Klar ist: Das Blatt bzw. zumindest die betreffenden Autoren führen eine Art Privatkrieg gegen Wirecard, in dem die Fronten verhärtet sind. Anders ist das Timing der Artikel nicht zu erklären. Es steht nichts darin, was die Financial Times so auch vor zwei Wochen schon hätte veröffentlichen können. Alleine diesen Fakt finde ich schon bedenklich für eine Publikation dieser Größenordnung und mit diesem Renommeé (zumindest bisher). Worum genau geht es nun in dem neuen Artikel? Im Prinzip ist es die Fortsetzung eines Artikels vom 29. März auf den ich bereits in diesem Video vergangenen Mittwoch eingegangen bin. Damals ging es um die angeblichen "Problem-Partner" von Wirecard: Beginnen wir von vorne... Wirecard trifft häufig auf Online-Geschäfte für die es die Zahlungsverarbeitung nicht übernehmen will bzw. kann. Z.B. weil es keine Lizenz für das betreffende Land hat oder andere Risiken bestehen. Diese Kunden werden dann stattdessen an so genannte Third Party Acquirer weitergeleitet. Also an Drittfirmen, die die erforderliche Lizenz haben oder bereit sind, die Risiken einzugehen. Um was für Risiken geht es dabei? Beispielsweise um Zahlungsflüsse bei Firmen, die auf Online-Pornographie und Online-Glücksspiele spezialisiert sind. In diesen Bereichen ist wohl die Zahl der dubiosen Anbieter besonders hoch und die rechtliche Stellung dieser Geschäfte teilweise unklar. Ein Punkt, den nun die Financial Times aufgedeckt hat, ist, dass die Umsätze mit so genannten Drittfirmen laut der internen Planung von Wirecard für 2018 für rund die Hälfte der Gesamtumsätze verantwortlich waren. Ganz neue Vorwürfe Neu im aktuellen Artikel ist nun die Behauptung, dass Wirecard mit drei dieser (angeblich) dubiosen Partner "in den letzten Jahren quasi den ganzen Gewinn erzielt habe". Die Financial Times nennt die Partner "opaque" was übersetzt soviel bedeutet wie "undurchsichtig". Es geht dabei um Al Alam aus Dubai, PayEasy Solutions aus den Philippinen und Senjo aus Singapur. Neu ist zudem der Hinweis, dass die wichtigste Wirecard-Einheit CardSystems Middle East kein Audit von Wirtschaftsprüfern durchlaufen würde. Das wiederum - so die indirekte Schlussfolgerung - mache die Genehmigung der Bilanzen durch Ernst & Young weniger aussagekräftig. Wirecard bestreitet das und behauptet, alle Töchter würden regulär geprüft. Was ist dran den Vorwürfen? Das ist die große Frage! Wir rätseln ja schon seit geraumer Zeit darüber, wo die hohen Margen von Wirecard herkommen? Unter anderem stand diese Frage auch im Fokus einer ausführlichen Analyse des exzellenten Blogs www.finanz-szene.de. Der Autor war hier bei seinen tiefgreifenden Recherchen zu keiner schlüssigen Antwort gekommen, warum Wirecard z.B. um den Faktor 4 höhere Margen einfährt als Adyen. Ich denke, Teil der Lösung des Rätsels sind diese Geschäften mit Drittanbietern, u.a. der Teil der Geschäfte, die mit Porno- und Glücksspielfirmen abgewickelt werden. Ich hatte schon erwähnt, dass sich diese Anbieter häufig an der Grenze der Legalität bewegen. Vor allem Online-Glücksspiele werden ja auch zur Geldwäsche genutzt. Damit diese Firmen überhaupt Zahlungsverarbeitungs-Partner bekommen, müssen sie entsprechend höhere Gebühren abdrücken. Normalerweise liegen die ja im Bereich 0,3% der Überweisungssumme. Für die betreffenden Firmen dürften sie aber ein Vielfaches dieser Summe betragen. Die Frage ist dann, wie viel dieser Gebühren der Drittanbieter einstreicht und wie viel Wirecard? Hier müssen wir spekulieren, denn das ist aus den offiziellen Veröffentlichungen von Wirecard nicht ersichtlich. Es hängt aber wohl auch davon ab, wie unabhängig diese Drittanbieter eigentlich sind. Im neuen Artikel der FT heißt es z.B.: "Al Alam Solutions, ein in Dubai ansässiger Zahlungsabwickler ... ist das größte der drei Partnerunternehmen. Wirecard verleiht Kunden an Al Alam und erhält als Gegenleistung einen Teil der Bearbeitungsgebühren. Ein ehemaliger Mitarbeiter von Al Alam sagte, das Unternehmen habe insgesamt sechs oder sieben Mitarbeiter, und "der Chef" sei Oliver Bellenhaus, ein Geschäftsführer von Wirecard." Zu den Kunden von Al Alam sollen russische Zahlungsabwickler, eine Glücksspielseite und verschiedene Online-Marketing-Agenturen zählen. Laut FT sollen die Umsätze von Al Alam über die Wirecard-Töchter in Dubai und Irland gebucht worden sein. Einem Whistleblower zufolge sollen hinter den Buchungen aber keine Geldflüsse gestanden haben. Wirecards Dubai-Tochter habe Konten bei Wirecard selbst und verschiedenen Banken im Nahen Osten unterhalten: "Die Umsätze sind niemals durch diese Konten geflossen", zitiert die FT den Insider. PayEasy Solutions hat auf den Philippinen laut Financial Times die gleiche Geschäftsadresse wie ein Busunternehmen mit Namen Froehlich Tours, dessen Eigentümer, Christopher Bauer, ein ehemaliger Wirecard-Mitarbeiter ist. Die Financial Times zeigt außerdem, dass Wirecard mit Firmen wie Conepay auf den Philippinen zusammenarbeitet, deren offizielle Anschrift ein Haus ist, das sich seit 50 Jahren im Familienbesitz befindet und deren Eigentümer weder jemals von Conepay noch von Wirecard gehört hat. Wirecard stellt zwar klar, dass... 1. sämtliche Anbieter in der Branche mit solchen Drittanbietern zusammenarbeiten und 2. der Umsatz mit Firmen aus den heiklen Bereichen Porno und Glücksspiel bei weniger als 10% der Referrals liege und 3. die Bedeutung des Geschäfts mit Drittanbietern sukzessive zurückgehe. Fakt ist aber wohl, dass der Anteil der Umsätze mit Drittfirmen bei Wirecard mit - geplant - 50% zumindest in 2018 noch ungewöhnlich hoch gewesen ist. Laut Financial Times verbucht Wirecard zudem die Umsätze, die diese Drittfirmen erzielen, komplett als eigene Umsätze. Intuitiv würde man sagen, dass das nicht richtig sein kann. Denn was sollen dann diese Drittfirmen als Umsätze verbuchen? Intuitiv erschiene es schlüssiger, wenn Wirecard nur die Gebühren, die es von den Drittfirmen verlangt, als eigene Umsätze verbuchen würde. Warum könnte das ein Problem für Wirecard sein? Aus zwei Gründen: 1. Könnten die Gesamtmargen von Wirecard zurückgehen, wenn das Geschäft mit Drittanbietern zukünftig an Bedeutung verlieren sollte. Und das hat Wirecard ja angekündigt. 2. ... und das ist eine Spekulation der Financial Times - gibt es wohl Anhaltspunkte für hohe offenen Forderungen von Wirecard gegen diese Drittfirmen. Die Financial Times schreibt konkret, dass lt. einem Snapshot aus dem März 2017 ein Dutzend Firmen Wirecard insgesamt 210 Millionen Euro geschuldet hätten. Wirecard hat dem aber schon stark widersprochen und bezeichnete das als "Teil eines ganzen Pakets von überwiegend falschen und irreführenden Informationen, die die Financial Times wiederholt falsch zitiert" habe. Wie ist die Softbank-Investition zu bewerten? Das Votum des Marktes war eindeutig: Die Tatsache, dass die japanische Softbank, einer der größten Technologie-Investoren der Welt, in Wirecard investiert, fassten die Anleger als Vertrauensbeweis auf. Die Aktie schnellte in die Höhe. 900 Millionen Euro sind eine ansehnliche Summe. Allerdings, und das ist angesichts der Freude etwas untergegangen: Vorläufig gewähren die Japaner Wirecard nur einen Kredit in dieser Höhe mit einer Laufzeit von fünf Jahren. Erst danach entscheiden sie sich, ob sie sich die Kreditsumme plus Zinsen zurückzahlen lassen oder die Anleihe tatsächlich in Aktien wandeln. Der Wandlungspreis von 130 Euro lag zum Zeitpunkt der Bekanntgabe nur knapp über dem Börsenkurs. Damit ist der Deal zunächst eher gut für die Softbank: Entwickelt sich der Wirecard-Kurs schlecht, kann man sich das Investment wieder auszahlen lassen nach fünf Jahren, entwickelt er sich aber gut, profitiert man kräftig mit Kursgewinnen. Verluste entstünden nur dann, wenn Wirecard nach fünf Jahren nicht mehr in der Lage wäre, den Kredit zurückzubezahlen. Dann wären aber zunächst mal die Aktionäre diejenigen, die die Zeche bezahlen. Warum macht Wirecard dann überhaupt einen solchen Deal? Ich denke wegen der Kooperation, die parallel dazu beschlossen worden ist. Softbank will Wirecard bei der geografischen Expansion nach Japan und Südkorea unterstützen und die Zusammenarbeit mit Portfolio-Unternehmen der Softbank ermöglichen. Und das sind eine ganze Menge... Insofern könnte Wirecard durchaus profitieren, denn genau in diesen beiden Regionen hat das Unternehmen noch Nachholbedarf. Wie sind die 2018er-Zahlen ausgefallen? Positiv ist vor allem, dass Ernst & Young das Testat für die Zahlen erteilt hat. Fakt ist aber auch, dass die tatsächlichen Zahlen etwas nach unten korrigiert werden mussten, der Umsatz und 56 Millionen Euro und das EBITDA um sechs Millionen. Letzteres begründet Wirecard mit den zusätzlichen Anwalts- und Auditkosten. Die geringeren Umsätze können damit aber nicht erklärt werden. Zudem gab es nicht wie von vielen erhofft eine erneute Anhebung der Umsatz- und Gewinnprognose. Wirecard AG (ISIN: DE0007472060) | | WKN / Kürzel | Börsenwert | KGV 18/19e/20e | Kurs | 747206 / WDI | 16,5 Mrd. EUR | 38 / 28 / 21 | 133,75 EUR | Meine Meinung: Ich denke schon, dass die Vorwürfe der Financial Times zumindest bis zu einem gewissen Grad Substanz haben. Das muss nicht heißen, dass Wirecard irgendetwas macht, das illegal ist. Aber alleine gewisse Zusammenhänge, die das Blatt aufzeigt, sollten einen als Wirecard-Aktionär schon nachdenklich machen. Wirecard ist ein hochgradig intransparentes Investment! Ich habe andererseits allerdings auch den Verdacht, dass die Financial Times immer wieder aus dem gleichen vorliegenden Datenmaterial "Enthüllungs-Stories" kreiert, die dann als neu vermarktet werden. Auch diese Praxis halte ich für bedenklich und wird nun - zurecht - von den Strafverfolgungsbehörden hinterfragt. Und der Softbank-Deal? Wie so vieles bei Wirecard ist auch der eine zweischneidige Geschichte. Operativ mag er Wirecard was bringen, aber ein echter Vertrauensbeweis sieht anders aus. Nach dem heftigen Kursrückgang hätten die Japaner doch die Möglichkeit gehabt, direkt Aktien zu kaufen, wenn sie wirklich komplett vom zukünftigen Erfolg der Aschheimer überzeugt gewesen wären. Ich denke, dass der aktuelle Bewertungsabschlag von Wirecard gegenüber anderen Payment Processing-Unternehmen durchaus berechtigt ist. Solange die Prognosen für 2019 nicht erhöht werden, dürfte die Aktie eher seitwärts laufen. Hinweispflicht nach §34b WpHG: Die Geldanlage-Report-Redaktion ist in folgendem Wertpapier / Basiswert zum Zeitpunkt des Publikmachens des Artikels nicht investiert: Wirecard. Es können daher Interessenskonflikte vorliegen. Die in diesem Artikel enthaltenen Angaben stellen keine Aufforderung zum Kauf oder Verkauf von Wertpapieren dar.
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