|
Kurzstrecke |
Tagesspiegel Checkpoint vom Donnerstag, 07.01.2021 | Nach wie vor 1°C bei Schneeschauer. | ||
+ Sturm aufs Kapitol in den USA + Präsenzunterricht in Berliner Schulen ab kommendem Montag + Weiterer Corona-Impfstoff zugelassen + |
von Julius Betschka |
|
Guten Morgen, Washington. Was für eine Nacht. Trump-Anhänger stürmen das Kapitol, vier Menschen sterben, der Mob wird angeheizt vom Präsidenten selbst. Polizisten und Putschisten stehen sich bewaffnet im Plenarsaal gegenüber, das Herz der amerikanischen Demokratie wird überrannt. Während Schwarze Menschen bei Verkehrskontrollen fürchten müssen, erschossen zu werden, schießen die weißen Trumpisten im Kongress Selfies mit Polizisten und entwenden grinsend das Inventar des Hauses als Trophäen dessen, was sich letztlich als Dilettanten-Aufstand herausstellt. Schockierend ist die Gelassenheit anzusehen, mit der sich die Männer im Parlament bewegen. Schockierend sind die Worte der GOP-Abgeordneten, die (angeblich) entsetzt sind, und deren Opportunismus genauso schuldig an der Revolte ist wie der scheidende Präsident selbst. Nein, es ist nicht nur sein Werk. CNN-Moderator Van Jones fragte irgendwann: „Ist das hier das Ende von etwas oder der Anfang?“ Diese Frage bleibt – auch für Deutschland. Wir berichten im Liveblog von den Vorgängen in Washington, dort können Sie die dramatischen Ereignisse der Nacht (MEZ) detailliert nachlesen. Unsere Korrespondentin Juliane Schäuble ist für Sie in den USA vor Ort. | |||
|
Zurück nach Berlin, zurück in den Alltag der Pandemie. „So ein Abenteuer will ja im Moment auch kein Ministerpräsident eingehen, dass alle Erfolge, die wir uns mühsam erarbeitet haben in den letzten Wochen, wieder in Frage gestellt werden durch ein zu frühes Öffnen der Schulen.“ Das hat Michael Müller, der ja auch im Roten Rathaus regiert, am Dienstag im ZDF gesagt. Am Mittwochmorgen sagte er in der ARD: „Unsere Zahlen geben das noch nicht her, dass wir wieder in den Präsenzunterricht gehen können.“ Nur wenige Stunden später waren die Aussagen… anscheinend vergessen. Was sein Senat am frühen Nachmittag beschloss, klingt wie das Gegenteil seiner Worte: Schon ab kommendem Montag (11. Januar) soll der Präsenzunterricht stufenweise wieder beginnen. Bildungssenatorin Sandra Scheeres hatte in der Senatssitzung nach Checkpoint-Informationen vier Öffnungsmodelle vorgelegt. Zwei sahen sogar eine nahezu komplette Öffnung der Schulen ab Montag vor: Nach dem Ersten sollten ab Montag alle 330.000 Schüler im Wechselunterricht (halbe Klassen) beschult werden. Das zweite sah vor, alle Grundschüler und alle Abschlussklassen (alle außer 7. und 8. Klasse) ab Montag in den Klassen zu beschulen. Ein viertes sah vor, die Schulen bis nach den Winterferien geschlossen zu halten – nur Abschlussklassen sollten im Klassenraum sitzen. Entschieden hat sich der Senat für folgendes Stufenmodell: + Ab Montag ist für „abschlussrelevante Jahrgänge“ Wechselunterricht geplant. Die Lerngruppen sollen maximal halb so groß sein wie üblich. Das gilt für die Stufen 10, 11 und 12 an Gymnasien und 9, 10, 12, 13 an Integrierten Sekundarschulen. Prüfungen finden statt. + Ab 18. Januar soll es in den Klassen 1 bis 3 mindestens drei Stunden täglich Unterricht in der Schule geben. Auch mehr als drei Stunden wären möglich. + Ab 25. Januar sollen die Klassen 4 bis 6 dazukommen, im gleichen Modell wie die Klassen 1 bis 3. + Ab 8. Februar – nach den Winterferien – gilt für alle Schularten und Jahrgänge Präsenzunterricht in mindestens halber Lerngruppenstärke. | |||
|
| |||
| |||
|
Berlin öffnet seine Schulen nach und nach – unabhängig von der Inzidenz, im Unwissen über die englische Virusmutation, die aufs europäische Festland schwappt. Kultursenator Klaus Lederer (Linke) selbst erinnerte nach der Senatssitzung daran, dass erst ab dem 17. Januar feststehe, wie sich die Feiertage auf das Infektionsgeschehen ausgewirkt haben. SPD-Bildungspolitikerin Maja Lasić verteidigte am Abend den Beschluss: „Wir befinden uns permanent in einer Güterabwägung und rufen massiven Widerstand hervor, egal, was wir entscheiden. Die Abwesenheit von Präsenz hat grobe Nachteile für die Schüler im Sozialen und beim Lernen. Daher ist es nur konsequent, dass Schulen als erste mit einer Teilöffnung bedacht werden“, sagte sie dem Checkpoint. Lasić räumt Probleme mit der Lernplattform „Lernraum Berlin“ ein, das dürfe nicht wieder passieren, klar, das digitale Versagen sei aber nicht der Grund für die Öffnung der Schulen: „Keine Digitalisierungsoffensive dieser Welt ersetzt die menschliche Erreichbarkeit der Schülerinnen und Schüler – gerade bei Kindern mit besonderem Unterstützungsbedarf.“ | |||
|
|
In Berlin geht Eindämmung jetzt so: Während die privaten Kontakte auf eine Person reduziert werden sollen, essen Schulkinder ab Montag wieder gemeinsam Mittag. Der „Interessenverband der Berliner Schulleitungen“ und auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) unterstützen den Senat zwar, der Landeselternausschuss hält die Entscheidung aber für „sehr widersprüchlich“. Lehrer, Eltern und Schulleiter reagierten teils entsetzt, berichtet meine Kollegin Susanne Vieth-Entus. Jens Finger ist Schulleiter der Hans-Litten-Schule in Charlottenburg, ein Oberstufenzentrum mit mehr als 2000 Schülern. Seine Eindrücke hat er aufgeschrieben: „Unter die Formulierung ‚abschlussrelevante Klassen‘ fallen in unseren Schulen so gut wie alle Klassen. Somit würden die größten Schulen des Landes Berlin mit größtenteils jungen Erwachsenen Schüler*innen ab kommenden Montag in den Präsenzunterricht zurückkehren. Zu einem Zeitpunkt, an dem überhaupt noch nicht klar ist, wie viel Menschen sich über die Festtage und Silvester mit dem Virus infiziert haben. Abenteuerlich ist auch die Vorstellung, dass der Schulalltag nur aus Unterricht besteht. Es mag überraschen, aber es gibt viele und lange Pausen. Gerade die älteren Schüler*innen treibt es dann raus vor die Schulen, um die Nikotinsucht zu befriedigen oder einfach mit Freunden oder Klassenkameraden ‚abzuhängen‘. Vor der Schule ist einfach cooler als auf dem Schulhof. Da wird sich vor die Füße gespuckt, aus einer Flasche getrunken, miteinander gelacht, sich gegenseitig der Rauch ins Gesicht gepustet, sich angeschrien, miteinander gerangelt. Die heute getroffenen Entscheidung wurde aus meiner Sicht völlig übereilt getroffen. Allen Warnungen und Ermahnungen zum Trotz wird ohne Not die Gesundheit und im schlimmsten Fall das Leben von Beteiligten am Schulleben und deren Familien riskiert.“ | |||
|
| ||||
| ||||
| ||||
|
Je eindringlicher die Appelle der Betroffenen, umso ratloser wirkt die Politik. „Ich sehe ein bisschen mit Sorge, wie im Moment die Situation in Berlin auf den Straßen ist“, sagte Michael Müller in der gleichen Pressekonferenz, in der er selbst die Öffnung der Schulen verkündete, die er Stunden zuvor ausgeschlossen hatte. „Beim ersten Lockdown sind wir raus gegangen und es war völlige Stille. Die Menschen haben den Grundsatz ‚Stay Home‘ wirklich ernst genommen.“ Müller mag recht mit seiner Analyse haben, dass die Pandemie-Müdigkeit der Menschen wächst. Etwa halb so viele Fahrgäste wie vor Corona verzeichnet die BVG derzeit – im März waren es nur 25 Prozent. Dass der Grundsatz „Stay Home“ nicht ernst genommen würde, muss sich für viele aber wie eine krachende Watschn gegen das eh dahinbröselnde Durchhaltvermögen anfühlen. Wer kann es sich erlauben, dauerhaft zu Hause zu bleiben, wenn die Kitas offen sind, die Schulen nur für verlängerte Weihnachtsferien geschlossen und es noch immer kein Recht auf Homeoffice gibt? Wer kann Vereinzelung psychisch durchhalten, wenn politisch verordnet alles so normal wie möglich laufen soll? Von der Automobilproduktion bis zum Weihnachtsfest? „Alle Umfragen seit Beginn der Pandemie zeigen, dass die Bereitschaft der Mehrheit, sich einzuschränken, viel größer war, als die lautstarken Skeptiker suggerierten. Aber wenn die Politik den Leuten nicht traut, traut sie sich selbst nichts mehr zu und dann, erst dann, verlieren die Leute auch ihr Vertrauen in die Politik. Eine Ansteckungskette, die verhängnisvoll ist“, kommentiert Lorenz Maroldt heute im Tagesspiegel-Leitartikel (im E-Paper oder am Kiosk). | |||
|
Ding-Dong, Wahlkampf! Erst am Dienstag hatte sich die rot-rot-grüne Koalition nach langem Ringen der parlamentarischen Geschäftsführer auf einen gemeinsamen Antrag geeinigt, der a) eine Vergesellschaftung der Impflizenzen fordert (SPD und Linke) und b) eine bundesweite Schnelltest-Strategie (Grüne). Heute soll das Papier im Abgeordnetenhaus beschlossen werden. Die Grünen hatten schon vorher ausrichten lassen, diesem Kompromiss nur mit „Bauchschmerzen“ zuzustimmen. In der „Morgenpost“ setzte Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) jetzt noch einen drauf. Dort machte sie klar, was sie von der Forderung nach einer Freigabe der Impflizenzen hält: „Das ist kein Apfelkuchenrezept, das man einfach weitergeben kann. Entweder verstehen manche zu wenig von der Materie oder machen schon Wahlkampf. Beides finde ich befremdlich.“ So weit, so deutlich. Nicht einmal bei den Grünen waren alle begeistert über Pops offene Worte, der Vergesellschaftungs-Appell an Jens Spahn wäre doch ohnehin im politischen Nirvana verschwunden, so hoffte man. SPD-Fraktionschef Raed Saleh sagte dem Checkpoint am Abend: „Anders als ihre Fraktion hat Frau Pop offenbar nicht den Ernst der Lage verstanden. Es ist nicht die Zeit für Wortspielchen. Es geht nicht um Apfelkuchenrezepte, es geht um Menschenleben. Wir müssen impfen, was das Zeug hält. Das Einzige, was ich von der Wirtschaftssenatorin hören will, sind gute Konzepte und Ideen, wie wir aus dieser dramatischen Krise wieder herauskommen – gerade auch wirtschaftlich.“ Falls Rot-Rot-Grün noch daran gedacht haben sollte, die Erhitzung des Koalitionsklimas auf maximal zwei Grad zu beschränken: Die Kipppunkte sind erreicht. | |||
|
| ||||
| ||||
| ||||
|
Apropos Wahlkampf: Die Berliner CDU geht mit vollen Kassen in das Wahljahr. 800.000 Euro hat der Immobilienunternehmer Christoph Gröner der Partei von Spitzenkandidat Kai Wegner im vergangenen Jahr überwiesen. Zwei Spenden von 300.000 Euro im März und 500.000 Euro Ende Dezember waren die höchsten Parteispenden des Jahres in Deutschland. Stefan Evers, Generalsekretär der Berliner CDU, sagte der „Morgenpost“ dazu: „Wir freuen uns über die großzügige Unterstützung.“ Das zeige, wie sehr Christoph Gröner Berlin am Herzen liege. Der renommierte Berliner Staatsrechtler Ulrich Battis zweifelt dagegen daran, ob die CDU gut beraten war, diese Spenden anzunehmen. Battis sagte dem Checkpoint jetzt: „Wenn ein Landesverband einer Partei von einem Immobilienunternehmer 800.000 Euro für Fragen der Baupolitik erhält, muss er damit rechnen, dies von der Konkurrenz und der Presse vorgehalten zu bekommen. Das höchste Gut der Politik ist die Glaubwürdigkeit und die leidet.“ | |||
|
|
|
|
| |||
|
| |||
|
| |||
|
| |||
|
| ||||
| ||||
| ||||
|
| |||
|
| |||
|
| |||
|
| ||||
| ||||
| ||||
|
| |||
|
| |||
|
| |||
| |||
| |||
|
| |||
| |||
| |||
|
| ||||
|
| |||
| |||
| |||
|
| |||
|
| |||
|
| |||
|
| |||
|
|
|
| |||
| |||
| ||||
| ||||
| ||||
|
| |||
| |||
| |||
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|