Daniel Pipes

Werden die Türkei und Griechenland wegen einer winzigen Insel aneinander geraten?
Kastelorizo liegt eine Meile vor dem türkischen Festland

von Daniel Pipes
The Spectator
16. September 2020

http://de.danielpipes.org/19789/werden-die-tuerkei-und-griechenland-wegen-einer

Englischer Originaltext: Will Turkey and Greece Clash over a Tiny Island?
Übersetzung: H.Eiteneier

Ein obskurer Unruheherd im Mittelmeer könnte bald zu einer Krise führen; es handelt sich dabei um die winzige und entlegene griechische Insel Kastelorizo (oder Megisti; auf Türkisch Meis). Wie so viele andere griechische Inseln liegt sie viel näher am türkischen als am griechischen Festland (1,6km gegenüber 574km). Anders als andere kleine griechische Inseln verleiht ihre Lage zwischen Rhodos und Zypern ihr übergroße militärische und wirtschaftliche Bedeutung.

Die Einwohner von Kastelorizo mögen wenige sein, aber sie sind patriotische Griechen.

Würde Kastelorizo mit seinen weniger als 500 Einwohnern die vollen ihm von der UNO-Konvention zum Seerecht von 1982 gewährten Rechte gegeben, dann könnte Griechenland eine exklusive 200-Seemeilen-Wirtschaftszone (EEZ) beanspruchen, die der Türkei eine eingeengte EEZ entlang ihrer Küste übrig ließe; nimmt man Kastelorizo weg, dann ist die türkische EEZ doppelt so groß. Die Entdeckung großer Gas- und Ölvorkommen im Mittelmeer gibt dem eine besonders große mögliche Bedeutung.

Die Republik Türkei unter Präsident Recep Tayyip Erdoğan lehnt es entschieden ab, dass Kastelorizo diese Privilegien genießt. Er verurteilte vor kurzem "die Pläne derer, die versuchen ein Land mit 780.000 Quadratkilometern unter Verwendung einer Insel von 10 Quadratkilometern auf seine Küstenlinien einzuschränken". Dann fügte er unter Hinweis auf lange zurückliegende militärische Siege über die Griechen hinzu: "Vor einem Jahrhundert beerdigten wir wie entweder oder warfen sie ins Meer. Ich hoffe, sie zahlen jetzt nicht denselben Preis."

In Reaktion darauf besuchte die griechische Präsidentin Katerina Sakellaropoulou am 13. September Kastelorizo, wo sie mit Bemerkungen antwortete, die derart rätselhaft milde waren, dass sie tatsächlich zu Aggression einladen könnten: "Wir machen eine schwierige und gefährliche Zeit durch. Die türkische Führung intensiviert ihren Druck auf unser Land, was zu aggressiven Äußerungen führt", die "die gutnachbarlichen Beziehungen und friedliche Koexistenz" untergraben, "die über so viele Jahrzehnte von Griechen und Türken aufgebaut wurden, die das Meer, das uns trennt, nicht als undurchdringliche Grenze betrachten, sondern als Kommunikationskanal". Dass der türkische Verteidigungsminister erst einen Tag zuvor zufällig die türkische Stadt besuchte, die Kastelorizo am nächsten liegt, war eine unheilschwangere Botschaft.

Die griechische Präsidentin Katerina Sakellaropoulou besuchte am 13. Sept. Kastelorizo, um den Tag der Befreiung der Insel zu begehen.

Die letzten Monate haben Erdoğan so aggressiv wie nie zuvor im Mittelmeer erlebt: Er schickte Forschungsschiffe in griechische und zypriotische Gewässer; diese hatten beträchtliche Begleitung durch die Kriegsmarine und sollten nach Kohlenwasserstoffen suchen; und er unterschrieb eine Vereinbarung mit einer libyschen Kriegspartei, die den beiden Ländern eine gemeinsame Seegrenze beschert (Griechenland und Ägypten reagierten dann auf gleiche Weise).

Eine Krise könnte unmittelbar bevorstehen. So wie es mit der türkischen Wirtschaft, geleitet von einer schwachen Währung, bergab geht, würde eine Konfrontation auf Kastelorizo auf ideale Weise mit Blick auf die Präsidentschaftswahlen 2023 nationalistische Emotionen aufpeitschen. Der Analyst Jack Dulgarian hat ein plausibles Szenario vorgelegt: Türkische Truppen marschieren auf Kastelorizo ein oder nehmen die Insel als Geisel und fordern (eine Wiederholung von Zypern 1974) die Welt heraus etwas deswegen zu unternehmen.

Alleine können die hellenischen Streitkräfte die Insel nicht zurückerobern. Genauso werden weder Israel noch Ägypten wegen Kastelorizo gegen die Türkei in den Krieg ziehen. Artikel 5 der NATO, der Schutz vor Aggression verspricht, wird sich mit Sicherheit als funktionsunfähig erweisen, wenn beide Kombattanten Mitglieder dieser Organisation sind. Angeführt von Deutschland schaudert der Großteil Europas (mit Emmanuel Macron als ehrenvoller Ausnahme) angesichts der Aussicht, dass die Türkei ihre Waffen gegen illegale Migranten einsetzt und zieht Appeasement gegenüber Ankara vor. Russlands Wladimir Putin versucht Erdoğan aus der NATO abzuwerben und wird ihn nicht gegen sich aufbringen. Chinas Xi Jinping heißt die wirtschaftliche Schwäche der Türkei als Möglichkeit willkommen aus ihr – wie aus dem Iran – in eine Wirtschaftskolonie zu machen.

Chinas Xi (links) und Erdoğan aus der Türkei: neue beste Freund für immer.

Sollte Kastelorizo (wie ein Drittel von Zypern) bei minimalen Kosten für Ankara unter türkische Kontrolle kommen, wird das weitreichende Folgen haben. Weil er innerhalb der Türkei Bewunderung genießt, wird Erdoğan wahrscheinlich die aggressive Öl- und Gas-Sondierung intensivieren und er könnte die zu Griechenland gehörenden ägäischen Inseln zu seinem nächsten Ziel machen. Mehr noch: Da er Islamist und Jihadist ist, kann man sich vorstellen, dass Erdoğan versucht ganz Zypern und sogar ganz Griechenland zu erobern. Er ist bereits in den Irak, Syrien und Libyen eingedrungen; Kastelorizo wäre der nächste Schritt eines Amoklaufs sein, der sich auf alle Teile des osmanischen Reichs auf seinem Höhepunkt vor fünf Jahrhunderten erstrecken könnte.

Wer wird ihn aufhalten? Alle Schlüsselführer – USA, Deutsche, Russen und Chinesen – lächeln Erdoğan zu, machen es schwer zu sehen, wie dieser lange unterschätzte, hoch entschlossene Feind abgeschreckt werden kann.

Daniel Pipes (www.DanielPipes.org @DanielPipes) ist Präsident des Middle East Forum
© 2020 by Daniel Pipes. Alle Rechte vorbehalten

Verwandte Themen:  Türkei

Um sich in die Mailingliste von Daniel Pipes einzutragen oder auszutragen, gehen Sie bitte auf http://de.danielpipes.org/subscribe.php
   (Daniel Pipes verschickt etwa einmal pro Woche eine Mail mit seinen Veröffentlichungen.)

DanielPipes.org