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Kurzstrecke |
Tagesspiegel Checkpoint vom Dienstag, 21.09.2021 | Geschlossene Wolkendecke, abends leichter Regen bei max. 16°C. | ||
+ Alles da: 16-Jährige bekommen komplette Wahlunterlagen + Alleinstellungsmerkmal Auto: FDP-Chef Sebastian Czaja im Wahltalk + Verfahren im Wahlkampf: BVG-Personalrat greift Senatorin Pop an + |
von Anke Myrrhe |
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Guten Morgen, die einen würden gern und dürfen (noch) nicht, andere dürfen und wollen nicht (Abhilfe hier), manch einer bekommt die Unterlagen doppelt, andere hätten gern längst und dürfen noch nicht, manche bekommen zu wenig (bis gar nichts), andere viel zu viel (dazu gleich mehr). So viel Unsicherheit war selten bei einer Wahl: Kommen die Briefunterlagen noch rechtzeitig (in fünf Tagen ist Finale) – und wenn ja: Sind es auch die richtigen? Ein 16-Jähriger aus Steglitz-Zehlendorf hatte gestern einen etwas zu dicken Umschlag im Briefkasten. Sein Vater hatte für ihn die Unterlagen für die BVV-Wahl beantragt (hier sind 16-Jährige schon stimmberechtigt), bereits das erwies sich als schwierig: „Erstmal hing ich eine dreiviertel Stunde in der Warteschleife, bevor mir eine schlecht gelaunte Mitarbeiterin beim Wahlamt Steglitz zuraunzte, ich solle mich doch bitte bei der PIN AG beschweren.“ (Dazu gleich mehr). Als die Unterlagen zwei Wochen später endlich eintreffen, ist der Umschlag viel dicker als erwartet: Zwar steht auf dem Wahlschein das korrekte Geburtsdatum des Sohnes und „Nur BVV-Wahl“, trotzdem sind alle anderen Stimmzettel ebenfalls dabei, auch für Bundestagswahl, Abgeordnetenhaus und Volksentscheid. Auf der beiliegenden Anleitung steht, dass alle Stimmzettel auszufüllen und in den blauen Umschlag zu legen sind, der zugeklebt werden soll. Mindestens ein weiterer Fall aus Friedrichshain-Kreuzberg ist dem Checkpoint bekannt, außerdem der Fall eines EU-Bürgers, der zwar auch nur bei der BVV stimmberechtigt ist, es aber ebenfalls ganz dicke in den im Briefkasten bekam (auch die BZ berichtet über einen solchen Fall in Mitte). „Ob ich nun auch gewählt habe, fällt allerdings unter das Wahlgeheimnis“, sagt der Checkpoint-Leser. Könnte das überhaupt noch jemand nachvollziehen? Wird nicht alles getrennt voneinander (und vom Wahlschein) ausgezählt? „Die von Ihnen geschilderten Fälle sind inakzeptabel und dürfen nicht vorkommen“, sagt Geert Baasen, Leiter der Geschäftsstelle der Landeswahlleiterin Berlin, dem Checkpoint. „Die Bezirkswahlämter haben mir versichert, dass Vorkehrungen getroffen wurden, um die korrekte Versendung der Unterlagen sicherzustellen. Es kann sich also nur um wenige Einzelfälle handeln.“ Aus den Bezirkswahlämtern war gestern keine Stellungnahme zu bekommen. Baasen aber ist sich sicher: „Aus dem Wahlschein, der vom Briefwahlvorstand geprüft wird, ergibt sich die beschränkte Wahlberechtigung. Ich gehe davon aus, dass das Entdeckungsrisiko am Wahltag hoch ist.“ Da sind sie wieder, die Einzelfälle, von denen uns inzwischen Duzende gemeldet wurden (Danke dafür!). Hier ein buntes Potpourri der wahlamtlichen Unzulänglichkeit: +++ Falscher Wahlkreis: Reiner Nitschke hat die Unterlagen für den falschen Wahlkreis bekommen: „Wohne im Wahlkreis 78 Charlottenburg und habe für die Bundestagswahl einen Wahlschein für Spandau Wahlkreis 80 erhalten. Wiederholt in der Wahlkreisleitung angerufen. Keiner geht ran. Berlin, wie es singt und wählt.“ +++ Lange Wartezeit: Von fünf Wochen und mehr berichten uns verschiedene Leser. Dabei hängt es offenbar weder vom Bezirk noch von der Art des Antrags ab (wobei die Evolutions-Extreme QR-Code und Fax offenbar leicht im Vorteil sind). Ein Leser beendet seinen Urlaub früher, weil seine Unterlagen nicht rechtzeitig kamen: „Ich erhielt erst am 2. September meine Wahlbenachrichtigung“, schreibt er. Noch am selben Tag beantragte er die Unterlagen online, da er ab dem 11. September in den Urlaub fahren wollte. „Ich hätte erwartet, dass in so einem Fall Briefwahl möglich ist. Das hat aber leider nicht geklappt. Die Verwaltung hatte neun Tage Zeit, die Briefwahlunterlagen zuzusenden, hat aber, wie meine Nachbarin mir dann berichtete, zwölf Tage benötigt. Da war ich leider schon im Urlaub. Ich bin nun gezwungen, meinen Urlaub früher als geplant zu beenden, um noch vor Schließen des Wahllokals zurück zu sein.“ +++ Das große Nichts: Bei zwei Lesern (Friedrichshain-Kreuzberg und Brandenburg) ist der Antrag auf Briefwahl nicht angekommen bzw. verloren gegangen, wie sich auf Nachfrage herausstellte. +++ Große Unterschiede: Teilweise haben Paare, die gleichzeitig ihre Unterlagen an dieselbe Adresse beantragt haben, sehr unterschiedlich lange warten müssen. +++ Schuld sind die anderen: Einige Rückmeldungen weisen darauf hin, dass nicht die Behörden, sondern die Pin-AG Schuld an der Verzögerung sein könnte: „Meine Briefwahlunterlagen, angefordert Ende August, wurden mir am Sonntag (!), 12.9., zugestellt“, schreibt uns ein Leser. Poststempel: 1.9.2021. „Insofern kann ich dem Bezirksamt Mitte allenfalls die Wahl eines schludrigen Postdienstleisters vorwerfen.“ Die Vermutung, dass die Pin-AG die Briefe bündelt und dann erst ausliefert, wird von anderen Leserinnen gestützt. Und auch im Wahlamt Schöneberg heißt es: Die Unterlagen seien dort binnen drei Tagen verschickt worden, die PIN-AG sei jedoch mit der Zustellung überfordert. Schlechte Nachricht: Je später es werde, desto länger dauere es. (Also lieber doch ins Wahllokal!) Von der Pin-AG war gestern keine Stellungnahme zu bekommen – vermutlich Überforderung. +++ Zum Schluss aber noch ein paar positive Meldungen (es ist schließlich nicht alles schlecht, selbst in Berlin): Einige Leser hatten ihre Unterlagen bereits am nächsten Tag im Briefkasten, andere nach zwei Tagen. Selbst aus Schweden berichtet man uns von sensationellen fünf Tagen (ob Rentiere involviert waren, ist nicht bekannt). Bei einem anderen Leser hängen die Unterlagen seit zehn Tagen im Zoll in São Paulo fest. Aber da kann in Berlin nun wirklich niemand etwas dafür. | |||
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Apropos unzulänglich: So empfindet naturgemäß auch Sebastian Czaja (FDP) als aktueller Oppositionspolitiker (der Letzteres naturgemäß gern ändern würde) die Arbeit des rot-rot-grünen Senats: In der vierten Runde unserer Wahlkampftalk-Reihe wurde Czaja gestern von unserer Expert:innen-Runde gegrillt. Und wer jetzt die Antwort auf die Frage unseres Grillmeisters Robert Ide, wo den Czajas gelbe Linien liegen („Ich werde hier heute keine roten Linien ziehen“) als weitere Annäherung an die SPD versteht, dem hat Czaja gleich zu Beginn den Spekulationsboden weggerissen: „Die FDP möchte kein Mietmoratorium, das steht auch in keinem Programm bei uns. Das ist keine Begrifflichkeit von mir.“ Stimmt, die stammt ja von Franziska Giffey (CP von gestern). Was also möchte die FDP? Hier die farbenfrohe Zusammenfassung: +++ Wohnen: „Wir haben in Berlin eine Leerstandsquote von 0,8 Prozent. In den letzten Jahren war die Bauleistung nicht genügend. Das ist die soziale Frage unserer Stadt, die wir dringend beantworten müssen: Mit einer mietsenkenden Neubauoffensive und dem Umsteuern von Objekt- auf Subjektförderung, um den Einzelnen zu unterstützen, der in eine Notlage geraten ist.“ Außerdem geplant: ein Mieten-TÜV und mehr Eigentumsförderung. +++ Klima: „Wir erkennen die globale Klimakatastrophe an. Wir halten das für eine Gesamtaufgabe.“ +++ Bildung: „Ich möchte nicht mehr, dass der Zufall der Geburt dafür entscheidet, welche Bildungschancen oder Chancen ich in meinem Leben habe. Deshalb ist es uns wichtig, in die Bildungslandschaft zu investieren.“ Mit einem besseren Betreuungsschlüssel (110 Prozent) und einer Neujustierung des Digitalpakts. „Wir wollen den Schulen eigenverantwortliches Budget geben.“ +++ Verwaltung: Wichtig sei es, „zuerst klare Zuständigkeiten zu schaffen. Weil momentan vier Senatsverwaltungen zuständig sind, um ein Schulko zu sanieren, das sind drei zu viel.“ Czaja will Aufgaben priorisieren: „Nicht jeder Gastronom muss ein Genehmigungsverfahren durchlaufen, wenn er einen Stuhl auf die Straße stellen will.“ Und erst, wenn die Prozesse optimiert sind, digitalisieren: „Ein digitalisiertes Pingpong mag zwar schön sein, aber hilft nicht.“ +++ Verkehr: „Wir müssen eine wachsende Stadt dreidimensional nutzen.“ Parkplätze unterirdisch und Sonstiges nach oben bauen. Die Frage lautet für ihn: Gibt es eine Möglichkeit, die unterschiedlichen Interessen der Verkehrsteilnehmer nebeneinander zu organisieren? Heißt: Keine Verbote, kein Tempo 30 (stattdessen: Verkehr nach Aufkommen schalten, nach Vorbild der Heerstraße). „Wenn ich damit ein Alleinstellungsmerkmal habe in der Stadt, dann ist das so“, sagte Czaja. „Der, der sein Auto braucht, der soll es auch nutzen können.“ Das Angebot zu verbessern, reiche nicht aus, um Menschen zum Umsteigen zu bewegen, konterte Co-Moderatorin Carla Siepmann, Schülerin des Carl-von–Ossietzky-Gymnasiums in Pankow. Auf ihrem Schulweg zur Florastraße sei die Anbindung hervorragend: S-Bahnen, Busse, U-Bahnen, Straßenbahnen. „Und trotzdem, jeden Morgen, selbst zur Mittagszeit: pure Blechlawine. Ich finde, ihr Argument zieht nicht“, sagte Siepmann. „Sie versuchen etwas zu belegen, was so nicht zu belegen ist.“ Auch Busfahrerin Susanne Schmidt war offenbar nicht glücklich mit Czajas Ausführungen zum Verkehr, der sich vor allem um die bessere Anbindung der Außenbezirke bemühen will: „Sie würden den Innenstadtverkehr so lassen, wie er jetzt ist?“, fragte Schmidt. „Beim Radverkehr geht es uns vor allem um die Sicherheit“, sagte Czaja und führte Möglichkeiten der räumlichen Trennung aus „da, wo wir Platz haben“. Ansonsten: Nebenstraßen nutzen mit klarer Priorität, um Konfliktsituationen zu entschärfen, und Ampelschaltungen trennen. „In LA hat man das gerade digital gemacht. Wieso sind wir in Berlin nicht bereit, in einer Senatsverwaltung für Wirtschaft, Innovation und Digitalisierung solche Dinge mit vorzudenken und voranzutreiben. Und in gemeinsamem Regierungshandeln die großen Herausforderungen der Stadt anzugehen und damit Schaufenster für Deutschland und Europa werden für Dinge, die funktionieren in der Stadt?“ Sicher gern (so konkret wurde er nicht) mit ihm als Senator. Die ungeschnittenen Zukunftsvisionen gibt es hier, den Bericht meiner Kollegin Sabine Beikler hier. Und morgen geht es schon weiter mit noch mehr Außenring-Perspektiven des Spandauers Kai Wegner (CDU), ab 18 Uhr unter tagesspiegel.de/live. | |||
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Apropos Visionen: Rund 3300 Kitaplätze aus Holz wollte das Land bauen lassen. Das war 2017, und 2019 sollten die ersten Kinder einziehen. Da sich zunächst kein Bauherr für die rund 30 modularen Kitabauten („Mokibs“) fand (Grund: hochtrabende Konditionen), musste erneut ausgeschrieben werden. Das Projekt verteuerte sich derart, dass die 74 Millionen Euro aus dem Sondervermögen Infrastruktur nur noch für neun Kitas mit 1224 Plätzen reichten. Zum gestrigen Richtfest (Weltkindertag) einer der Kitas in Neukölln war davon allerdings keine Rede mehr, vielmehr nutzte Stadtentwicklungssenator Sebastian Scheel (Linke) die Gelegenheit wahlkampftauglich für ein Zusammenschmelzen der Tatsachen: Das „ehrgeizige Ziel“ des Programms wird nun damit angegeben, 1224 Kitaplätze zu errichten – so, als hätte es die 3300 (und die Verdopplung der Kosten) nie gegeben. Die ersten Kitas seien „bereits“ fertiggestellt, sagte Scheel – zwei Jahre nach der geplanten Eröffnung. Da wurden ein paar Bretter wohl fälschlicherweise woanders hingenagelt. | |||
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Apropos Bretter vor Köpfen: Die Wahlkampf-Affäre bei der BVG nimmt so langsam richtig Fahrt auf. Hat Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) via BVG-Chefin Eva Kreienkamp versucht, eine Top-Managerin der Verkehrsbetriebe kaltzustellen, weil Ute Bonde in Kai Wegeners Team als mögliche CDU-Verkehrssenatorin bereitsteht (CP von gestern)? „Ich finde unglaublich, was da passiert ist“, sagte der Vorsitzende des Gesamtpersonalrats der BVG, Lothar Stephan, gestern Abend meinem Kollegen Kevin P. Hoffmann (der die Sache am Wochenende im Tagesspiegel aufgedeckt hatte, alle Hintergründe hier). „Dass eine Managerin solche Maßnahmen und Druck erfährt, nur weil sie offenbar anders politisch orientiert ist als unsere Vorstandsvorsitzende und Aufsichtsratschefin, ist nicht hinnehmbar.“ Stephan ist auch Pops Stellvertreter im Aufsichtsrat der BVG. „Unsere Arbeit wird künftig sehr schwierig werden, so lange dieser Vorgang nicht lückenlos aufgeklärt ist.“ Hier wäre eigentlich Ramona Pop am Zug. Doch die verweigert bislang jegliche persönliche Aussage – und bremst so die Aufklärung aus. | |||
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