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Kurzstrecke |
Tagesspiegel Checkpoint vom Samstag, 25.09.2021 | Bedeckt bei max. 18°C. | ||
+ Was Sie über den Wahltag wissen müssen + Berlinerinnen und Berliner der Woche + Checkpoint-Negativpreis geht ans „Macho-Parlament“ + |
von Lorenz Maroldt |
Guten Morgen, und herzlichen willkommen zum letzten Tag der politischen Welt, wie wir sie kennen. Ab Sonntagabend um 18 Uhr ist mit erheblichen Erschütterungen zu rechnen – ziemlicher sicher im Bund, vielleicht auch in Berlin. Bevor wir auf die finalen Umfragen blicken, schaut die Astrologin Christine Keidel-Joura noch schnell für uns nach, was in den Sternen steht: „Der Aszendent ist in Berlin bei Schließung der Wahllokale um 18.00 Uhr bereits in den Fischen. Das zeigt eine etwas verträumtere Ausgangssituation. Berlin ist damit nicht ganz so innovativ, sondern etwas chaotisch, teilweise romantisch und wohl auch etwas grüner als der Rest der Republik.“ Ok, aber wer ist Hai, wer Guppy? Da fischen wir alle noch im Trüben. Die Meinungsforschungsinstitute warnen davor, ihre Stimmungsbarometer mit Prognosen zu verwechseln. Wir sehen uns die letzten drei letzten Umfragen vor der Wahl in Berlin (Abgeordnetenhaus) dennoch kurz mal an: Civey (23.9.): SPD 24 % Grünen 18 % CDU 16 % Linke 12 % FDP 9 % AfD 8 % Sonstige 13 % Forschungsgruppe Wahlen (24.9): SPD 22 % Grünen 19 % CDU 17% Linke 13 % AfD 9 % FDP 7 % Sonstige 13 % INSA (24.9.): SPD 23 % Grünen 17 % CDU 15% Linke 14 % AfD 11 % FDP 8 % Sonstige 12 % Und was bedeutet das für mögliche Koalitionen? Viel geht, nichts muss – und der FDP-Spitzenkandidat Sebastian Czaja erhöhte kurz vor der Wahl seinen Einsatz: „Wir lassen uns von Franziska Giffey nicht zum Steigbügelhalter einer Linkskoalition light machen“, rief er am Freitag auf der Abschlussveranstaltung seiner Partei – aber Senatoren reiten ja bekanntlich selbst. Die FDP saß zuletzt 1989 in einem Berliner Senat, da war Czaja 5 Jahre alt. Seine Partei wird lieber irgendwie mitregieren wollen, als wieder gar nicht zu regieren. Weitere mögliche Koalitionen und ihre Chancen finden Sie hier. Über diesen Wahlkampf wird ja oft behauptet, es sei zu wenig um Inhalte gegangen. Mag sein. Wir haben uns jedenfalls genau angeschaut, was die Parteien versprechen zu tun – und was sie verhindern wollen. Die Analyse unseres Innovation-Labs zeigt ganz genau, welche Koalitionen in Berlin die größten Differenzen hätten – und welche funktionieren würden. Bereiten wir uns also auf eine spannende Nacht vor, die so lang sein wird, wie die Wahlzettel in Berlin (in manchen Bezirken 2,19 Meter – mehr Kreuze waren bei einer Wahl nie zuvor in Berlin zu machen). Hier zu Ihrer Orientierung ein kurzer Überblick, wann welche Ergebnisse zu erwarten sind: Mit einem Auszählungsstand von 10 %, der einigermaßen aussagekräftige Hochrechnungen ermöglichen sollte, rechnet die Landeswahlleitung ab ca. 19:30 Uhr bei der Bundestagswahl, ab ca. 20:00 Uhr bei der Zweitstimme Abgeordnetenhauswahl, ab ca. 20:30 Uhr bei der Erststimme Abgeordnetenhauswahl, ab ca. 20:45 Uhr bei der BVV-Wahl, und ab ca. 21:00 Uhr beim Volksentscheid. Gegen 1:30 Uhr wird das vorläufige Ergebnis der Bundestagswahl erwartet. Außerdem wichtig zu wissen: Die Auszählung wird nicht um 3:30 Uhr unterbrochen, wie es zwischendurch hieß – es geht die ganz Nacht durch (und auch den nächsten Tag, wenn es nötig ist). Die Wahlkreisergebnisse kommen für alle vier Wahlen immer regelmäßig mit, sobald 10 % der Stimmen der jeweiligen Wahl ausgezählt sind. Auswertungen nach Stimmbezirken (Wahlbüro-Ebene) kommen immer erst, wenn alle Stimmen einer Wahl ausgezählt sind. Der Volksentscheid wird als letztes ausgezählt – vor Montagmorgen ist da kein Endergebnis zu erwarten. Auf dem Weg zum Wahllokal müssen rund 41.500 Berliner die Marathonstrecke kreuzen – wie Sie durchkommen, erfahren Sie hier. Die Landeswahlleiterin bittet darum, eigene Stifte ins Wahllokal mitzubringen (nein, kein Witz) – und sich vorher zu informieren, wen man wählen will, damit es nicht zu langen Staus kommt (um 18 Uhr ist in jedem Fall Schluss). Alle Stimmzettel mit allen Parteien und Namen (bezirksgenau) können Sie sich hier schon mal anschauen. Der Bundespräsident geht übrigens in der Erich-Kästner-Grundschule wählen (Bachstelzenweg 2-8) – falls Sie immer noch nicht wissen, was Sie wählen sollen, können Sie ihn dort um 10:30 Uhr um Rat fragen. Und das erwartet Sie beim Tagesspiegel: Wir werden die ganze Nacht durch (und selbstverständlich auch am Montag) alle Ergebnisse (Bund, Berlin, Bezirke, Volksentscheid) auf tagesspiegel.de sofort veröffentlichen, aktualisieren, visualisieren und analysieren – pausenlos. Ab 18 Uhr können Sie am Sonntag per Livestream auf tagesspiegel.de unsere Wahlparty im „Borchardt“ verfolgen – neben vielen Bundes- und Landespolitikern erwarten wir auch Franziska Giffey, die von Stephan-Andreas Casdorff interviewt wird. Gegen 19.30 erscheint unser Tagesspiegel-E-Paper (Montagausgabe) mit den ersten Ergebnissen, Stellungnahmen und Analysen. Um Mitternacht veröffentlichen wir eine vollständig aktualisierte Ausgabe unseres E-Papers. Gegen 5 Uhr am Montag erscheint eine Checkpoint-Sonderausgabe mit allen verfügbaren Ergebnissen, Schwerpunkt Berlin. Gegen 6 Uhr verschicken wir unsere neue Morgenlage (Newsletter) mit einem besonderen Blick auf die Ergebnisse im Bund. Gegen 7 Uhr erscheint ein komplett erneuertes E-Paper mit allen Ergebnissen. Am Vormittag schicken wir Ihnen eine weitere Checkpoint-Ausgabe mit Einzelergebnissen und Analysen zu. Am Nachmittag erscheinen 12 Sonderausgaben unserer „Leute“ Bezirksnewsletter mit allen Einzelergebnissen (Agh und BVV) – mehr dazu hier. Übrigens: Wir würden uns sehr freuen, wenn Sie unsere Arbeit mit einem Tagesspiegel-Abo unterstützen (print oder digital) – Sie haben dann freien Zugriff auf alle unsere Texte und auch auf die Checkpoint-Vollversion. Alle Angebote finden Sie hier. | |||
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Wir kommen zur Ehrung der Berlinerinnen und Berliner der Woche mit den Checkpoint-Medaillen in Bronze, Silber, Gold und Blech. Bronze: Egal, ob auf der Berliner Demo mit Greta Thunberg gestern nun 10.000 (Polizei) oder 100.000 (Veranstalter) zumeist junge Leute waren: Ohne „Fridays for Future“ wäre der Klimawandel wohl auch in diesem Wahlkampf nur am Rande abgehandelt worden – so aber war das Thema in jedem Wahlprogramm präsent (ok, in fast jedem; es gibt ja noch AfD). Von jetzt an muss sich die Politik parteiübergreifend an ihren eigenen Worten messen lassen. | |||
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Silber: Das gestern veröffentlichte neue Album der „Ärzte“ hat die Produktion dieses Checkpoints erheblich gefährdet. Im letzten der 19 Songs feiern Farin Urlaub und Bela B. das höchste Fest der Demokratie: „Immer nur zu meckern auf das blöde Scheiß-System, das ist schön bequem. Wie wär’s mit wählen gehen?“ Nur Rod fand das etwas platt, darum heißt das Lied der drei Berliner auch „Our Bass Player Hates This Song“. Zwinkersmiley. | |||
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Gold: Eigentlich wollte ich die Wahl raushalten aus der Medaillenvergabe in dieser Woche – doch dann habe ich die Geschichte unserer Volontärin Maria Kotsev über die Jungpolitikerin Noreen Thiel gelesen (heute auf den Seiten „Mehr Berlin“ oder hier online im Abo). Die 18-Jährige ist die jüngste Bundestagskandidatin – und leidet an Depressionen. Ihr Therapeut hatte abgeraten: „Die machen dich alle fertig.“ Und tatsächlich bekam Noreen Thiel schon sehr bald zu spüren, was er meinte. Sie machte weiter – und ließ sich fünf Wochen lang von Maria Kotsev begleiten. Gold geht in dieser Woche deshalb an alle, die so mutig und stark sind, ihre Schwäche zu zeigen, besonders in der Politik – allen Anfeindungen und Verletzungen zum Trotz. | |||
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Blech: Und gleich der nächste Verstoß gegen die selbstauferlegte Wahlabstinenz bei der Medaillenvergabe – aber am „Macho-Parlament“ kommen wir in dieser Woche nicht vorbei (schon gar nicht nach der Vergabe der Goldmedaille). Sonja Wurtscheid und Margarete Gallersdörfer haben sich angehört, mit welchen Sprüchen männliche Abgeordnete (vor allem der Oppositionsparteien) in der vergangenen Legislaturperiode in Berlin versucht haben, vor allem junge Politikerinnen zu verunsichern und fertig zu machen. „Wie viele Kinder haben Sie überhaupt schon bekommen?“, rief zum Beispiel Georg Pazderski von der AfD der Linken-Fraktionsvorsitzenden Anne Helm zu. Für den Ex-Offizier sind die Rollen beim Dienst am Volk offenbar klar verteilt: Männer wie er greifen zur Waffe, Frauen wechseln die Windeln. Was für eine beschissene Vorstellung. | |||
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