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Tagesspiegel Checkpoint vom Montag, 30.10.2023 | Graue Herbstwolken bei bis zu 15°C. | ||
+ „Wir haben alle Angst“: Das sagt eine Jüdin zur Stimmung in Berlin + Regierender Bürgermeister fördert fragwürdiges Kulturprojekt + Standesamt Mitte lässt Heiratswillige monatelang warten + |
von Lorenz Maroldt |
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Guten Morgen, der Regierende Bürgermeister spielt morgen mal wieder die Glücksfee: Als Vorsitzender des Stiftungsrats der Lottostiftung verteilt er gemeinsam mit Franziska Giffey, Raed Saleh, Dirk Stettner, Felor Badenberg und Silke Gebel etliche Millionen Euro an gemeinnützige Projekte, Vereine und Institutionen – ganz nach Gusto und ohne lästige Fragen im Parlament. Wünschen wir ihm dabei eine glücklichere Hand als bei der vorherigen Sitzung. Denn auf der Liste vom Juli findet sich u.a. ein „Zuschuss zur Mitfinanzierung einer Konzert- und Performance-Nacht im intersektionalen, dekolonialen und Queeren Kulturzentrum Oyoun“ (10.000 Euro). Und was dort in Neukölln gerade so abgeht, schauen wir uns jetzt mal genauer an: Für den 4. November ist hier eine „Trauer- und Hoffnungsfeier“ des Vereins „Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden im Nahen Osten“ angekündigt. Am 10. Oktober, also gerade mal drei Tage nach dem Angriff auf Israel, bei dem Terroristen der Hamas Feiernde und Familien überfielen, Babys enthaupteten, Schwangeren den Bauch aufschlitzen, Kinder in Anwesenheit ihrer gefesselten Eltern folterten, jungen Frauen die Knochen brachen und sie entführten, Fliehende massakrierten und selbst Tote noch bis zur Unkenntlichkeit malträtierten, veröffentlichte der Verein eine Erklärung, die auf der Website von Oyoun („Unsere Arbeit“) verlinkt ist. Darin heißt es: „Wir sind auch wütend, wütend auf die Unterstützer des 75-jährigen israelischen Kolonialregimes und die Blockade des Gazastreifens, die zu diesen Ereignissen geführt hat. (…) Was nun geschehen ist, glich einem Gefängnisausbruch, nachdem die Insassen zur lebenslangen Haft verurteilt wurden, nur weil sie Palästinenser:innen sind.“ „Ereignisse“, wie sie bei einem „Gefängnisausbruch“ eben vorkommen – menschenverachtender lässt sich über zivile Opfer eines bestialischen Terrorangriffs kaum sprechen. Und bereits am 1. November auf dem Programm im Oyoun: Ein Podium über „Staatliche Repression und Polizeigewalt“, organisiert von der Revolutionären Linken. In der Ankündigung heißt es: „Die staatliche Reaktion auf die Solidarität mit den Palästinenserinnen und Palästinensern hat es gezeigt: Die Maske der parlamentarischen Republik fiel und zur Schau kam die hässliche Fratze des repressiven Polizeistaats.“ Diskutiert werden soll darüber, „wie Opposition und Widerstand auch unter diesen extremen Bedingungen gelebt werden können“. Dass solche Veranstaltungen in einer pluralistischen, demokratischen Gesellschaft stattfinden können und dürfen: eine Selbstverständlichkeit. Dass ein Kulturzentrum mit dem Anspruch, „künstlerisch-kulturelle Projekte“ aus einem anderen Blickwinkel zu präsentieren, so wenig sensibel ist: problematisch. Dass der Regierende Bürgermeister und sein Senat in einem solchen Umfeld Projekte fördern: sehr fragwürdig. Denn neben der Förderung durch die Lottostiftung für die „Konzert- und Performance-Nacht“ einer GbR im Oyoun erhielt das Kulturzentrum im vergangenen Jahr auch einen Zuschuss der Kulturverwaltung: Für das Projekt „Liberating Cultural Production Design“ gab es 71.343 Euro aus öffentlichen Mitteln. | |||
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Kein Wort über die Gräueltaten der Hamas findet sich auch auf den Flyern, mit denen die „Palästina Kampagne“ für eine Demonstration am 4. November mobilisiert – im Gegenteil: Der 7. Oktober wird dort als Beginn eines Massenmords an Palästinensern dargestellt, gefordert wird die „Befreiung Palästinas“, worunter die Auslöschung Israels zu verstehen ist („From the river to the sea“). Ausgelegt wurden die Flugblätter u.a. an der FU und im Fitness-Studio „John Reed“ in der Prenzlauer Allee, das auch von jüdischen Berlinern besucht wird. Auf die Flyer angesprochen, reagierte das Management zunächst verhalten: Da wolle man sich nicht einmischen, „das ist nicht mein Thema“. Einen Tag später, am Freitag, wies das Studio auf einem Aushang dann doch darauf hin, dass das Verteilen von Flyern untersagt ist. „Wir haben alle Angst“, sagt eine jüdische Bekannte über die Stimmung in der Stadt – niemand traue sich noch, sein Gesicht oder seinen Namen zu zeigen. „Was mich fertig macht, das ist die Haltung vieler Deutscher, sich lieber rauszuhalten. Wer schützt denn noch uns und unsere Meinungsfreiheit?“ Ein Freund schreibt mir: „Wir sind alle ziemlich angefasst, weil sich das erste Mal Unsicherheit breiter macht, auch, wie es hier weitergeht.“ | |||
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Die Pressestelle der Berliner CDU ist ohnehin nicht sehr auskunftsfreudig, aber bei einer Anfrage zur jüngsten Eskalationserklärung des Parteivorsitzenden Friedrich Merz („Deutschland kann nicht noch mehr Flüchtlinge aufnehmen, wir haben genug antisemitische junge Männer im Land“) verschlug es ihr tagelang komplett die Sprache. Schließlich sprang die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Stefanie Bung in die Bresche und sprach das doch eigentlich Selbstverständliche aus: „Nicht alle Palästinenser sind Antisemiten.“ Und weiter: Der Berliner Landesverband der CDU differenziere klar zwischen den Menschen, die auf die Lage der Zivilisten in Gaza aufmerksam machen wollen und denjenigen, die antisemitische Parolen rufen, denn: „Nicht alle Palästinenser stehen hinter der Hamas.“ Nur leider zeigen sie das so selten. (Q: Berlin live) | |||
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Mit dem Spruch „Heiraten im Herzen der Hauptstadt“ wirbt das chronisch überforderte Standesamt Mitte um Kundschaft – und lässt die Heiratswilligen dann ziemlich allein. Wer online das erforderliche Antragsformular einreicht, bekommt erstmal nur diesen Hinweis: „Es folgt keine gesonderte Bestätigung per E-Mail!“ (Berliner Behördenpost ist nur echt mit dem Ausrufezeichen). Danach belehrt ein unvollständig dahin gestolperter Satz zur Vorgangsdauer („Die Bearbeitung Ihres Anliegens einige Zeit in Anspruch nehmen“), und was diese zusätzlich verzögert („Nachfragen zum Bearbeitungsstand, telefonisch als auch per E-Mail“). Ein Checkpoint-Leser, der uns seinen Fall geschildert hat, wartet jetzt seit mehr als zehn Wochen auf irgendeine Reaktion vom Amt – er sagt: „Diese Probleme beeinträchtigen meine Rechte als EU-Bürger, der in Berlin lebt und Steuern zahlt. Das ist inakzeptabel, insbesondere in einer Stadt, die sich angeblich besonders um Familien und Bürgerrechte kümmert.“ In dem automatisch erstellten Hinweis bedankt sich die Heiratsstelle dann noch für etwas, das Heiratswillige in Mitte schon seit langem nicht mehr haben, nämlich: „für Ihr Verständnis“. | |||
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So, Zeit für einen Blick in die Leserpost … hier, das ist ja interessant: „Sehr geehrter Herr Maroldt, ich werfe Ihnen vor, in diktatorischer Weise Ihre Machtstellung in Sachen Medien zu missbrauchen. Ja, Sie sind dabei, eine Gendersprachdiktatur zu errichten. Sich in dieser penetranten Art über den Mehrheitswillen der Bevölkerung hinwegzusetzen, kann man leider nicht anders nennen. Sie sind ein Diktator. Mit freundlichem Gruß, Dr. Axel-Peter Moers.“ Hm, was hatte Herrn Moers bloß so erregt? Es war, ganz konkret, wie er schreibt, der Satzteil „Jüdinnen und Juden“, verfasst vor dem Hintergrund des Terroranschlags auf Mädchen und Jungen, auf Frauen und Männer in Israel. So so, ein Diktator – ich fühle mich des Anlasses wegen geehrt und in eine Reihe mit weiteren berühmten Berliner Gendersprachdiktatoren gestellt: Zum Beispiel Ernst Reuter – der Oberbürgermeister sprach am 9.9.1948 in seiner berühmten Rede „Völker der Welt, schaut auf diese Stadt“ die „Berlinerinnen und Berliner“ an: „Und sie werden auf unseren kümmerlichen, elenden, zertrümmerten, alten, ruinierten Bahnhöfen wieder die zweiten Gleise aufmontieren, die das Symbol unserer wiedergewonnenen Freiheit sein werden, die wir uns, Berlinerinnen und Berliner, in den Kämpfen, die hinter uns liegen, und in den Nöten, die vor uns liegen, erkämpfen müssen und erkämpfen werden.“ Oder auch Willy Brandt – als der spätere Bundeskanzler noch Regierender Bürgermeister war, wandte er sich am 23.11.1963 an „Meine Mitbürgerinnen und Mitbürger“. Anlass war seine Ansprache zum Gedenken an den ermordeten John F. Kennedy: „Ich habe die Berlinerinnen und Berliner gebeten, heute Abend zwischen 19 und 20 Uhr die Kerzen in die Fenster zu stellen als Zeichen des Gedenkens an diesen idealistischen, der Zukunft zugewandten großen Präsidenten der Vereinigten Staaten.“ Es gibt eben Wichtigkeiten und Nichtigkeiten, manche Menschen können sie sogar unterscheiden. Der Brief von Dr. Moers, hier leicht gekürzt und korrigiert wiedergegeben, enthielt im Original übrigens auf zwölf Zeilen dreizehn orthografische und grammatikalische Fehler. Das schafft nicht mal der Checkpoint. | |||
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