Wattenrat


Hannoversche Allgemeine Zeitung: ´Ist auch der Campingplatz in Bensersiel illegal?´

Posted: 29 Aug 2020 06:25 AM PDT

Hannoversche Allgemeine Zeitung, online, 26. Aug. 2020 – Bildzitat: https://www.haz.de/Nachrichten/Der-Norden/Ist-der-Campingplatz-in-Bensersiel-illegal

Die Hannoversche Allgemeine Zeitung veröffentlichte am 26. August 2020 (online) und am 27. August 2020 (print) einen lesenswerten Bericht über die merkwürdige Entstehung des riesigen Campingplatzes mit Straßen und Betriebsgebäuden in Bensersiel seeseitig vor dem Deich, direkt an der Grenze zum Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer. Der angereiste Redakteur Bert Strebe befragte dazu das Klägerehepaar aus Dortmund, das als Landeigentümer erfolgreich gegen den „Schwarzbau“ der Umgehungsstraße Bensersiel bis zum Bundesverwaltungsgericht geklagt hatte, sowie die Pressestelle des Landkreises Wittmund, den Esenser Hauptverwaltungsbeamten Harald Hinrichs, den Juristen der Nationalparkverwaltung Norman Grabow und Manfred Knake vom Wattenrat.

Die Kläger, ein pensionierter Richter und seine Frau, verweisen auf das niedersächsische Deichgesetz und eine Verordnung des Landkreises Wittmund, wonach Bauten im Deichvorland verboten sind. Touristische Anlagen wie dieser Platz seien nur mit Verträglichkeitsprüfungen nach dem Bundesnaturschutzgesetz genehmigungsfähig. Die habe es nicht gegeben. Harald Hinrichs geht zunächst auf den Bau der (illegal gebauten und inzwischen gesperrten) Umgehungsstraße ein und betont: „Schauen Sie sich den Verkehr auf der Hauptstraße in Bensersiel an. Wir brauchen die Entlastungsstraße.“ Zum Campingplatz sagt er, dass der seines Wissens seit den Fünfzigerjahren bestehe und vom Landkreis genehmigt sei. Niemand habe aber die Rechtmäßigkeit bisher angezweifelt, nur der pensionierte Richter aus Dortmund in seinem neuen Klageverfahren.

Bensersiel, Urlaub auf dem Campingplatz – Foto (C): Eilert Voß

„Eigentümliche Antworten“

Und nun kommt´s: Als der Redakteur nach der Rechtmäßigkeit des Campingareals beim Landkreis anfragt, bekommt er „eigentümliche Antworten“: Zunächst wird mit einem Antwortschreiben von der konkreten Frage mit einem Text abgelenkt, ob der Dortmunder Richter mit seinem Vorgehen gegen die Umgehungsstraße recht habe oder nicht. Zur konkreten Frage nach der Rechtmäßigkeit des Campingplatzes kommt die kurze Antwort, es werde „Rechtmäßigkeit unterstellt“ und dass bei deichrechtlichen Genehmigungen das Natur- und Umweltrecht zu beachten sei. Ob es ein naturschutzrechtliches Genehmigungsverfahren gegeben habe, wurde nicht beantwortet. Redakteur Strebe ist beharrlich (was ja in der heutigen Presselandschaft nicht mehr selbstverständlich ist) und fragt noch einmal nach: „Wann wurde der Ausbau genehmigt, welche Prüfungen hat es nach den EU-Vogelschutzbestimmungen gegeben? Antwort: 2008 wurde genehmigt, mit deichbehördlicher Ausnahmegenehmigung (der Landkreis ist auch Deichbehörde und hat sich selbst die Erlaubnis zur Baugenehmigung erteilt).“ Also auch hier keine Antwort zur Sache. Auf nochmalige Nachfrage des Redakteurs erklärt der Landkreissprecher, „zwischenzeitlich“ habe es „eine Vorprüfung gegeben“. Nur ist eine Vorprüfung eben keine erforderliche gesetzliche verlangte Verträglichkeitsprüfung. Der vom Redakteur befragte Jurist der Nationalparkverwaltung bestätigt dann auch, dass diese „vor der Genehmigung einer Baumaßnahme stattfinden muss“. Manfred Knake vom Wattenrat verweist schließlich auf die Lage des Campingplatzes vor dem Deich: „Dennoch, sagt Knake, grenze das Gebiet immer noch direkt an die Erholungszone des Nationalparks Wattenmeer, die wiederum Teil des EU-Vogelschutzgebietes ist. Deswegen hätte spätestens vor dem Campingplatz-Ausbau 2008 eine entsprechende Flora-Fauna-Verträglichkeitsprüfung nach Bundesnaturschutzgesetz und nach den EU-Vogelschutzbestimmungen vorgenommen werden müssen.“

Nationalparkgesetz 2001 novelliert, auch Campingplatz Bensersiel aus dem Nationalpark entfernt

Das muss erläutert werden: Bis zur Novellierung des Nationalparkgesetzes 2001 war auch der Bensersieler Campingplatz Teil des Nationalparks und Teil des EU-Vogelschutzgebietes. Durch ständiges Drängen der Tourismusindustrie und der Küstenkommunen wurde das Gesetz aber 2001 unter der SPD-Landesregierung mit Ministerpräsident Sigmar Gabriel so novelliert, dass ca. 90 Gebiete aus dem Nationalpark herausgenommen oder in der Zonierung herabgestuft wurden, um der Tourismusindustrie mehr Raum zu geben. Damit war auch der Campingplatz in Bensersiel nicht mehr Teil des Nationalparks Wattenmeer. Gegen diese eigentlich nach EU-Recht unzulässige Verkleinerung eines Natura-2000-Gebietes aus allein wirtschaftlichen Gründen unter dem Schutzregime der EU legte der Wattenrat 2001 Beschwerde bei der EU-Kommission ein, fuhr mit drei Mitarbeitern nach Brüssel und legte die umfangreiche gut begründete vierbändige Beschwerde dort vor. Nach fünf Jahren wurde das Beschwerdeverfahren von der EU-Kommission still und leise eingestellt. Dafür wurde der Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer trickreich von 2800 Quadratkilometer auf 3500 Quadratkilometer vergrößert, aber um konfliktfreie Wasserflächen vor den Inseln, die nicht ansatzweise der Qualität der herausgenommenen oder herabgestuften Flächen auf den Inseln und am Festland entsprachen.

Hinweisschild auf dem Deich in Bensersiel: Es war einmal, wo jetzt der Campingplatz ist, befand sich noch bis in die 50er bis 60er-Jahre eine Salzwiese, oder Heller, seeseitig vor dem Deich.

Fehlende Verträglichkeitsprüfung

Unbenommen davon verlangt aber die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes, dass auch für Flächen außerhalb von Schutzgebieten, die an EU-Schutzgebiete angrenzen, eine sog. „Flora-Fauna-Habitat-Verträglichkeitsprüfung“ (FFH-VP) stattfinden muss, die die Auswirkungen auf den Erhaltungszustand des Schutzgebietes prüft. Im nationalen Recht ist diese Prüfung in § 34 des Bundesnaturschutzgesetzes festgeschrieben: “Projekte sind vor ihrer Zulassung oder Durchführung auf ihre Verträglichkeit mit den Erhaltungszielen eines Natura 2000-Gebiets zu überprüfen“. Und diese FFH-VP hat es weder vor dem Bau der Umgehungsstraße Bensersiel noch vor dem Ausbau des Campingplatzes gegeben. Die Flächen, auf der die Umgehungsstraße geplant und schließlich gebaut wurde, gehörten sogar zu einem „faktischen Vogelschutzgebiet“, das zwar die Wertigkeit eines Vogelschutzgebiet hatte, aber das noch nicht nach Brüssel gemeldet worden war. Hier griff wegen des noch strengeren Schutzregimes die Verträglichkeitsprüfung bis zur Meldung gar nicht, hier durfte noch nicht einmal geplant werden. Die Kommunalaufsicht des Landkreises hat eklatant versagt, nicht nur bei der Umgehungsstraße. Der Landkreis ist zugleich Untere Deichbehörde und Untere Naturschutzbehörde und hätte bei der Neuplanung des Campingplatzes wegen der fehlenden Verträglichkeitsprüfung einschreiten müssen. Der Landkreis Wittmund hat sich aber den Ausbau des Campingplatzes selbst genehmigt. Die früher aufsichtsführende Bezirksregierung Weser-Ems in Oldenburg wurde 2005 mit allen Bezirksregierungen in Niedersachsen unter Ministerpräsident Christian Wulff (CDU), dem später gescheiterten Bundespräsidenten, aufgelöst, die Zuständigkeiten auf die offensichtlich nicht selten naturschutzrechtlich überforderten Landkreise und damit auch auf den ignoranten lokalen Klüngel übertragen.

Karten zeigen immer noch „Heller“

Die Karte im Anhang des Nationalparkgesetzes für den Bereich Bensersiel (Karte 17) zeigt auf der ehemaligen herausgenommenen Schutzzone das Symbol für „Campingplatz“ und die Beschriftung „Heller“. Die identische Signatur sieht man auch auf der aktuellen (2020) Karte des Landesamtes für Geoinformation und Landesvermessung Niedersachsen, die hier wegen der besseren Lesbarkeit verwendet wurde..

Aktuelle Karte (2020), Geobasisdaten LGLN: über „Bensersiel“ der Schriftzug „Heller“ und das Zeichen für „Camping“. Der Heller ist aber seit Jahrzehnten Geschichte.

Amtliche Karte des Landschaftsschutzgebietes WTM 25 II aus 2016, das als nationales Schutzgebiet im EU-Vogelschutzgebiet V63 „Ostfriesische Seemarschen von Norden bis Esens“ binnendeichs ausgewiesen wurde. Hier wurde die Umgehungsstraße illegal gebaut. Im Strandbereich von Bensersiel ist das Zeichen für „Camping“ zu sehen, die Fläche ist mit „Heller“ beschriftet.

Heller (oder auch Außengroden) ist die Bezeichnung für den bei Sturmfluten überfluteten Vorlandbereich, auf denen sich die gesetzlich geschützten Salzwiesen befinden und auf denen eigentlich laut Deichgesetz nur in Ausnahmefällen feste Bauwerke errichtet werden dürfen. Heller oder Salzwiesen gibt es auf dem Campingplatz seit Jahrzehnten nicht mehr. Weite Teile des alten Hellers wurden mit Sand aus dem Watt aufgespült, um einen touristisch vermarktbaren künstlichen Sandstrand zu erzeugen. Dennoch nutzen immer noch arktische Gänse auf ihrem Zuge und während der Rastzeit an der hiesigen Küste ab Spätherbst den grünen Campingplatz, wenn die Touristen fort sind. Sie äsen den künstlich angesäten Grasbewuchs des Campingplatzes ab.

Campingplatz Bensersiel, 12. April 2020, Ostersonntag: Wegen der Corona-Pandemie gesperrter Campingplatz, Ringelgänse äsen auf den Grasflächen zwischen den Anschlusskästen für Wohnmobile – Foto (C): Manfred Knake

Brüssel ist weiter als der Mond

Der HAZ-Artikel endet mit den Sätzen: „Man darf sich fragen, warum die Kommunalpolitik in Esens und die Kreisverwaltung in Wittmund so starr an der Umgehungsstraße wie am Campingplatz festhalten, statt stolz zu sein auf die Bedeutung ihrer Region für den internationalen Vogelschutz und ihm höchste Priorität einzuräumen.[…] Die Antwort liegt möglicherweise in der Mentalität der Küstenbewohner: Das Meer und die Natur sind für sie oft nicht die Sehnsuchtsorte, die sie für Leute aus dem Binnenland sind, sondern schlicht eine Einnahmequelle, die es optimal zu nutzen gilt. Außerdem sind die Ostfriesen ein stolzes Volk, das sich nicht gern in die eigenen Angelegenheiten hineinreden lässt. Nicht von dahergelaufenen Naturschützern, nicht von pensionierten Richtern. Und sowieso nicht gern von Fremden.“

Der Wattenrat hätte geantwortet: Vogelschutz ist für die Stadt Esens, die Mehrheit der Ratsmitglieder und den Landkreis Wittmund vermutlich pillepalle, vernachlässigbar. Es regiert der politische Klüngel, auch an Gesetzen oder Verordnungen vorbei. Die Europäische Union in Brüssel mit ihrem für alle Mitgliedsstaaten verbindlichen EU-Gemeinschaftsrecht „Natura-2000“, also der Flora-Fauna-Habitat- und Vogelschutzrichtlinie, ist weit weg, weiter als der Mond, und den kann man schließlich auch sehen. Oder: Die Erosion des Rechtsstaates beginnt bereits auf der untersten kommunalen Ebene. Für die bekanntgewordenen Rechtsverstöße beim Bau der Umgehungsstraße oder beim Ausbau des Campingplatzes wurde kein Verantwortlicher zur Verantwortung gezogen.

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