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Kurzstrecke |
Tagesspiegel Checkpoint vom Donnerstag, 12.11.2020 | Teils bewölkt bei 9°C. | ||
+ Debatte über frühere Weihnachtsferien in Berlin + Senat prüft Kauf des Traditionskinos Colosseum + 2000 Schlafsäcke für Obdachlose gesucht + |
von Robert Ide |
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Guten Morgen, das Unwichtigste zuerst: Donald Trump hat wieder was getwittert – was auch immer. Die Fußball-Nationalmannschaft hat ein Länderspiel absolviert – warum auch immer. Karneval hat nicht stattgefunden – in Berlin wie immer. Die Welt dreht also weiter ihre Runde, Stunde um Stunde. Und das Wichtigste um uns herum bleibt: Bleiben wir gesund. Und bei gesundem Verstand. | |||
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Wenn Sie heute was Gutes tun wollen, dann drehen Sie sich um nach den obdachlosen Menschen, die auf unseren Straßen, an unseren Ecken mitten unter uns leben. Spenden Sie ihnen neben Aufmerksamkeit das derzeit Nötigste: Schlafsäcke. „Die Nächte sind bereits gruselig kalt und niemand von uns möchte sich ernsthaft vorstellen, nun im Freien zu nächtigen“, erzählt Dieter Puhl von der Berliner Stadtmission auf Checkpoint-Nachfrage. Immerhin 1000 Menschen können Zuflucht in Einrichtungen der Kältehilfe finden, aber nicht alle obdachlosen Menschen nehmen die Angebote an. Sie brauchen jetzt Schlafsäcke und Isomatten zum Überleben – „ohne hast Du keine Chance, durch den Winter zu kommen“, berichtet Puhl. Er bittet um Spenden; abzugeben werktäglich von 8 bis 16 Uhr in der Stadtmission, Lehrter Straße 68, gleich am Hauptbahnhof. 2000 Schlafsäcke und Isomatten sind nötig. Etwas Wärme braucht jeder Mensch. Und jede Stadt. | |||
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Bevor alle schwarz sehen: Schwarz ist eine Glücksfarbe. Zumindest für Alain Rappsilber, seit 30 Jahren Schornsteinfeger und Glücksbringer in Kreuzberg. Zwar kraucht der 47-Jährige nicht mehr in verrußte Schlote von Ofenheizungswohnungen, dafür kontrollieren er und seine 500 Kolleginnen und Kollegen verruchte Gasanlagen oder die Kohlenmonoxid-Abfuhr in verräucherten Sisha-Bars. Rappsilber weiß nicht erst seit der Pandemie: „Luft ist ein Lebensmittel.“ Genau wie die Liebe. Deshalb beliebt der Schornsteinfeger am Freitag, den 13. („mein absoluter Glückstag“) im Berliner Tierheim reinzufegen, um ein paar Vorurteile wegzubürsten – über schwarze Tiere. Denn Katzen, Hunde und Hühner mit dunklem Fell sind den Menschen schwerer vermittelbar. Deshalb posieren nun schwarze Feger und dunkle Feller für einen stimmungsaufhellenden Fotokalender. Rappsilber findet: „Auch bei Tieren kommt es nicht auf die Farbe an, sondern auf den Charakter und die Knuffigkeit.“ Black is the new Orange. | |||
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Und wie geht es den Menschen, die uns helfen? Ricardo Lange, Intensivpfleger aus Karlshorst, berichtet ab Sonnabend wieder im Tagesspiegel wöchentlich von seinem Alltag auf einer Berliner Corona-Station. Zur derzeitigen Lage erzählt er: „Auf meiner Intensivstation liegen mittlerweile zwei Drittel Covid-Patienten, ich renne von einer Bauchlagerung zur nächsten – das machen wir, um die Lungen besser zu belüften – und habe keine Zeit, die vorgeschriebenen Tragepausen für FFP3-Masken einzuhalten. Das Material wird wieder knapper, Kollegen aus anderen Häusern berichten, ihre Masken würden mit Dampf wiederaufbereitet. Neulich ist mir während einer Intubation eine gerissen, zum Glück war mein Test negativ. Aber wir lernen dazu, wissen jetzt, dass es hilft, bei Covid gleich Kortison zu geben, damit die überschießende Immunantwort kein körpereigenes Gewebe zerstört. Und die meisten unserer Corona-Patienten verlassen die Station genesen.“ Gute Besserung, auch dem Gesundheitssystem! | |||
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Auch wenn da manche überimpfindlich sind: Rettung naht, selbst wenn die schnellen Schritte zur Corona-Impfung im neuen Jahr nur langsam Entspannung bringen werden. Denn nach Entwicklung und Zulassung des (übrigens gentechnisch basierten) Impfstoffs warten noch zwei Probleme: Wie werden flächendeckend Transport und Lagerung bei minus 70 Grad sichergesellt? Und lassen sich überhaupt genügend Menschen freiwillig impfen, besonders zunächst in Pflege- und Altersheimen? Auf Checkpoint-Nachfrage teilt das Bundesgesundheitsministerium dazu mit, es plane eine „transparente, proaktive und zielgruppenspezifische Kommunikationskampagne“. Dafür werde ein „Steuerungskreis Kommunikation“ eingerichtet. Hoffentlich steuert der noch ein paar leicht zu verstehende Worte bei. | |||
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Was man in der Krise lernen kann? Panik hilft nicht gegen Panik. Ja, 300.000 Schülerinnen und Schüler sind derzeit deutschlandweit in Quarantäne (Überblick hier). Aber das heißt auch: Mehr als acht Millionen junge Menschen gehen weiterhin zur Schule und lernen dort – trotz Zugluft – was fürs Leben. Und aktuelle Berliner Zahlen zeigen, dass sich die gefährlichen Viren bisher vor allem in Privathaushalten verbreitet haben. Nach einer Aufstellung der Gesundheitsverwaltung auf Anfrage des CDU-Abgeordneten Christian Goiny ließen sich zwar im Oktober nur 28 Prozent aller Krankheitsausbrüche zuordnen. Davon wiederum entfielen auf: Privathaushalte: 54,7 Prozent Alten- und Pflegeheime: 8,6 Prozent Krankenhäuser: 6,3 Prozent Schulen: 2,6 Prozent Kitas: 1,5 Prozent. In Berlin befinden sich derzeit 365 Lerngruppen in Quarantäne, das sind hochgerechnet 10.000 Schülerinnen und Schüler. 350.000 machen weiter. Für sie lohnt es sich, weiterhin fürs Leben dazuzulernen. Natürlich auch, wie Bildung funktioniert, wenn eine Klasse doch mal alle Fenster und Türen schließen muss. | |||
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Und wenn wir einfach früher Weihnachtsferien feiern? Was Nordrhein-Westfalen gestern beschlossen hat, will man sich in Berlin morgen lieber noch zweimal überlegen. Pankows Gesundheits- und Bildungsstadtrat Torsten Kühne (CDU) zeigt sich bei einer Checkpoint-Umfrage ausgewogen zwiegespalten: „Dafür könnte sprechen, dass Infektionen nicht direkt aus den Schulen in die Familienfeiern zu Weihnachten getragen werden. Das würde aber voraussetzen, dass die vorgezogenen Ferien zur häuslichen Absonderung genutzt werden.“ Kühne findet es daher „sinnvoller, die Ferien zu verlängern, damit umgekehrt Infektionen aus dem familiären Umfeld zu Weihnachten nicht danach in die Schulen getragen werden. Die Gefahr würde ich für größer einschätzen.“ Auch Landeselternsprecher Norman Heise will sich die Antwort mit Blick auf die Betreuungslage in den Familien nicht leicht machen: „Bei den einen wird es auf Zustimmung treffen und bei den anderen die Planung durcheinander bringen.“ Regina Kittler von den Linken würde zunächst gerne wissen, „was die Charité dazu sagt“. Und die Grünen-Politikerin Marianne Burkert-Eulitz warnt: „Es wäre ein Trugschluss, denn die Kids wären ja tatsächlich nicht in Quarantäne. Sie wären in der Stadt und im Land unterwegs. Die jungen Leute würden sich über eine zusätzliche Ferienwoche sicher freuen, aber die Großeltern schützt das nicht.“ Wieder was gelernt: Auf aktuelle Nöte gibt es nicht immer einfache Antworten. Immerhin macht es sich in Berlin niemand leicht. | |||
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Na, auch schon richtig Lust, im Lockdown-Advent durch die Fahrrad-Friedrichstraße zu bummeln? Die Händler zumindest könnten‘s gut gebrauchen, denn auch der SPD ist aufgefallen: „Die Stadtkerne sind zu reinen Konsumzonen geworden, austauschbar und öde.“ So zumindest schreibt es Carsten Schneider, seit drei Jahren erster Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, über London und Paris – und sieht in der Corona-Krise die gleiche Gefahr für Berlin. In einem Positionspapier, das dem Checkpoint exklusiv vorliegt, schreibt er zur Lage der Innenstadtlagen: „Viele Unternehmer können sich die stetig steigenden Mieten nicht mehr leisten und müssen ihre Flächen kündigen.“ Was nun? Was tun! Gemeinsam mit Fraktionskollegen fordert Schneider jetzt, die Vermieter an den pandemiebedingten Kosten zu beteiligen – dazu brauche es „zügig eine gesetzliche Klarstellung“. Demnach müssten ausfallende Gewerbeeinnahmen im Zuge staatlicher Corona-Maßnahmen „als schwerwiegende Veränderungen der Vertragsgrundlagen definiert werden“. Dann gebe es „einen Anspruch auf Vertragsanpassung“. Und nun? Müssen nur noch die Vermieter mietmachen. | |||
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So, Hoffnung gibt’s auch noch: Im Colosseum an der Schönhauser Allee, einem der ältesten Kinos der Stadt, geht vielleicht noch einmal der Vorhang auf. Vorgeblich wegen Corona in die Insolvenz geschickt, aber vorrangig zur finanziellen Sanierung der Erbengemeinschaft von Filmlegende Artur Brauner und wegen angeblicher Ahnungslosigkeit im Stadtentwicklungsamt Pankow als Gewerbekomplex verhökert, was vom Checkpoint im Juni aufgedeckt worden war, prüft nun der Senat einen Ankauf des Kulturgeländes, um es zumindest als Kreativstandort zu erhalten. Im derzeit dusteren Lichtspielhaus in Prenzlauer Berg, vor 100 Jahren in eine historische Wagenhalle der Pferde-Straßenbahn eingebaut und bekannt geworden als DDR-Premierenkino und Berlinale-Standort, hängt nun alles an den Erben von Artur Brauner, darunter der Spandauer Filmproduzentin Alice Brauner. In Interviews, in denen sie nicht kritisch zu ihrem Umgang mit dem Colosseum befragt wird, antwortet sie gerne: „Man braucht Kultur wie Nahrung, sie ist genauso lebensnotwendig wie die Luft zum Atmen.“ Und alle Fragen offen. | |||
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Da wir gerade durch Kiezhausen streifen: Ich war zuletzt mit Gerd Danigel unterwegs, der früher als Gasmonteur durch Ost-Berlin zog und nebenbei Zwischenräume fotografiert hat – und dazwischen Träume in Schwarz-Weiß (zum Beispiel hier am früheren Trabi-Parkplatz Bebelplatz). Heute verkauft der Fotokünstler sein altes Hobby auf den Flohmärkten am Mauerpark und auf dem Boxhagener Platz – ikonische Erinnerungen für 15 Euro pro Abzug. Der gemächliche Pankower, der beim Mauerfall an der Bornholmer Straße dabei war, sich aber in der Nacht der Nächte doch nicht auf die andere Seite der eigenen Stadt traute („Drüben finde ich doch gar keine Arbeit“), ist über die Zeitenwenden zum Lebenskünstler geworden. Nach dem Umbruch immerhin ist Gerd Danigel noch schnell auf die Dächer des Prenzlauer Berg geklettert, um sich ein Bild vom neuen Leben zu machen. „Denn ich dachte mir damals schon: Wenn jetzt der Westen kommt, werden alle Türen abgeschlossen.“ Auch heute muss Berlin seine Zwischenräume suchen. Welche Träume Gerd Danigel noch hat, habe ich hier für Tagesspiegel Plus aufgeschrieben. Jede Zeit braucht sie, ihre ruhigen Beobachter. | |||
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