Heribert Prantl beleuchtet ein Thema, das Politik und Gesellschaft (nicht nur) in dieser Woche beschäftigt.
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5. November 2023
Prantls Blick
Die politische Wochenschau
Prof. Dr. Heribert Prantl
Kolumnist und Autor
SZ Mail
Guten Tag,
Rudolf Augstein gilt als Jahrhundert-Journalist. Er war es, er ist es. Er ist es schon deswegen und im Wortsinn, weil er am heutigen Sonntag hundert Jahre alt geworden wäre und weil er sich mit dem Spiegel, dem von ihm gegründeten Nachrichtenmagazin, in die Geschichte der Bundesrepublik eingeschrieben hat. Ohne Augstein und den Spiegel wäre die Geschichte der Republik anders verlaufen – und die Pressefreiheit hätte nicht den Rang und den Wert, den sie hat. Zu den Gratulanten bei der posthumen Augstein-Ehrung gehörte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der aus diesem Anlass eine Rede hielt, in der er über das Phänomen der „News-Erschöpfung“ nachdachte. Es lohnt sich, darüber zu sinnieren.

Die beschränkte Verarbeitungskapazität

Wir alle hatten uns ja den Ausgang aus der Corona-Pandemie so anders vorgestellt und gewünscht. Aber das große Aufatmen mochte und konnte sich nicht einstellen. Auf die Pandemie folgten und folgen der Ukraine-Krieg und der im Nahen Osten. „Wir leben in Zeiten, in denen sich die Ereignisse überschlagen und die Krisen immer rascher aufeinander folgen“, konstatierte daher Frank-Walter Steinmeier, und es gelinge den Lesern, Hörern und Zuschauerinnen „kaum noch, den Überblick und die Nerven zu behalten“. Die Verarbeitungskapazität für schlechte Nachrichten sei, so Steinmeier, bei vielen Menschen an die Grenze geraten: „In einer Art Selbstschutz entscheiden sich manche dann, ganz abzuschalten, lieber gar keine Nachrichten mehr zur Kenntnis zu nehmen.“ Von solchen Nachrichtenverweigerern, so Steinmeier, träfe er viele. „Andere wieder“, so setzte er fort, „ziehen sich zurück in eine Parallelwelt, in der Wahnsinn, Verschwörung und erfundene Wahrheit regieren“. 

Nachrichten-Erschöpfung: Darüber muss zumal dann geklagt werden, wenn man in einem Haus Geburtstag feiert, in dem eine Zeitschrift produziert wird, die sich seit 1946 „Nachrichtenmagazin“ nennt. Wenn immer mehr Leute die Nachrichten nicht mehr lesen, hören und sehen wollen, dann muss man sich fragen, ob das wirklich an den Nachrichten liegt oder an der Art und Weise, wie sie präsentiert werden. Haben die „sich überstürzenden Nachrichtenlagen“, von denen der Bundespräsident sprach, sich vor 75 Jahren, also in den Anfangszeiten des Spiegel, weniger überstürzt? Währungsreform, Berlin-Blockade, Kalter Krieg; Hunderttausende von „Displaced Persons“ zogen damals durchs Land; die vierzigjährige deutsche Spaltung begann. Die Zeiten waren ganz gewiss nicht ruhiger damals. Waren die Menschen womöglich gelassener, dickfelliger oder abgebrühter in dem Gefühl, dass nichts schlimmer sei als der Krieg – und der lag erst einmal hinter ihnen?

Auch damals, 1948/49, sortierten die Menschen die Nachrichten und schoben weg, was ihnen nicht wichtig und relevant erschien, was uns aus heutiger Sicht aber ungeheuer wichtig erscheint. Als die Süddeutsche Zeitung, wie andere Zeitungen auch, die vorläufige Fassung des Grundgesetzes „dem Leser zur Meinungsäußerung“ vorlegte, gab es kaum eine Reaktion. Ob sich daran etwas geändert hätte, wenn die Zeitungen damals, statt über die Zuteilung von Lebensmittelmarken zu schreiben, mehr und immer und immer wieder über die Grundrechtsdebatten im Parlamentarischen Rat geschrieben hätten? Oder hätte das den Verdruss über die Demokratie nur gesteigert? Die Grundgesetz-Beratungen weckten, so konstatierte die SZ-Journalistin Ursula von Kardorff damals, „beim durchschnittlichen Deutschen mehr Gähnen als Leidenschaft.“ Die Speisenfolge der Parlamentarier beschäftigte die Phantasie mehr als alle Grundrechte zusammen. „Und wer die Wahrheit sagt, dass es nämlich nichts als einen guten Wein und ein paar Brötchen gegeben hat“, so ein Kommentator zum Auftakt der Arbeiten des Parlamentarischen Rats, „wird als Kollaborateur der Demokratie angesehen.“

Die Unkultur der Dauerempörung

Vielleicht sind es gar nicht die sich überstürzenden Nachrichten, vielleicht ist es die Omnipräsenz und die ständige Wiederholung dieser Nachrichten, die immer mehr Menschen zum Nachrichten-Überdruss bringt und zur Nachrichten-Flucht treibt? Welchen Anteil an diesen Phänomenen haben die klassischen Medien? Sind die sogenannten sozialen Medien, sind die Blogger und die Twitterer und die Influencer wirklich deren gegnerische Konkurrenz, wie es der Bundespräsident insinuiert? Darüber schreibe ich heute in meinem SZ-Plus-Text.
SZPlus Prantls Blick
Das Rezept des alten Augstein
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Der Bundespräsident hat die sozialen Medien in seiner Rede als die „Agenten der Aufregungsbewirtschaftung“ bezeichnet und eine Distanz des Journalismus von den „Taktgebern des Empörungsrhythmus“ gefordert. Bei aller berechtigter Kritik an der (Un-) „Kultur der Dauerempörung“ – vielleicht macht er es sich da etwas zu einfach.

Ich wünsche Ihnen eine Woche, in der Sie es warm haben, auch wenn es draußen kalt wird.

Herzlich                                                              
Ihr
Heribert Prantl
Kolumnist und Autor der Süddeutschen Zeitung
SZ Mail
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Prantls Leseempfehlungen
Ein Finanzporno
Vor zwei Wochen habe ich mich in meiner SZ-Freitagskolumne mit den strafrechtlichen Ermittlungen wegen Cum-Ex befasst: Die Kölner Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker ist da die Speerspitze der Aufklärung. Die Umstände, unter denen sie ihre Arbeit tut, sind, so schrieb ich, nicht gut. In dem Buch, das ich Ihnen heute empfehle, heißt die Chefermittlerin nicht Brorhilker, sondern Hilkerbrok. Der Autor ist Hartmut Palmer, einst ein politischer Chefermittler des Spiegel; er hat den verständlichsten und spannendsten Text über die Cum-Ex-Milliardenbetrügereien geschrieben, den ich bisher gelesen habe: 407 Seiten lang, spannend wie ein Krimi. Es ist auch einer. Es ist dies ein Roman über die Bankenmafia, ein Finanzporno über tödliche Gier und über eine irrige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs in München, die, wie Palmer wunderbar herausarbeitet, Cum-Ex überhaupt erst möglich gemacht hat. Palmers Buch ist eine literarische Fiktion, aber hart an der Wahrheit. Bundeskanzler Olaf Scholz spielt darin auch eine Rolle, eine kleine, aber typische: Dass er sich in Sachen Cum-Ex ohne Not in eine Gedächtnislücke geflüchtet hat, aus der er nicht mehr herausfindet, ist keine Erfindung, sondern Faktum. Und Hartmut Palmer ist ein Autor, der sein Geschäft beherrscht. Der politische Journalist a.D. ist jetzt 82 Jahre alt – und er schreibt wie ein Junger. Was Sie schon immer über Cum-Ex wissen wollten: Hier ist es!

Hartmut Palmer: Abkassiert. Die tödliche Gier der Cum-Ex-Zocker. Der Roman ist im September im Gmeiner-Verlag erschienen; er kostet 18 Euro.
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Den fanden wir gutt
Der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef heißt, wie jeder weiß, Markus Söder. Es hätte auch ganz anders kommen können. Das abrupte Ende der kometenhaften Karriere des oberfränkischen Adligen und damaligen Bundesverteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg war die Voraussetzung für die politische Himmelfahrt des mittelfränkischen Maurersohns Markus Söder. Ohne die im Jahr 2011 aufgedeckten wissenschaftlichen Betrügereien (ein Großteil seiner Doktorarbeit bestand aus Plagiaten) wäre heute Guttenberg das, was Söder ist. Söders Ruf war damals, vorsichtig gesagt, nicht sehr gut. Er galt als ein politischer Pöbler, als Haudrauf, als Mann ohne Zwischentöne, manchen galt er als Kotzbrocken. Ganz anders Guttenberg: Guttenberg hatte Aura und Noblesse. Die Bild-Zeitung schrieb: "Den finden wir gutt." Und die Zeit attestierte ihm Charisma. Dann kam der Absturz, dann kam der Rücktritt von allen politischen Ämtern. Roman Deininger und Mareen Linnartz haben Guttenberg soeben interviewt; Anlass ist sein soeben im Herder-Verlag erschienenes Buch „3 Sekunden. Notizen aus der Gegenwart“. Am spannendsten darin sind seine boshaft-spitzen Bemerkungen über Söder.
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