirigent a.D., Abteilungsleiter Wirtschaft und Checkpoint-Leser – er kommentiert die Dementis des Sprechers von Geisel zu den konkreten internen Vorwürfen über die Fehler der Innenverwaltung, über die wir hier exklusiv am Donnerstag berichtet hatten: „Jeder mit Ahnung von der Berliner Verwaltung weiß, dass die Insider-Berichte der Wahrheit näher sind als das Entschuldigungsgestammel der politisch Verantwortlichen. Eine desaströse Organisation, ein blödsinniger zweistufiger Verwaltungsaufbau und mangelnde Ressourcen sind die Ursache.“ | |||||
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Wir werden in den kommenden Tagen und Wochen sehr genau hinschauen, wie es weitergeht mit RGR – und ob Franziska Giffey ihre Wahlversprechen auch in einer Koalition mit der Linken halten kann (und gegen den Widerstand der Linken in ihrer eigenen Partei). Mit einem Tagespiegel-Plus-Abo verpassen Sie keine Recherche mehr, haben Zugriff auf alle Texte, die in der App und auf der Website erscheinen und erhalten auch die Checkpoint-Vollversion mit allen ungekürzten Meldungen. Wir würden uns freuen, wenn Sie unseren leidenschaftlichen Journalismus unterstützen – denn das ist unsere Berufung und unser Beruf. Sie können Sie das Abo 30 Tage lang gratis testen, danach kostet es 14,99 Euro monatlich. Sie können es ganz einfach zum Beispiel per PayPal zahlen und auch jederzeit wieder kündigen. Sind Sie dabei? Hier unter diesem Link können Sie uns testen. | |||||
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Dürfen wir die Vorfreude der künftigen Koalitionäre kurz unterbrechen für einen kleinen Hinweis? Die Basis von alledem ist eine funktionierende Verwaltung – aber der Berliner Verwaltung droht der Kollaps: Ein Drittel aller Beschäftigten wird in den kommenden Jahren altersbedingt gehen, bei denjenigen, die mit Bauen beschäftigt sind, sind es sogar 40 Prozent – und es gibt kleinen Plan, wie sie zu ersetzen sind. Die Details zum Drama hat Robert Kiesel recherchiert, seinen Bericht finden Sie hier (Abo). | |||||
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Von einer „funktionierenden Stadt“ ist Berlin jedenfalls so weit entfernt wie der Anhalter Bahnhof von einer perfekten Raststätte für Tramper – und damit werfen wir noch einen kurzen Blick zum BER: + Ein RBB-Reporter stellte gestern fest, dass alles mit mehr Leuten im Einsatz etwas besser lief – aber eine Flughafenmitarbeiterin raunte ihm dennoch entnervt zu: „Willkommen im Irrenhaus.“ (Q: Abendschau). + Dem Postillon fiel auch was ein, und zwar: „Glück im Unglück: BER-Warteschlange für Flug nach Hamburg endet in Hamburg.“ (Mit Bild) + Und eine Tochter (meine) bilanzierte ihre erste BER-Begegnung mit Check-in, Security und Getränkeverkauf gestern nach drei Stunden so: „Das ist ja hier alles wie in Slow Motion.“ Wie geht’s eigentlich weiter, wenn Ihr Koffer weg ist oder Sie wegen langer Schlangen Ihren Flug verpasst haben, aber angeblich niemand dafür verantwortlich ist? Passagiere müssen nicht alles hinnehmen und haben unter Umständen sogar Anspruch auf Schadensersatz. Nur einen Fehler dürfen Sie nicht machen – welchen, weiß Heike Jahberg, die alle Eventualitäten und Folgen hier für Sie recherchiert hat (Abo). | |||||
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So, und wer sind nun unsere Berlinerinnen und Berliner der Woche? Bronze geht an die tapferen Menschen, die sich klaglos von der Verkehrssenatorin und dem Bürgermeister von Mitte für deren Symbolpolitik als „Flaneure“ vereinnahmen lassen, nur weil sie auf der öden Friedrichstraße, die auch ohne Autos durch nichts zum Leben erweckt wird, mal kurz was erledigen müssen. Gerade wurde beschlossen: Das bleibt jetzt so. Kann man machen, nur mit „Verkehrswende“ hat das nichts zu tun. Silber bekommt der Innenausschuss, der die entscheidenden Fragen zu den Wahlpannen sehr präzise und der Würde der Sache angemessen herausgearbeitet hat. Der Innensenator hat für seine Entschuldigung auch was verdient. Aber er bekommt ja schon ein Gehalt dafür, um das zu tun, was in seiner Verantwortung steht. Gold geht in dieser Woche an Margot Friedländer – die Holocaust-Überlebende und Ehrenbürgerin der Stadt feiert zwar erst am 5. November ihren 100. Geburtstag, aber am Donnerstag wurde im Roten Rathaus der Porträtband „Ich lieb’ Berlin“ vorgestellt, für den sie noch einmal Schauplätze ihres Lebens besucht hat. Blech war wie immer die leichteste und die schwerste Kategorie zugleich. Die leichteste, weil sich dafür so viele Leute bewerben. Die schwerste, weil wir da schon wieder wählen mussten. Sehr lachen mussten wir über Mönchengladbach, deren Ämter die unbeliebtesten von ganz Deutschland sind. Und auch eine Schlagzeile der „Abendzeitung“ hat uns prächtig amüsiert: „Schlechter als Berlin – Münchens Behörden: Mangelhaft!“ Berlin schneidet bei der Umfrage allerdings nur deswegen so gut ab (immerhin Platz 12), weil wir Mitleid mit den fast immer freundlichen Beschäftigten haben (und die können ja nun wirklich nichts dafür). Blech verdient hätten auch die Kreuzberger Klassenkämpfer, die während und nach der Räumung des Bauplatzes an der Köpenicker Straße Polizisten mit Steinen bewarfen, Autos anzündeten und Läden demolierten – sie hätten sich die Auszeichnung allerdings teilen müssen mit einigen Beamten, die Journalisten an ihrer Arbeit zu hindern versuchten und zum Teil mit nicht nachvollziehbarer Gewalt auf Demonstranten einschlugen. Entschieden haben wir uns dann aber doch für den Spandauer Bürgermeister Helmut Kleebank (SPD) und seinen Stellvertreter Gerhard Hanke (CDU). Beide feiern bald ihren Abschied mit hochrangigen Gästen – die in der Einladung gebeten werden, Spalier zu stehen. Fehlt eigentlich nur noch, dass Kleebank und Hanke mit Reis beworfen werden – und ihre Nachfolger per rückwärtigem Blumenstraußwurf ermitteln. | |||||
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Vier tierische Nachrichten haben wir noch: Heute ist „Schaftag“ auf dem Tempelhofer Feld. Die Viecher haben viel zu mähen, aber wenig zu meckern: Die künftige Koalition, so ist zu hören, will vorerst keinen neuen Versuch einer Randbebauung des ehemaligen Flughafengeländes starten. Die Gentrifizierung hat jetzt auch Eugen (46) getroffen: Der Mississippi-Alligator musste seine Wohnung im Tierpark Friedrichsfelde räumen und lebt jetzt in Budapest. Die Berliner Bude wird abgerissen, auf dem Gelände entsteht ein Forschungsgebäude (und hätte ich meine Jahreskarte noch, würde ich sie jetzt den Löwen zum Fraß vorwerfen). Jetzt können Sie auch noch den Vogel des Jahres wählen – aber welcher der fünf Kandidaten soll’s denn sein? Für Entscheidungsschwache gibt es jetzt tatsächlich einen „Bird-O-Mat“, der dabei hilft, den eigenen Favoriten zu finden. Es funktioniert tatsächlich: Bei mir kam der Bluthänfling dabei heraus (welche Schlüsse auch immer sich daraus nun wieder für mich ergeben). Vielleicht probieren Sie es ja hier auch mal aus. Vom entführten und dann irgendwo in Kreuzberg freigelassenen Terrier Oskar gibt es zwar immer wieder eine Spur, aber leider noch immer keine heiße (dafür ein paar Verwechslungen). Kaia, Leni, Rike und Felix haben jetzt einen Finderlohn von 5000 Euro ausgelobt. Eine neue Suchaktion startet heute um 15 Uhr am Görlitzer Bahnhof, Ecke Wiener Straße. Weitere Infos und Bilder gibt’s hier. Und hier noch etwas aus der großen Politik: Sabine Rennefanz hat jahrelang für die „Berliner Zeirung“ gearbeitet, jetzt schreibt sie für den Tagesspiegel. In ihrer zweiten Kolumne beschäftigt sie sich mit Angela Merkel und dem Osten („Die späte Eitelkeit der Kanzlerin“) – und kommt zu einem verblüffenden Schluss. Ihr Text erscheint am Sonntag im Tagesspiegel, mit dem Plus-Abo können Sie ihn aber hier auch jetzt schon lesen. | |||||
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