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Liebe/r Leser/in,

seit Donnerstag, 4 Uhr, ist es Gewissheit: Wladimir Putin führt Krieg gegen die Ukraine! Seine Skrupellosigkeit wurde von vielen Staaten unterschätzt – auch von Deutschland.

Wenn man heute, vor dem Hintergrund der dramatischen Ereignisse, die 16 Kanzlerjahre von Angela Merkel in den Blick nimmt, dann fällt mir ein durchgängiges Muster auf: Merkels unnachahmliche Kunst, Konflikte und Problemlagen einzufrieren.

Da sind zum Beispiel die Vereinbarungen von Minsk 2014/2015 zur Eindämmung
der Kämpfe in der Ukraine. Deren Paten waren Deutschland und Frankreich in den Normandie-Verhandlungen mit Russland und der Ukraine. Die erste Vereinbarung von Minsk zwischen Russland, der Ukraine und der OSZE sowie in Anwesenheit von Vertretern der Separatisten wurde im September 2014 unterzeichnet. Doch schon im Januar 2015 brachen in der Ostukraine erneut schwere Kämpfe aus, sodass Minsk II fällig wurde.

Heute kann man bilanzieren: Alle wesentlichen Maßnahmen der Vereinbarungen von Minsk wurden nicht eingehalten oder offen behindert, wobei sich die prorussische Seite besonders hervortat. Dennoch behaupteten sogar jüngst noch deutsche Kanzler und französische Präsidenten unverdrossen, die Minsker Vereinbarungen seien der einzige Weg zu dauerhaftem Frieden. Russlands Machthaber hielt kühl entgegen, sie seien seit Jahren tot.

Ein anderes Beispiel ist der Beitritt der Ukraine, den die Nato dem Land (zusammen mit Georgien) auf ihrem Gipfel 2008 in Bukarest in Aussicht gestellt hatte. Der damalige US-Präsident George W. Bush wollte seinerzeit einen schnellen Beitritt, Merkel war – zusammen mit Frankreich und Italien – dagegen. Und der damalige Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier verschwieg auch nicht, aus welchem Grund: Man wolle keine Belastung der Beziehungen zu Russland. Und in der Tat wurde Merkel ja bis zuletzt eine besonders gute Beziehung zum Dauer-Kremlchef nachgesagt.

Minsk und Bukarest standen zunächst für Erfolge der Kanzlerin, der man über Jahre nachsagte, sie denke als Physikerin auch in der Politik die Dinge vom Ende her. Aus heutiger Sicht will mir scheinen, dass das Gegenteil eher zutrifft: Merkel hat den eigentlichen Konflikt um den Nato-Beitritt seit 2008 nicht wirklich gelöst – weder durch Aufnahme der Ukraine in das westliche Bündnis noch durch deren endgültige Absage. Sie hat vielmehr zum Mittel des diplomatischen Vereisungssprays gegriffen. Im Sport wird eine akute Verletzung im Spiel oder Wettkampf vereist, damit der Sportler noch weitermachen kann. Danach wird die eigentliche Verletzung behandelt und auskuriert.

Auf diesen entscheidenden, zweiten Teil der Behandlung aber hat Merkel mehr als einmal verzichtet. Die Vereinbarungen von Minsk haben die Spannungen in der Ostukraine, die nicht zuletzt Ausfluss des Konflikts um die Nato-Frage sind, nicht für einen einzigen Tag gelöst, sie haben sie lediglich für kurze Zeit eingefroren. Mit der Weigerung eines Russlands unter Putins Führung, den Nato-Beitritt der Ukraine egal unter welchen Umständen zu akzeptieren, haben sich Merkel sowie ihre Partner Frankreich und Italien nie wirklich auseinandergesetzt. Und sie haben die kalte Entschlossenheit des 69-jährigen Ex-Spions in Moskau nicht ernst genommen, der weiß, dass er nicht mehr ewig Zeit hat, und der deshalb jetzt seinen Eintrag in die imaginären Geschichtsbücher als Bewahrer der Einheit der Völker Russlands erzwingen will – wie sich jetzt herausstellt auch mit militärischer Gewalt.

Bei genauerer Betrachtung kann man zu dem Ergebnis kommen, dass Merkel mit dem Vereisungsspray auch in anderen Krisen gearbeitet hat. So ist der Konflikt in der Eurozone um die Finanz- und Haushaltsstabilität noch immer quick­lebendig. Und seit Monaten hört und liest man wieder von steigenden Flüchtlingszahlen. Vor allem aber in einem Bereich sind die Probleme komplett aufgetaut: in der Energiewende und beim Klimaschutz. Der Ausstieg aus der Kernkraft nach Fukushima folgte ebenso wenig einer langfristigen Strategie wie der aus der Kohlenutzung. In beiden Fällen standen partei-, koalitions- und wahltaktische Überlegungen im Vordergrund. Und in beiden Fällen hat Merkel anschließend versäumt, die notwendigen Konsequenzen für eine sichere Energieversorgung zu schaffen – was zurückführt zum Konflikt mit Russland um die Ukraine und eben um die russischen Gaslieferungen.

Ich finde es interessant, darüber nachzudenken, was geschehen wäre, wenn Präsident Bush sich 2008 mit der Forderung nach einem schnellen Nato-Beitritt der Ukraine gegen damals schwache Russen durchgesetzt hätte. Möglicherweise wäre uns dieser Krieg erspart geblieben. Aber vielleicht lassen sich in der Politik viele Probleme auch gar nicht lösen, sondern bestenfalls vereisen, damit man den Schmerz weniger spürt.

Mit vielen Grüßen,

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Robert Schneider,
Chefredakteur FOCUS-Magazin

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