Ausgabe vom 28.10.2019

Wie Sie mit ein paar dummen Fragen lukrative Trends aufspüren

Wie Sie mit ein paar dummen Fragen lukrative Trends aufspüren
von Torsten Ewert

Sehr verehrte Leserinnen und Leser,

Sie erwarten von Ihrer Börse-Intern zu Recht Aufklärung und Antworten zum Börsengeschehen. Fragen dazu haben Sie vermutlich selbst genug. Aber wer jemals von einem kleinen Kind mit den berüchtigten Warum-Fragen traktiert wurde, weiß recht gut, dass auch (oder gerade) „dumme“ Fragen (also Fragen, die wirklich naheliegend sind) unseren Blick für die entsprechenden Themen schärfen und unsere Gedanken mitunter in ganz neue Bahnen lenken.

Diesen Effekt können Sie sich zunutze machen, um lukrative Trends aufzuspüren. Wie das geht, zeige ich Ihnen im folgenden konkreten Beispiel.

Eine Trendwende oder nur eine kurze Erholung?

Manche der folgenden Fragen schleppe ich schon eine ganze Weile mit mir herum. Warum ich sie Ihnen ausgerechnet heute präsentiere, hat einen einfachen Grund: die jüngste Stärke des DAX. Diese war offensichtlich nicht (nur) durch den Oktober-Verfallstag bedingt, sondern durch die Erholung von Indexschwergewichten wie SAP, Allianz, oder Siemens. Aber vor allem die ebenfalls stark im Index gewichteten deutschen Autowerte liefen zuletzt sehr gut und schoben den DAX daher zusätzlich an.

Dabei litten die deutschen Autohersteller bisher bekanntlich unter allerlei Belastungen: der allgemeinen Konjunktur- und Marktschwäche, vor allem in China, dem Abgasbetrug und der Klimawandeldebatte und natürlich den zu erwartenden Kosten bei der Umstellung auf alternative Antriebe. Das bringt mich zu meiner ersten Frage: Ist diese Stärke der Autobranche Ausdruck eines Gesinnungswandels der Investoren oder nur eine Reaktion auf die möglicherweise übertriebenen Kursabschläge zuvor? Sehen wir also eine Trendwende bei Autoaktien oder nur eine zeitweilige Erholung?

Vergessen wir nicht: Schon kurz vor der Finanzkrise gab es einmal eine breite Diskussion über alternative Antriebe. Anlass war damals der rasante Anstieg der Ölpreise bis auf knapp 150 US-Dollar. Aber nachdem die Ölpreise – nicht zuletzt infolge der Finanzkrise – wieder einbrachen und (auch) die Autohersteller ganz andere, „handfestere“ Probleme in der folgenden Rezession bekamen, verschwand dieses Thema ganz schnell wieder in der Versenkung. Bis jetzt.

Was der Wandel in der Autobranche bewirken könnte

Erleben wir also womöglich lediglich eine Art Déjà-vu und legt sich die ganze Aufregung wieder – z.B., wenn die Weltwirtschaft doch stärker ins Schlingern kommt?

Möglich ist das natürlich. Aber da der Klimawandel weitgehend als gegeben angesehen wird, dürfte diese Diskussion danach früher oder später doch wieder aufflammen. Damit ergibt sich die grundsätzliche Frage: Wie gut sind die heutigen Autohersteller generell für einen Wandel zu umweltfreundlicheren Antrieben gerüstet?

Klar ist: Egal, welches (andere) Antriebssystem die Fahrzeuge der Zukunft antreiben wird – die Dominanz der Hersteller und Zulieferer, die hauptsächlich auf dem Knowhow bei komplexen Baugruppen wie Motor, Getriebe und Fahrwerk beruht, dürfte dann abrupt enden. Alle alternativen Antriebe, wie Akkus oder Brennstoffzelle, arbeiten letztlich mit elektrischer Energie als Antriebsquelle. Und selbst die Autohersteller geben zu, dass dadurch die gesamte Fahrzeugkonstruktion erheblich einfacher wird.

Salopp gesagt, könnte dann fast jeder ein „Elektroauto“ zusammenschrauben. Spezielle Hersteller braucht man dafür nicht mehr bzw. diese würden in eine ähnlich defensive Ecke gedrängt werden wie heute schon die Hersteller von Unterhaltungselektronik oder viele Handyhersteller.

Apple vs. Nokia – so radikal kann Wandel sein!

Aber was bliebe dann von den heutigen Autoherstellern? Ergeht es ihnen so wie Nokia? Der finnische Handyhersteller – die Älteren unter Ihnen werden sich erinnern – war bis zum Erscheinen von Apples iPhone der größte Hersteller der Welt mit mehr als einer Million (!) produzierter Geräte pro Tag! Sein Produktionssystem galt damals als beispielhaft effizient. Apple als ein heute führender Handy-„Hersteller“ produziert praktisch nicht ein Stück mehr wirklich selbst, sondern hat selbst entscheidende Komponenten an (meist namenlose und austauschbare) Zulieferer ausgelagert.

Heute gilt dieses Outsourcing-System von Apple als beispielgebend, aber obwohl Apple noch einen Gutteil seiner Umsätze und Gewinn mit dieser Hardware erzielt, geht die Tendenz längst dahin, den Kunden immer mehr „Services“ zu verkaufen, z.B. Musik, Spiele, Apps und andere Dinge, die sie langfristig weiterhin an Apple binden – auch wenn sie nicht mehr gleich die neusten iPhone-Modelle kaufen.

Der Auto-Kunde, das unbekannte Wesen

Aber können auch die heutigen Automobilhersteller eine solche Transformation erfolgreich bewerkstelligen? Was wissen sie denn heute von ihren Kunden? Welche Kanäle und Daten nutzen sie, um diese Kunden an sich zu binden, besser kennen zu lernen oder ihnen weiteren Mehrwert für ihre Fahrzeuge zu bieten?

Der Hersteller meines Autos schickt mir z.B. nur alle paar Monate eine Art Hauszeitschrift mit viel Eigenwerbung zu seinen neuesten Modellen. Und das auch nur, weil der Händler, bei dem ich das Auto gekauft habe, meine Adresse offenbar in die entsprechende Datenbank eingeschleust hat. Und ich kann mich dann ärgern, weil die neuen Modelle nun Funktionen bieten, die mir vorenthalten wurden, oder kann frohlocken, weil der Hersteller wieder mal etwas „verschlimmbessert“ hat.

Ein Update meines Fahrzeugs mit solchen neuen Funktionen bleibt dagegen Utopie (wenn man von der Aktualisierung der Navi-Daten absieht, die aber ziemlich umständlich ist). Von Tesla-Fahrern habe ich mir dagegen sagen lassen, dass solche Updates gang und gäbe sind.

Der Nokia-Moment der Fahrzeugbranche

Wird also die zukünftige Autowelt ähnlich radikal anders sein, wie vor Apple und nach Nokia? Dann stünde der Fahrzeugbranche ein zweiter Paradigmenwechsel bevor – denn sie hatte schon einmal ihren „Nokia-Moment“. Und zwar als das Automobil seinen Siegeszug auf den Straßen der Welt antrat.

Bis dahin war die Kutsche das übliche Verkehrsmittel. Aber kennen Sie einen ehemaligen Kutschenbauer, der sich erfolgreich zum Autounternehmen gewandelt hat? Abgesehen von ein paar Ausnahmen (welche die Regel bestätigen), mussten nach und nach alle Kutschenbauer aufgeben oder sich in die verbleibenden Nischen zurückziehen – so wie Nokia vom Handymarkt.

Den Grund dafür erkennen Sie, wenn Sie sich die ersten „Autos“ anschauen: Sie sahen aus wie Kutschen, nicht wie Autos. Gottlieb Daimlers Motorkutsche von 1886 hieß sogar so! Könnte also auch dem Auto eine ähnliche Transformation bevorstehen, z.B. zum „E-Mobil“ (ein Fahrzeug, das „irgendwie“ elektrisch läuft, nicht zwangsläufig mit Akkus)? Und was würde das für die Autohersteller bedeuten? Und welche Chancen ergäben sich dabei für Newcomer?

Henry Ford revolutionierte die Autobranche, indem er die Autoherstellung durch das Fließbandprinzip völlig neu dachte. Die bis dahin übliche handwerklich geprägte Manufakturfertigung (die aus der Zeit der Kutschen übernommen wurde) und die aus dem Auto ein Luxusgut machte, erschien mit einem Mal altbacken und war auch nicht mehr konkurrenzfähig.

Baut Tesla nur bessere „Kutschen“?

Ist also z.B. Tesla mit diesen Automanufakturen zu Beginn des 20. Jahrhunderts vergleichbar? Schließlich produziert das Unternehmen seine Fahrzeuge nach exakt demselben Prinzip wie die Autohersteller: auf hochautomatisierten Fertigungsstraßen. Ist das eventuell nur eine Zwischenstation auf dem Weg zum „E-Mobil“? Produziert also Tesla eigentlich nur bessere „Kutschen“?

Wie könnten „E-Mobile“ dagegen in Zukunft aussehen? Etwa so, wie diverse Studien der Autohersteller? Oder werden „E-Mobile“ wieder so exklusiv wie Autos in ihrer Anfangszeit? Zum Beispiel, weil Mobilität zukünftig gar nicht mehr so individuell sein wird, sondern vor allem durch den öffentlichen Nahverkehr abgedeckt wird? Vielleicht gibt es dann ja semi-individuelle Lösungen, die mit neuen Technologien gefertigt und betrieben werden, wie der autonome Shuttle-Bus Olli? Auch dieser sieht ganz anders aus als aktuelle Fahrzeuge – und unterscheidet sich damit von ihnen wie das erste „richtige“ Auto von einer Kutsche.

Aber wenn die Fahrzeugbranche wieder vor einem solchen Paradigmenwechsel steht – welche Chancen haben dann die etablierten Autohersteller? Werden sie wirklich in der Lage sein, diesen Wandel aktiv zu gestalten? Oder werden sie nicht bestenfalls nur hinterherlaufen? Denn wie wahrscheinlich ist es, dass sie zugleich Trendsetter bei „E-Mobilen“ und zuverlässige, engagierte Hersteller von Verbrennungsfahrzeugen sind (die viele Kunden weiterhin gern kaufen)? Woher sollen sie überhaupt die Mittel nehmen, um derart zweigleisig zu fahren? Immerhin würde ein weiter rückläufiger Markt von „alten“ Autos ihre laufenden Gewinne schmälern, aber gleichzeitig müssten sie teure Neuentwicklungen von „E-Mobilen“ stemmen.

Ein paar ganz wichtige Fragen fehlen noch

Ist das überhaupt realistisch? Schon jetzt sorgt der jüngste Einbruch der Autokonjunktur dafür, dass VW, Daimler und Co. ihre Ambitionen bei Elektroautos zurückschrauben (mehrere neue E-Modelle bei einigen Herstellern wurden zuletzt verschoben oder ganz gestrichen), sich von alternativen Mobilitätskonzepten (z.B. Carsharing) verabschieden oder sich bei neuen Technologien (z.B. autonomes Fahren) nach anfänglichen Hauruck-Aktionen stark zurückhalten. Und das Geschäft mit Daten, die sie ihren Kunden liefern (z.B. für Navigationssysteme) oder von ihnen nutzen könnten (z.B. Fahrprofile) stockt ebenfalls schon seit Jahren. Auch dabei sind andere Unternehmen aus völlig anderen Branchen schon viel weiter (z.B. Google).

Sie haben jetzt vielleicht den Eindruck, dass ich aufgrund meiner zum Teil provokativen Fragen für die Zukunft der Autobranche schwarzsehe. Doch gemach, ich bin ja mit meiner Fragerunde noch nicht am Ende!

Einige ganz wichtige Fragen habe ich ja noch gar nicht gestellt: Angenommen, es wird tatsächlich zu einem Paradigmenwechsel in der Autoindustrie kommen – wann wird es soweit sein? Oder bekommen die Autohersteller wie schon 2008 vielleicht nochmals eine Gnadenfrist und können sich zwischendurch wieder zu neuen Höhen aufschwingen?

Sind Autohersteller die neuen Tabakkonzerne?

Oder erweist sich die Branche gar als ähnliches Stehaufmännchen wie die Tabakindustrie? Deren Produkte sind seit Jahrzehnten verpönt, die Werbung für sie wurde gesetzlich massiv eingeschränkt, wird sogar bewusst abschreckend gehalten oder gleich ganz verboten. Während früher die Hollywoodstars quasi obligatorisch werbewirksam an der Zigarette zogen – von Marlene Dietrich über Humphrey Bogart oder John Wayne bis hin zu Cary Grant und James Dean – so ist Rauchen bei US-Filmproduktionen inzwischen praktisch ein No-Go (oder führt zu einer Heraufstufung der Altersfreigabe).

Trotzdem konnte das alles den Tabakunternehmen auf Dauer nichts anhaben, ebenso wenig wie die vielen teuren Schadensersatzklagen von Rauchern. Aber auch VW (und die anderen Autobauer) kamen ja bisher beim Abgasbetrug mit einem blauen Auge davon. (Und die Fahrverbote in deutschen Städten werden deren Initiatoren angelastet – und nicht den Autokonzernen, die mit ihrem Betrug diese Verbote erst nötig machten.)

Allerdings haben die Tabakkonzerne auch nie echte Konkurrenz gehabt, die ihnen das Leben schwer macht. (Die E-Zigarette als Alternative haben sie einfach aufgekauft, z.B. Altria den E-Zigaretten-Marktführer Juul.) Tesla hingegen treibt die Autoindustrie nun schon seit Jahren vor sich her, andere Quereinsteiger stehen zumindest in den Startlöchern oder wirken im Hintergrund. Sehen sich VW, Ford, Toyota und Co. demnächst einem konzertierten Angriff der Newcomer gegenüber? Oder drängen bald auch die chinesischen E-Autofirmen auf die westlichen Märkte, wenn ihr Expansionsdrang im eigenen Land aufgrund einer lahmenden Konjunktur an Grenzen stößt?

Was Ihnen diese Fragerei bringt

Sie sehen schon: Fragen über Fragen. Und nein, es ist nicht notwendig die Antworten zu kennen. Das schließt sogar die allererste Frage ein: ob die jüngste Stärke der Autowerte nur eine Erholung oder eine Trendwende ist. Man kann immer nur mögliche Tendenzen erkennen – die ich im Text angedeutet habe. Dennoch ist ein solcher Fragenkatalog für mich keine müßige Übung.

Diese Fragen helfen mir als Langfristinvestor, mögliche Trends rechtzeitig zu erkennen und später auch ihren weiteren Verlauf zu beurteilen. Denn wie eingangs betont, können solche Fragen neue Denkrichtungen aufzeigen. Diese können ganz verschieden sein, wie dieses Beispiel deutlich macht. Solche Fragen – egal, ob richtig oder falsch, gescheit oder „dumm“ – können Ihnen bei Ihren Investments immer wieder auf die Sprünge helfen.

Damit die Fragen Sie aber nicht in Sackgassen führen, sollten Sie sie möglichst offen formulieren und Ihre Gedanken dann möglichst in alle Richtung streifen lassen, die sich dabei ergeben. Das führt mindestens zu den Antworten „Ja“ und Nein“, die Sie aber bitte nicht einfach so stehen lassen, sondern natürlich begründen. Damit haben Sie also schon mindestens zwei denkbare Szenarien.

Ihr Gerüst im Neuland der Trends

Zu umfassenden Antworten oder gar einer abschließenden Klärung werden solche Fragen Sie zwar nicht führen, wie Sie in diesem Beispiel sehen. Das ist weder möglich noch nötig. Manche Fragen erübrigen sich zudem im Laufe der Zeit oder können tatsächlich genauer beantwortet werden. Wie in jedem Erkenntnisprozess werden dafür aber neue offene Fragen auftauchen. Das ist also nicht schlimm, sondern völlig normal.

Der wichtigste Nutzen solcher Fragenkataloge ist daher, dass Sie ein Gerüst haben, an dem Sie sich über das Neuland hangeln können, das jeder Trend eröffnet. Mit Ihrem Fragenkatalog und einigen zusätzlichen Hilfsmitteln, wie dem gesunden Menschenverstand – insbesondere der Frage „Wem nützt es?“ – oder den Grundrechenarten und ein paar Internetrecherchen – können Sie sowohl euphorische Jubelberichte der Medien als auch trockene Unternehmensmeldungen viel besser einordnen.

Wie Sie von Ihrem Fragenkatalog profitieren können

Im Idealfall läuft es dann aus dem Stand so, wie bei meiner jüngsten Empfehlung für die Leser des Geldanlage-Briefs: Ihnen habe ich Ende September eine Aktie empfohlen, die aufgrund meines entsprechenden Fragenkatalogs von einigen nachhaltigen Veränderungen der Investmentlandschaft profitieren sollte. Und nach noch nicht einmal einem Monat liegt diese Aktie trotz der eher durchwachsenen Bilanz der Märkte in dieser Zeit knapp 11 % im Plus. (Das schafften die deutschen Autoaktien trotz ihrer jüngsten Stärke übrigens nicht!)

Ob es mit dieser Aktie so weitergeht? Zumindest, wenn der genannte Trend anhält und sich das Unternehmen nichts zuschulden kommen lässt, ist die Wahrscheinlichkeit für weitere Gewinne hoch. In jedem Fall hilft mir aber mein entsprechendes Fragengerüst (und die Beobachtung des Unternehmens), Abweichungen vom „Plan“ möglichst frühzeitig zu erkennen.

Und nun können Sie sich an den Fragenkatalog zu Ihrem Thema machen. Ich wünsche Ihnen viele Aufschlussreiche Erkenntnisse und Aha-Effekte dabei!

Mit besten Grüßen

Ihr Torsten Ewert

PS: Wenn Sie wissen wollen, wie es mit der erwähnten Aktie weitergeht oder von meiner nächsten Trendempfehlung profitieren wollen, dann melden Sie sich gleich zum kostenlosen 30-tägigen Probeabo des Geldanlage-Briefs an. Übrigens: Die nächste Ausgabe erscheint schon am Freitag. Darin erläutere ich Ihnen, was ein Schweizer Taschenmesser bei der Geldanlage wert ist und welches vermeintliche „Universal-Investment“ Sie besser nicht in Ihrem Depot haben.



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