| Liebe Leserin, lieber Leser, |
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es hätte die Festnahme nicht geben dürfen, nicht die Inhaftierung, den Prozess, sein Urteil und den Grund, weshalb es zu dessen Revision gekommen war, die am Dienstag das ursprüngliche Urteil jedoch lediglich bestätigte. Am 16. November ist der algerisch-französische Schriftsteller Boualem Sansal bei der Rückreise in sein Heimatland auf dem Flughafen von Algier von Polizisten in Zivil verhaftet worden. Am 27. März ist er zu fünf Jahren Haft verurteilt worden. Er soll mit einer Äußerung über die Zugehörigkeit des algerischen Westens zu Marokko die „territoriale Integrität Algeriens“ gefährdet haben. Die Staatsanwaltschaft hatte zehn Jahre Haft für den 75 Jahre alten, schwer kranken Schriftsteller gefordert, und es war auch die Staatsanwaltschaft, die in Revision gegangen war, um diese Forderung doch noch durchzusetzen. | Fridtjof Küchemann | Redakteur im Feuilleton. | |
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| Es hätte nie Anlass zu der beschämenden Hoffnung auf Begnadigung geben dürfen, beschämend für ein Land, dessen Rechtsprechung sich dem politischen Interesse an einem Doppelstaatsbürger in der spannungsreichen Beziehung zur ehemaligen Kolonialmacht beugt. Zum Ende des Ramadan hatte der algerische Präsident Abdelmadjid Tebboune bereits früher Begnadigungen ausgesprochen. Tausende kamen so vor zwei Jahren frei, doch Inhaftierte, die wegen der Verschwörung gegen oder des Angriffs auf die „territoriale Integrität“ des Landes verurteilt worden waren, wurden schon damals ausgeschlossen, und der 30. März, auf den Unterstützer Boualem Sansals in diesem Jahr weltweit gehofft hatten, blieb ohne die erlösende Neuigkeit. Jetzt gibt es ein zweites Mal zweifelhaften Anlass zu dieser Hoffnung: Morgen, am Samstag, feiert Algerien die Unabhängigkeitserklärung im Jahr 1962, ebenfalls eine bereits genutzte Gelegenheit des Präsidenten für Begnadigungen. Die Grenzstreitigkeiten mit Marokko betreffen die rohstoffreiche Westsahara und bestehen seit 1830, dem Jahr, in dem Frankreich seine Invasion des heutigen Algeriens begann. Nicht allein der Inhaftierung Sansals geschuldet, sind die Beziehungen zwischen Frankreich und Algerien derzeit auf einem Tiefstand. Jetzt hofft man in unserem Nachbarland, deutsche Diplomatie könne den Handelspartner dazu bewegen, den französischen Staatsbürger Sansal freizulassen. *** Unsere Empfehlungen der Woche: Der Faschismus ist zurück: Karen Krüger über Antonio Scuratis fünften und letzten Band seiner Romanreihe über den Aufstieg und Fall Benito Mussolinis Seine Tinte ist noch feucht: Thomas Combrink hat den „Maschinenraum“ des 2020 gestorbenen Schriftstellers Guntram Vesper besucht. Bedingungen ihres Schreibens: Antea Obinja über die erste Frankfurter Poetikvorlesung der Schriftstellerin Judith Schalansky *** Als schon viele algerische Intellektuelle das Land verlassen hatten, nachdem er nach Veröffentlichung seines ersten Romans aus dem Staatsdienst entlassen worden war, als seine Familie drangsaliert wurde und seine Bücher in Algerien nicht mehr erscheinen durften, hatte Boualem Sansal sein Bleiben damit begründet, ernsthafte Kritik könne man nicht von außen üben. Und kritisiert hat der Schriftsteller unerschrocken: den politisch-militärischen Komplex, der in Algerien nur „die Macht“ genannt wird, aber auch französische und internationale Politiker, ausländische Investoren wie Islamisten. Im Jahr 2011 war Boualem Sansal auch wegen seiner öffentlichen Stellungnahmen mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels gewürdigt worden. Dabei hätte allein sein literarisches Schaffen diese Auszeichnung ebenso verdient. Dass Sansal zuallererst ein Erzähler ist, dürfen wir in seiner bedrückenden Lage, angesichts der diplomatischen Bemühungen und der politischen Absichten seiner Inhaftierung nicht vergessen. Es sind seine Romane, aus denen wir sein Land kennenlernen. Und es sind seine Romane, die uns sogar verstehen lassen, welche Berührungspunkte die Geschichten unserer Länder haben. Ich habe unseren Literaturchef Andreas Platthaus gefragt, mit welchem Buch man beginnen sollte, wenn man noch keines von Sansal gelesen hat. Seine Empfehlung gilt einem Roman, der bei uns im Jahr 2009 im Merlin Verlag erschienen ist: „Das Dorf der Deutschen“. Hier entdecken, wie Joseph Hanimann noch vor Veröffentlichung der deutschen Übersetzung im Januar 2008 in der F.A.Z. geschrieben hatte , „zwei bei einem Onkel in der Pariser Vorstadt aufgewachsene Brüder algerischer Herkunft (...) nach dem Tod ihrer Eltern, dass ihr Vater – ein Deutscher, der sich im algerischen Unabhängigkeitskrieg verdient gemacht hatte, dann als Hassan Hans Schiller die schöne Tochter des Dorfscheichs heiratete und nach dessen Tod selbst zum weithin angesehenen Scheich wurde – früher als Mitglied der Waffen-SS in Buchenwald, Dachau, Lublin-Majdanek tätig war“. Der Bogen, den Sansal in diesem Roman zwischen Islamismus und Nationalsozialismus schlägt, habe „in den ersten Reaktionen in Frankreich sowohl helle Empörung wie spontane Zustimmung“ hervorgerufen. Am Tag des ersten Urteils Ende März – in der Stadt war gerade Buchmesse – wurde wie auch am Dienstag in Leipzig zur Solidaritätsbezeugung aus Werken Sansals gelesen. Es gibt viele gute Gründe, das auch zu tun. Mit allen guten Wünschen Ihr Fridtjof Küchemann . P.S.: „Das Lösungswort klingt nur so, als handele es sich um eine Person“, hatten wir zu Jürgen Kaubes Literaturrätsel im vergangenen Monat geschrieben – und damit riskiert, dass zumindest Kenner der Lebensgeschichte des Sonnenkönigs aufhorchen. Maria Mancini hieß eine Geliebte des jungen Ludwigs XIV., allerdings trägt auch die Lieblingszigarre Thomas Manns diesen Namen, den wir aus technischen Gründen im Rätsel ohne Leerzeichen schreiben mussten. Wir danken fürs Mitspielen und die zahlreichen Zusendungen! Unter den richtigen Einsendungen haben wir ein Exemplar von Tilmann Lahmes Biographie „Thomas Mann. Ein Leben“ aus dem Verlag dtv verlost, gewonnen hat Matthias Gunzenhauser aus Ellwangen.
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