Wattenrat


Vogelinsel Memmert: alte Betonplattform abgerissen, in der Brutzeit

Posted: 19 Jul 2018 03:10 AM PDT

03. Juli 2018: Abriss der alten Plattform auf Memmert durch TenneT – Foto (C): Eilert Voß

In der ersten Juliwoche 2018, also in der Brutzeit, wurde vom Netzbetreiber TenneT die alte Plattform auf der Vogelinsel Memmert abgerissen. Dies wurde von der Nationalparkverwaltung in Wilhelmshaven als „Renaturierungsmaßnahme“ in der strengsten Schutzzone des Nationalparks Niedersächsisches Wattenmeer und „Weltnaturerbe“ bezeichnet. Der Abriss dieses ca. 100 (!) Quadratmeter großen Betonfundaments soll als Kompensation für die Eingriffe in das Wattenmeer für die Kabelanbindung für Offshore-Windparks dienen.

Im Watt vor der Vogelinsel Memmert, strengste Schutzzone des Nationalparks Niedersächsisches Wattenmeer, steht seit dem 1. Weltkrieg eine Betonplattform, die ursprünglich als Fundament für eine Küstenbatterie zur Überwachung der Emsmündung dienen sollte. Während des Baus der Plattform vor mehr als hundert Jahren stand diese noch mitten in den Dünen der Insel.

Memmert 1984: Die bereits freierodierte ehemalige Artilleriestellung aus dem 1. Weltkrieg, später bis 1969 Fundament des Vogelwärterhauses – Foto (C): Archiv Wattenrat, Eilert Voß

Dynamische Prozesse

Durch die strömungs- und windbedingte Dünenerosion der nicht befestigten Insel wurde die Plattform mit ihren Gründungspfählen schließlich im Laufe der nächsten Jahrzehnte langsam freigespült und stand dann ab Mitte der siebziger Jahre wie auf Stelzen frei im Watt direkt am Strand, für viele Jahre ein markantes und weithin sichtbares Zeichen der Insel.

Geschichte der Vogelwärterhäuser

Als die Plattform noch in den Dünen stand, wurde darauf in den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts das Vogelwärterhaus für den Vogelwärter Pundt gebaut, der in dem Haus mit seiner Familie lebte. Die davor gebaute Vogelwärterbaracke in den Dünen, in dem noch der 1946 verstorbene Vogelwärter Otto Leege jr. gewohnt hatte, musste aufgegeben werden. Ende der sechziger Jahre musste auch das Haus auf der Betonplattform aufgegeben werden. Ein neues Vogelwärterhaus wurde 1970/71 auf der hoch gelegenen Kreuzdüne – benannt nach dem dort errichteten Erinnerungskreuz für Otto Leege jr. – der Insel gebaut. Dieses reetgedeckte Haus wird bis heute vom Vogelwart bewohnt wird. Pundt bewohnte nur kurzzeitig das neue Haus, in das dann 1973 der Vogelwart Reiner Schopf einzog, der dort 30 Jahre lang bis 2003 ganzjährig seinen Dienst versah. Sein Nachfolger wurde Enno Janßen, der die Insel nur einen Teil des Jahres bewohnt.

Memmert, April 1988: Die Plattform steht jetzt bereits am Strandbereich – Foto (C): Archiv Wattenrat, Eilert Voß

Nationalparkverwaltung ignoriert Schutzvorschriften

Es ist zudem äußerst fragwürdig, dass die Nationalparkverwaltung den Abriss der Plattform mit den damit weitreichend verbundenen Störungen während der Brut- und Mauserzeit in der strengsten Schutzzone des Nationalparks genehmigte. Die Plattform wurde von Kormoranen als Ruheplatz zum Trockenen des Gefieders genutzt, Möwen hatten auf ihr ihren Brutplatz. Eiderenten, im Sommer flugunfähig, mausern nur am ungestörten Strand; Watvögel haben in diesen Strand- und Wattbereichen ebenfalls ihre ungestörten Rastplätze, die sie auf den touristisch genutzten Inseln nur noch selten finden.

Steilvorlage für Naturnutzer

Der Abbau in der Brut- und Mauserzeit ist eine Steilvorlage für Naturnutzer wie Wassersportler, die sich an den strengen Schutzvorschriften dieses Großschutzgebietes auf dem Papier stören. Gerade die Nationalparkverwaltung sollte ihre Schutzvorschriften aber ernst nehmen und auch konsequent durchsetzen. Die Wattensegler haben auf ihrer WebSeite bereits so reagiert:

„Den Zeitpunkt – mitten in der Brut[s]zeit – bezeichnete die Nationalparkverwaltung selbst als „nicht ganz günstig“. Aber da sich die alte Plattform im Bereich des Spülsaums befindet, würden die Tiere nicht beeinträchtigt, denn „im Wasser brüten keine Vögel“ (Originalton der Nationalparkverwaltung). Diese Auslegung sollte man sich für zukünftige Diskussionen merken.“

Die Frage ist, aus welchen Mitteln der Abriss des Betonfundamentes erfolgte. Wenn dies aus Naturschutz-Kompensationsmitteln für den Windkraft-Kabelverlegungsbau durch den Nationalpark und das „Weltnaturerbe“finanziert würde, vorgenommen von Kabelverleger TenneT, wäre das ein Skandal. Es gäbe weitaus wichtigere Naturschutzmaßnahmen in diesem Nationalpark, der durch den Massentourismus zu einem Freizeitpark entwickelt wurde, auch mit Hilfe der Nationalparkverwaltung.

Memmert, Juli 1998: Die Plattform wurde von Kormoranen und Möwen besetzt. Im Hintergrund das 1979 erbaute Vogelwärterhaus auf der Kreuzdüne – Foto (C): Archiv Wattenrat, Eilert Voß

Alles schon mal dagewesen: Abriss nach Baurecht oder Naturschutzrecht?

Bauruinen werden eigentlich nach dem Baurecht durch den Eigentümer entfernt, und vor allem nicht mit dem Geld, das für tatsächliche Naturschutzmaßnahmen zur Verfügung stehen sollte.

Es gibt Parallelen: Im Herbst 2009 deklarierte die Nationalparkverwaltung den Abriss des abgängigen Anlegers auf der Insel Spiekeroog ebenfalls als Renaturierungsmaßnahme, als Ausgleichs- und Ersatzmaßnahme für einen schweren Eingriff E.ONs in das Wattenmeer durch die Offshore-Kabelverlegearbeiten zwischen Norderney und Hilgenriedersiel. Der Wattenrat hatte diesen großflächigen Eingriff mit schweren Schäden an der Bodenfauna damals in einem Fernsehbeitrag publik gemacht. Die Nationalparkverwaltung saß das zunächst aus und benötigte ganze zwei Wochen, um sich die Schäden vor Ort anzusehen. E.ON übernahm dann die Kosten des Anleger-Abrisses auf Spiekeroog.

Lokalpresse mauert

Bemerkenswert ist auch, dass nur die Ostfriesen Zeitung über den Abriss der Plattform auf Memmert kurz berichtete. Die Stellungnahme des Wattenrates dazu wurde von keiner der Lokalzeitungen übernommen. Der smarte Leiter des Nationalparkverwaltung, Peter Südbeck, hat möglicherweise einen Pressebonus; immerhin ist der Nationalpark als eigentliches Großschutzgebiet ein touristischer Wirtschaftsfaktor in der Region und wird entsprechend vermarktet. Schlechte Nachrichten aus dem Watt sind schlecht fürs Geschäft; der Nationalpark wird in der Regel als vermeintlich „heile Welt“ von der Lokalpresse und dem in Norden monatlich erscheinenden „Ostfriesland Magazin“ tourismusfördernd gepriesen. Den Abdruck einer zusätzlichen Stellungnahme des früheren Vogelwartes der Insel Memmert, Reiner Schopf, lehnte die Ostfriesen Zeitung mit der Begründung ab, sie sei zu lang. Er müsse sie kürzen, dann würde sie als Leserbrief gedruckt. Das lehnte Schopf ab.

13. Juli 2018

Sehr geehrte Damen und Herren,

Nach 30 Jahren als Vogelwart auf der Vogelinsel Memmert fühle ich mich veranlasst, den Abriss der Betonplattform auf der Vogelinsel Memmert zu kommentieren und bitte Sie um Veröffentlichung.

Die Insel Memmert hatte bis in die 70er Jahre durchaus hohe Dünen. Ein auf Pfählen tief im Dünenboden verankertes Betonfundament für eine Geschützstellung, das sich etwa in der Mitte der Insel befand, bot sich für den Bau eines Wohnhauses an. Nachdem dieses jahrelang vom damaligen Inselvogt Pundt und seiner Familie bewohnte Haus ein Opfer von Sturmfluten und Brandungerosionen zu werden drohte, wurde es 1970 auf die hohe Kreuzdüne versetzt. Infolge der Dünenzerstörung stand die Plattform zuletzt auf den Betonpfählen weit vor der heutigen Dünenkante im strandseitigen Watt. Sie demonstrierte so eindrucksvoll die dynamischen Prozesse, die die Insel und ihre Umgebung formten und formen und wurde von Kormoranen zum Gefiedertrocknen und von einigen Vögeln auch als Brutplatz benutzt. Am Inselstrand, in ihrer Nähe, rasteten mausernde Eiderenten.

Ausgerechnet dieses Relikt von der Fläche eines Einfamilienhauses störte die Nationalparkverwaltung so sehr, dass sie Ende Juni 2018 zusammen mit der Kabelfirma TenneT beschloss, die Plattform mitten in der Brut- und Jungenaufzuchtzeit in der angeblich strikt geschützten Zone 1 des Nationalparkes abzubauen. Die Abbrucharbeiten dauerten eine Woche. Die dadurch verursachten massiven Störungen kann sich jeder vorstellen. Als Kompensation für Kabelverlegungen im Watt kann das wohl nicht ernsthaft gemeint sein. Abgesehen davon, dass die Nationalparkverwaltung Naturschutz- und Nationalparkgesetze wieder einmal nicht ernst nimmt, wird der leichtfertige Umgang damit schnell Nachahmer finden. Sinnloser Aktionismus täuscht eine Renaturierungsmassnahme vor, wo es nichts zu renaturieren gibt. Wenn die Nationalparkverwaltung so krampfhaft nach Kompensationsmöglichkeiten sucht, könnte sie z.B. den Schutz der Strandbrüter intensivieren oder die ehemalige Bohrplattform in den Salzwiesen des Dollars (Zone 1) wirkungsvoll schützen.

Der Rückbau der Memmert-Plattform ist eine Vergeudung von Naturschutzgeldern, zumal die Entsorgung von Bauresten nicht Sache des Naturschutzes sondern des Baurechtes ist. Wieder einmal ein Musterbeispiel dafür, dass Titel wie Nationalpark oder Weltnaturerbe für den Schutz der Natur wenig bewirken, wenn Opportunisten in leitenden Positionen die Weichen stellen.

Mit freundlichen Grüssen
R. Schopf

Sowohl Nationalparkleiter Peter Südbeck und Bernd Oltmanns als zuständiger Regionalbetreuer für den Artenschutz sind ausgewiesene Ornithologen. Man hätte von beiden daher mehr Fingerspitzengefühl bei Eingriffen in diesen ihnen anvertrauten Naturraum erwarten können, der auch als „Weltnaturerbe“ etikettiert wurde. Das heißt aber auch gleichzeitig, das Ornithologen in leitenden Funktionen nicht unbedingt qualifiziert für die rechtskonforme Naturschutzverwaltung einer Landesbehörde sein müssen…

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