Liebe/r Leser/in, die SPD ist reich an Geschichten von bitteren Niederlagen und gefallenen Helden. In dieser Woche wurde ein neues Kapitel aufgeschlagen. Und es zeichnet sich ab, dass es auch dieses Mal kein Happy End geben wird. Mehr als ein Jahr vor der nächsten Bundestagswahl präsentierten die SPD-Chefs Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans einen Kanzlerkandidaten. Der Finanzminister Olaf Scholz soll die einst so stolze Partei als Spitzenkandidat bis Herbst 2021 so stark machen, dass er im Herbst 2021 ins Kanzleramt einziehen kann. Er traue sich ein Ergebnis „deutlich über 20 Prozent“ zu, sagte Scholz nach der Nominierung am Montag. Ich sehe in der Personalie wenig Machtperspektiven. Selbst unter der Annahme, Scholz würde sein selbst gestecktes Wahlziel von „deutlich über 20 Prozent“ erreichen, bräuchte er mindestens zwei Koalitionspartner. Die Grünen und die Linkspartei kommen theoretisch für ein solches Bündnis infrage. Doch für die Grünen dürfte es viel interessanter sein, nach der Bundestagswahl in ein Bündnis mit der Union einzusteigen. Denkbar wäre auch eine Ampelkoalition mit Grünen und FDP. Aber ich habe Zweifel, ob die SPD-Spitze um Esken, Walter-Borjans und Kevin Kühnert überhaupt Gespräche mit den von ihnen so oft geschmähten „Neoliberalen“ zulassen würde. Denn die drei wollen die SPD möglichst weit links positionieren. Selbst Forderungen nach Enteignungen und die Verstaatlichung von Konzernen wie BMW sind bei ihnen kein Tabu. Olaf Scholz wird im Wahlkampf seine Mühe haben, die Sozialismus-Fantasien seiner Spitzenleute zu bändigen. Gelingt es ihm nicht, wird die SPD einmal mehr als zerrissene Partei in eine Bundestagswahl schlittern. Die Wähler werden so etwas nicht goutieren. Zudem hat Olaf Scholz noch ein weiteres Problem – die Wirecard-Affäre. Im Skandal um den mittlerweile insolventen Zahlungsabwickler schauten offenbar viele Beamte aus seinem Verantwortungsbereich weg – trotz erdrückender Hinweise. Es geht um Bilanzfälschung im Milliardenbereich. Und einen sozialdemokratischen Ressortchef, der von alldem offenbar nichts mitbekommen hat – oder nichts mitbekommen wollte? Für mich steht fest: Solange Olaf Scholz den wohl größten deutschen Betrugsfall nicht aufgeklärt hat, kann er nicht guten Gewissens Kanzlerkandidat sein. Der Finanzausschuss des Bundestags hat Scholz bereits vorgeladen. Im Herbst könnte ein Untersuchungsausschuss folgen. Es sieht nicht nach einem Happy End aus. |