| Liebe Leserinnen und Leser, |
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amerikanische Autorinnen und Autoren schreiben seit jeher gern auch Romane, die in Europa spielen. Von Henry James’ „Daisy Miller“ über Fitzgeralds „Zärtlich ist die Nacht“ bis zu Hemingways „Fiesta“ und Baldwins „Giovannis Zimmer“ finden sie immer neue kulturelle, literarische und persönliche Zugänge, die Aufschluss darüber geben, warum dieses oder jenes Werk jenseits des Atlantiks angesiedelt ist. Europa galt den Verfassern als Sehnsuchtsort oder Projektionsfläche, Städte wie Paris oder Rom erschienen ihnen geschichtsträchtiger als Phoenix oder Denver, weil sie dort Formen von Bohème, Kunst oder Exil vorfanden, die sie inspirierten. Viele dieser Autoren des zwanzigsten Jahrhunderts wie Gertrude Stein, Henry Miller oder William Faulkner lebten als literarische Expats auch zeitweise in Europa. | Sandra Kegel | Verantwortliche Redakteurin für das Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. | |
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| Es ist daher einerseits nichts Ungewöhnliches, dass jetzt kurz hintereinander zwei Romane amerikanischer Autorinnen erschienen sind, die sich mit Europa beschäftigen. Und doch meint man darin so etwas wie eine subtile Reaktion auf das gegenwärtige Amerika herauszulesen. Schon allein der Umstand, dass sie über ihr gegenwärtig außer Rand und Band geratenes Heimatland den Mantel des Schweigen hüllen, ist auffällig. Die Dramatik des verheerenden zwanzigsten Jahrhunderts mit seinen historischen Umbrüchen, insbesondere zwei Weltkriegen und dem später geteilten Kontinent, wurde von amerikanischen Autoren vielfach aufgegriffen. Heute sind es Themen wie Identität, Fremdheit oder Kulturkonflikte, die sie aus externer Perspektive literarisch auf den Kontinent blicken lassen. Die kritische Perspektive auf Amerika und die Distanz zur Heimat wird dabei durch den europäischen Spiegel hindurch miterzählt. So verhält es sich mit dem gerade auf Deutsch erschienenen Roman von Nell Zink, der von Tobias Schnettler übersetzt wurde und den alten Kontinent sogar im Namen führt: „Sister Europe“. Der Roman spielt in einer einzigen Nacht im kalten und unwirtlichen Berliner Februar und versammelt sein illustres Personal um eine literarische Preisverleihung in einem heruntergekommenen Luxushotel. Niemand möchte eigentlich hier sein. Demian, der Architekturkritiker, ist nur gekommen, weil er ein Fan des geehrten arabischen Dichters ist und nun ins Grübeln kommt, wie er mit dessen unverhohlenem Rassismus gegen Schwarze umgeht. Nicole, seine trans Tochter, wurde von einem Freund Demians auf dem Strich aufgelesen und ins Interconti mitgeschleppt. Dieser Toto ist wiederum ein in die Jahre gekommener Indie-Verleger, der am alkoholfreien Büffet auf sein Tinder-Date sowie auf Livia trifft, die in einem von ihrem Nazi-Großonkel erbauten Glashaus lebt, während es Radi, der Prinz aus einem Schurkenstaat, vorzieht, in der Schweiz zu leben. Die Gruppe, die nach durchlittener Preisverleihung durchs nächtliche Berlin mäandert, wird zudem auch noch verfolgt von einem nicht sehr verdeckten Ermittler, der glaubt, einem Verbrechen auf der Spur zu sein. Mit jener schneidenden Ironie, über die vor allem jene verfügen, die nicht dazugehören, seziert die Amerikanerin menschliche Irrungen und Wirrungen. *** Unsere Empfehlungen in dieser Woche: Die eine verlangt Erklärungen, die andere steckt Schweigebriefe in eine Mauer: Rabea Edels „Portrait meiner Mutter mit Geistern“ Im Schatten der totalitären Vergangenheit: Ein Buch über die Arbeit der russischen Menschenrechtsorganisation „Memorial“ und deren Zukunft Nicht nur kunstvoll, sondern auch sehr gut recherchiert: Ulli Lusts dokumentarischer Comic „Die Frau als Mensch“ gewinnt überraschend den Deutschen Sachbuchpreis 2025 *** Während Nell Zink seit vielen Jahren in der Nähe von Berlin lebt, hat ihre amerikanische Kollegin Rachel Kushner viel Zeit in Südfrankreich verbracht. Ihr jüngster Roman, „See der Schöpfung“, der unlängst in der Übersetzung von Bettina Abarbanell auf Deutsch erschienen ist, spielt ebendort (hier finden Sie das gerade geführte Interview mit ihr ). Nell Zink kommt in ihrem hoch dosierten Kammerspiel in Zeit und Raum begrenzt und dabei ohne eigentliche Handlung aus. „Sister Europa“ erinnert mit seinem Pointenfeuerwerk aus dem Diskurstheater der Gegenwart an die Tradition der Screwball-Komödien der Dreißiger- und Vierzigerjahre. Rachel Kushner hingegen zieht ihre Erzählung in die Länge, wenn sie kreuz und quer durch Frankreich erzählt und dabei immer wieder essayistische Einwürfe von der französischen Geschichte bis zurück zu den Neandertalern einflicht. Die beiden Romane könnten in Stoff und formalem Zugriff nicht unterschiedlicher sein. Während mich Nell Zinks Konversationskomödie überzeugt hat, lese ich Kushners Roman stellenweise wie einen Reiseführer für Amerikaner in Europa: In Italien sprechen Kushners Figuren natürlich über Wein, in Frankreich fahren sie selbstredend Citroën, und in Paris sitzen sie – bien sûr – an der Place des Vosges. Aber was die Romanwerke über alle Verschiedenheit hinweg verbindet, ist, dass sich beide als untergründigen Kommentar auf die Ära Trump 2.0 lesen lassen. Über dessen Kapriolgen lässt sich ja vieles sagen. Aber eines trifft ganz gewiss zu: Wenn sich ein Autor in einem Roman ausgedacht hätte, was wir gerade erleben, wäre er oder sie im Lektorat für verrückt erklärt worden. Haben Sie Bücher in ihren Leselisten, die einen spannenden Blick von außen auf Europa werfen? Über Hinweise, Entdeckungen oder Lesewarnungen an literatur-nl@faz.de würde ich mich freuen. Gute Lektüren wünscht Ihre Sandra Kegel
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