dass sich in Deutschland längst viele Dinge in die falsche Richtung bewegen, daran haben wir uns gewöhnt. Egal, haben wir dann meistens gesagt, Hauptsache es bewegt sich überhaupt noch was! Und jetzt also geht gar nichts mehr. Ein wirklich komisches Gefühl. Alle Räder stehen still, weil der starke Arm der EVG es will. Ein Warnstreik legt große Teile des öffentlichen Verkehrs lahm, weil die Gewerkschaften auf diese Weise Druck auf die Arbeitgeber ausüben wollen. Ihr Ziel: Im neuen Tarifvertrag sollen die massiven Reallohnverluste sozial abgefedert werden. Unser Autor Rainer Balcerowiak hat dafür durchaus Verständnis. Für ihn ist der heutige Streik ein deutliches Signal – auch für neue Debatten über das Streikrecht. Ganz anders sieht das unser Innenpolitik-Chef Volker Resing, der hinter dem heutigen Bahnstreik nur eine Machtdemonstration der Bahngewerkschaft EVG wittert, die ihre Rolle im Konzern stärken will und Bremserin bei Reformen ist. Dafür, glaubt Resing, haben viele Kunden kein Verständnis. Und ob der große Streik am Ende den Mitarbeitern nutzt, ist offen. Für Resing ist daher klar: Es gibt kein richtiges Streiken im Falschen. Hier jedenfalls streiken die Falschen für das Falsche. Statt Streik empfehlen wir bei Cicero daher heute einmal: Frühjahrsputz. Zum Beispiel mit Boris Pistorius bei der Bundeswehr. Der nämlich muss die Armee mit grundlegenden Strukturen verändern, und das immer im Wettlauf mit der Zeit. Die großspurigen Versprechen des Kanzlers machen das Großreinemachen des Verteidigungsministers nicht unbedingt leichter, glaubt Cicero-Gastautor Ludger Möllers, der sich die Zeitenwende bei der Bundeswehr einmal genauer angeschaut hat. Apropos anschauen: Mein Kollege Ben Krischke hat gestern mal bei Anne Will reingezappt. Am Abend des gescheiterten Berliner „Klimaentscheids“ wurde dort über Strom, Wärme und Antriebstechnologien diskutiert. Konsens, so Krischke, herrschte darüber, dass Deutschland bei der Wärmewende hinterherhinke. Da war es doch ein Glück, dass eine echte Expertin mit in der Talk-Runde saß, schreibt Krischke aus seinem Fernsehsessel. Dort, im Fernsehsessel, scheinen dieser Tage übrigens auch viele Regierungsmitglieder zu sitzen. Anders ist es für unsere Gastautorin Andrea Knipp-Selke nicht zu erklären, dass es von Seiten der Politik nun so oft heißt, wir seien als Gesellschaft gut durch die Pandemie gekommen. „Gut durchgekommen?“, fragt Knipp-Selke entsetzt: Besonders Kinder und Jugendliche hätten mehr unter den Maßnahmen als unter dem Virus gelitten. Und die Folgen von Lockdowns und Schulschließungen seien verheerend. Von wegen „gut durchgekommen“! Für unsere Autorin ist das eine hohle Phrase. In Israel gibt es seit Monaten gibt es heftige Proteste gegen die geplante Justizreform, die die Macht des Obersten Gerichts begrenzen soll. Jetzt wird das Vorhaben vertagt. Mein Kollege Ingo Way fragt: Ist das wirklich ein Sieg für die Demokratie? Ihr Ralf Hanselle, stellvertretender Chefredakteur |