Wattenrat


Wasservogeljagd: Niedersachsen will Jagd auf streng geschützte Arten zulassen

Posted: 06 Aug 2020 03:32 AM PDT

„Kollateralschaden“ (Straftat!) im Vogelschutzgebiet an der Ems: frischtote Blässgans nach der Jagd bei Dunkelheit und Nebel (nicht der Originalfundort!) – Foto (C): Eilert Voß/Wattenrat

Und wieder einmal soll die niedersächsische Jagdzeitenverordnung geändert werden. Während in Niedersachsen das „Volksbegehren Artenvielfalt“ läuft, wird parallel dazu an mehr „Feuer frei“ auf Wasservogelarten gearbeitet, auch auf Gänsearten, die eigentlich nach der europäischen Vogelschutzrichtlinie streng geschützt sind. Das Niedersächsische Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz unter der Leitung von Ministerin und Landwirtin Barbara Otte-Kinast (CDU) legte am 27. Juli 2020 den „Entwurf einer Verordnung zur Änderung der Verordnung zur Durchführung des Niedersächsischen Jagdgesetzes (DVO-NjagdG)“ vor (.pdf hier)

Zitate daraus: „Der Entwurf enthält insbesondere Anpassungen der Jagdzeiten beim Wasserfederwild, abgeleitet aus den Ergebnissen wissenschaftlicher Untersuchungen, sowie beim Schalenwild, die den sich verändernden Habitatbedingungen Rechnung tragen. […] Zusammenfassend hat die Jagd als Störfaktor nur einen untergeordneten Einfluss [….] Für die jagdbaren Entenarten (Stock-, Pfeif- und Krickente), die einen guten Erhaltungszustand aufweisen und auch in den Vogelschutzgebieten nicht auf den Acker- und Wiesenflächen bejagt werden, sondern im Rahmen von Treibjagden oder als Entenstrich werden die Jagdzeiten wieder erweitert. […] Die Regelungen der Verordnung wirken sich nicht ungünstig auf die Umwelt, den ländlichen Raum und die Landesentwicklung aus. Vielmehr handelt es sich bei der Regelung der Jagdzeiten um einen tragfähigen Kompromiss der konträren Vorstellungen der Vertreterinnen und Vertreter der Landwirtschaft, des Naturschutzes und der Jägerschaft.“

Röntgenbild der Blässgans mit Schrotkugeleinschüssen, Fundort EU-Vogelschutzgebiet Ems

Bauern erhalten bereits Entschädigungen für Fraßschäden

Vor allem werden die Fraßschäden durch arktische Nonnengänse, Bläss- und Graugänse als Begründung der Ausweitung der Jagd herangezogen, obwohl sie zu den „wertbestimmenden Arten“ in den Vogelschutzgebieten gehören, von der „Bonner Konvention“ als „wandernde Tierarten“ geschützt sind und betroffene Landwirte Entschädigungen und als Direktzahlungsempfänger „Greening“-Mittel erhalten. Zitat: „In Niedersachsen sind die bejagbaren nordischen Gänse (Graugans, Blässgans, Saatgans) in vierzehn Vogelschutzgebieten wertbestimmende Arten. Von den rd. 120.000 ha Vogelschutzgebieten sind derzeit rd. 65.000 ha in der Förderkulisse ´Nordische Gastvögel. Landwirte, die bereit sind, nordische Gänsearten auf ihren Flächen ungestört äsen zu lassen, erhalten vom Land Vertragsnaturschutzmittel.“

Offener Schussbruch: In einem Vogelschutzgebiet an der Ems widerrechtlich geschossene Nonnengans: Straftat, Verfahren eingestellt – Foto (C): Eilert Voß/Wattenrat

Nun auch Jagd auf Nonnengänse

Der Entwurf sieht vor, dass Blässgänse (Anser albifrons) als streng geschützte Art nach Anhang I der europäischen Vogelschutzrichtlinie nun außerhalb von Vogelschutzgebieten bejagt werden dürfen. Auch die streng geschützte Weißwangengans (=Nonnengans, Branta leucopsis), die gar nicht vom Jagdrecht erfasst ist, soll in die Bejagung mit aufgenommen werden.

Zitat: „Die Bestände der Nonnengänse sind in den vergangenen Jahren stark angewachsen und erreichen in den Brutregionen die Obergrenze der Habitatkapazität. Rd. 150 Brutpaare sind zudem in Niedersachsen nachgewiesen. Aufgrund der nachweisbar hohen Schäden und der Brutpaare in Niedersachsen soll nun eine Ausnahmeregelung zur Bejagung der Nonnengänse auf Grundlage des Artikel 9 der Vogelschutzrichtlinie zur Abwendung erheblicher Schäden an Kulturen sowie einer vernünftigen Nutzung unter streng überwachten Bedingungen in geringen Mengen ermöglicht werden.“

Die Jagdzeit auf Kanadagänse soll um zwei Wochen, also noch während der Brutzeit (!) vorgezogen werden. Die Bejagung wird die Gänse nicht nur beunruhigen, sie werden dann versuchen, auch auf andere, ruhigere Flächen auszuweichen und dann wiederum andere Bauern auf den Plan rufen, die Entschädigungen fordern werden.

Nebeljagd auf Gänse an der Ems, EU-Vogelschutzgebiet. Der Jäger versteckt sich hinter einer Plane. Arten können so nicht sicher angesprochen werden, es kommt zu Fehlabschüssen. – Foto (C): Eilert Voß/Wattenrat

Unzureichende Jagdaufsicht

Wie vorgeblich „streng“ die Jagdaufsicht bereits bei den zahlreichen dokumentierten Jagdverstößen durch die „Gänsewacht“ in den vergangenen Jahren allein in einem Schutzgebiete an der Ems ausgeübt wurde, kann man auf den Wattenrat-Seiten nachlesen. Die Landesjägerschaft Niedersachsen mit ihrem Präsidenten Helmut Dammann-Tamke (Landwirt, CDU, MdL) ist „anerkannter Naturschutzverband“ in Niedersachsen, genau wir der BUND oder der NABU. Diese „Anerkennung“ der Jägerschaft ist eine rein politische Entscheidung gewesen, mit „Naturschutz“ hat das nichts mehr zu tun.

Die Grünen haben die Nonnengansbejagung bereits 2016 eingetütet

Beteiligt an der Ausweitung der Jagd auf Nonnengänse war bereits 2016 die „grüne“ Umwelt(!)-Staatssekretärin Almut Kottwitz im niedersächsischen Umweltministerium der damaligen rot-grünen Koalition. Sie war es, die zusammen mit Landwirtschaftsvertretern nach Brüssel gefahren war, um über die Möglichkeit der Bejagung der streng geschützten Nonnengans im niedersächsischen Küstengebiet zu sprechen. In einer Pressemitteilung des Niedersächsischen Umweltministeriums vom 5. Februar 2016 hieß es dazu, man wolle für den gesamten Küstenbereich einen „Managementplan“ erarbeiten.

Äsende Nonnengänse im Gülleland – Foto (C): Eilert Voß/Wattenrat

Vielfältige Störungen von Wat- und Wasservögeln

Auch ohne die Jagd unterliegen äsende oder rastende Gänse z.T. erheblichen Störungen in ihren Schutzgebieten: Hubschrauber, Flugzeuge, Spaziergänger mit oder ohne Hund, Feuerwerke oder landwirtschaftliche Aktivitäten beunruhigen die Gänse häufig und lassen sie kräftezehrend auffliegen, Kräfte, die sie für den Rückflug in ihre arktischen Brutgebiete benötigen. Die Bejagung erhöht die Vorsicht bei den Gänsen und lässt sie bei Annäherung viel früher auffliegen, die Fluchtdistanzen werden größer. Jeder Schussknall beunruhigt nicht nur Gänse, sondern vertreibt zudem auch empfindlichere Arten wie Watvögel vom Brachvogel bis zur Uferschnepfe von ihren Rastplätzen. Die Bejagung kann also nur eine Scheinlösung sein, um die stets auf hohem Niveau lamentierenden Bauern ruhigzustellen.

Differenzierter wird das Gänsemanagement hier gesehen: .pdf „Untersuchung zum Einfluss der Jagd als Störfaktor für Gänse, Abschlussbericht 2015-2019, Februar 2020 – Gefördert durch Jagdabgabemittel des Niedersächsischen Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz“. Darin wurden auch Daten auch von Wasservogeljägern verwendet.

Literaturhinweis: Kruckenberg & Mooij (2007): Warum Wissenschaft und Vogelschutz die Gänsejagd in Deutschland ablehnen Gaensejagd_Kruckenberg_Mooij_2007

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