Liebe/r Leser/in, auf diesem Weg möchte ich Freunde und Familie, Bekannte und Bundesregierung um Verständnis bitten: Die nächsten vier Wochen kann ich ihnen nicht die ungeteilte Aufmerksamkeit entgegenbringen. König Fußball regiert. Europameisterschaft im eigenen Land, Sie verstehen? Da verschieben sich die Prioritäten.
Gewiss, ein „Sommermärchen“ lässt sich nicht erzwingen, die Weltmeisterschaft 2006 geriet uns auch deshalb so fantastisch, weil sie so unerwartet passierte. Unverkrampfter Patriotismus und Lebensfreude waren zuvor nicht das Erste, was die Welt mit uns in Verbindung gebracht hätte. Diese Glückseligkeit ist nur schwer zu reproduzieren.
Sonnenschein wie gute Laune lassen sich nicht anordnen – so gerne die Ampelregierung das vermutlich täte, schließlich ist ihr Glaube an die Lenkungskraft der Politik grenzenlos, individueller Freiheit und Wettbewerb sind zu misstrauen, so das offenkundige Selbstverständnis, Vater Staat soll es richten; vom Strafraum über die Garage bis zum Heizungskeller.
Das Bild, das mir aus der EM-Vorbereitung haften bleibt, war der gemeinsame Auftritt des Kanzlers mit dem Nationaltrainer. Was sich die Nationalelf von der Politik abschauen könnte, wurde Olaf Scholz gefragt. „Besser nichts“, war die Antwort des Bundeskanzlers. Da hat er recht. Zumindest wenn das Fußballteam den Ehrgeiz hat, das Turnier zu gewinnen.
Für Siegeswillen taugt die zerstrittene Ampel kaum zum Vorbild. Gerissen hat sie schon lange nichts mehr. Die Wirtschaft lahmt, die Wettbewerbsfähigkeit schwindet, das Land verharrt im Abstiegskampf. Als der Internationale Währungsfonds (IWF) für seine Jahrestagung neulich ein Symbolfoto für ökonomischen Stillstand suchte, haben die IWF-Strategen zu Berliner Straßenszenen gegriffen – so hat es Finanzminister Christian Lindner erlebt, nachdem ihn sein französischer Sitznachbar sanft stupsend darauf hingewiesen hat. Welch eine Schmach für den einstigen Exportweltmeister, der draußen in der Welt vorzugsweise als moraltriefender Lehrmeister auftritt. Kein Wunder, dass es nun selbst von den heimischen Rängen gellende Pfiffe setzt. Nicht mal ein Drittel des Wahlvolks hat in der Europawahl noch zu den drei Regierungsparteien gehalten. So sehen Verlierer aus.
Im Sport wäre dies der Zeitpunkt, den Coach auszuwechseln. Für die Republik wäre eine Fitnesskur dringend geboten. Am besten mit einem Trainer, der nicht nur etwas versteht vom Toreschießen, sondern auch die Mannschaft erreicht. Wie hieß es einst zur Begründung für Julian Nagelsmanns Rauswurf beim FC Bayern? „Der Trainer hat die Kabine verloren.“ Von Olaf Scholz ließe sich Ähnliches sagen. Wie lange noch?, lautet daher die allgegenwärtige Frage, der wir unsere Titelgeschichte widmen. Wie lange noch schleppt sich die Regierung übers Feld? So ausgelaugt, so kraft- und ideenlos, wie sie auftritt.
Nun hoffen wir aber erst mal auf eine fröhliche Europameisterschaft, auf viele Tore der Nagelsmänner, auf spannende und vor allem friedliche Spiele. Am 14. Juli ist Finale. Danach sehen wir weiter. |