Trotzdem – oder gerade auch deshalb – werfen wir heute nochmals einen genaueren Blick auf einige chinesische Technologie-Werte. Viele von ihnen notieren inzwischen deutlich unter ihren langjährigen Höchstständen. Wir denken, dass sich in dem Sektor in einigen Fällen und auf mittlere Sicht wieder gute Chancen ergeben – sofern man als Anleger über die vorherrschende Verkaufspanik hinwegsehen kann. Im Visier der Behörden Dass in China private Unternehmen von der Regierung genau beobachtet werden, ist bekannt. Da war es eigentlich überraschend, dass man den Tech-Firmen seit dem Beginn des Internets um die 2000er-Wende sehr viel Freiheit bei der Entfaltung lies. Dies hat sich bezahlt gemacht, denn andernfalls säßen in China heute wohl kaum 124 der 500 weltweit umsatzstärksten Unternehmen – mehr als in jedem anderen Land (Quelle: Fortune Global 500, 2020). Dies hat aber zu keinem Zeitpunkt bedeutet, dass die chinesische Regierung der unternehmerischen Entwicklung teilnahmslos zusieht. Sobald einzelne Firmen zu mächtig oder aufmüpfig werden (wie Alibaba und dessen Gründer Jack Ma Ende 2020), oder nationale Interessen gefährdet sein können, wird aktiv eingegriffen. Die Maßnahmen sind dann mitunter drastisch, und sie haben dazu geführt, dass viele Anleger seit Jahresbeginn chinesische Technologie-Aktien meiden – wie die folgende Graphik verdeutlicht: Ungeachtet der zum Teil berechtigten Kursabschläge sollte festgehalten werden, dass viele chinesische Unternehmen bisher operativ kaum von den Maßnahmen beeinträchtigt wurden. Nicht wenige der betroffenen Konzerne präsentieren nach wie vor starke Geschäftszahlen. Zugleich sind die Bewertungen wieder deutlich attraktiver geworden. Deshalb sollte es sich lohnen, zu den aktuellen Kursen wieder genauer hinzuschauen. Alibaba – Übertriebene Kursabschläge! Alibaba ist eines der am stärksten diversifizierten Unternehmen Chinas, das im Vergleich zu anderen Konglomeraten auch solide wächst und eine klare erkennbare Strategie verfolgt. Diese soll es mit innovativen Lösungen ermöglichen, Unternehmen zusammenbringen und ihre Produkte zu vermarkten. Alibaba hat dafür in den vergangenen zwei Jahrzehnten ein einzigartiges E-Commerce-Universum etabliert, das im Kerngeschäft aus mehreren einheimischen Onlineshopping-Seiten sowie aus einigen ausländischen Tochter-Unternehmen besteht. Immer interessanter werden auch andere wachstumsstarke Segmente wie AliCloud. Für besonderes Aufsehen sorgte letztes Jahr das geplante und später abgesagte IPO der Fintech-Tochter ANT Group. Es war in China der Startschuss für eine Regulierungswelle der Tech-Konzerne und gilt als einer der Hauptgründe für die schlechte Entwicklung des Aktienkurses in den vergangenen knapp 9 Monaten. Der Bewertungsabschlag durch das geplatzte IPO ist partiell legitim, doch in der Höhe fragwürdig: Alibaba besitzt etwa ein Drittel der ANT Group. Der gesamte Börsenwert von ANT hätte bis zu 250 Mrd. US-Dollar betragen können, somit Alibabas Anteil gut 83 Mrd. US-Dollar. Alibabas Börsenwert hat seit Ende Oktober 2020 jedoch 34% an Wert verloren, was ca. 294 Mrd. US-Dollar entspricht. Selbst wenn der Gegenwert der ANTs Group heute bei 0 liegen würde, bleibt eine Differenz von über 200 Mrd. US-Dollar, die trotz aller Regulierungsrisiken bei diesem etablierten und stark wachsenden Unternehmen nur noch schwer zu begründen ist. Alibaba Group ADRs (in EUR) – 5 Jahre | | WKN | Börsenwert | KGV22e | A117ME | 572 Mrd. USD | 21,5 | KBV | Dividendenrendite | Kurs | 3,9 | - - - | 214,04 USD / 177,80 EUR | Fazit: Es ist wohl eine Frage der Zeit, bis das Vertrauen der Anleger zurückkommt und die unternehmerischen Kennzahlen wieder in den Vordergrund rücken. Die Aktie sucht noch ihren Boden, hat allerdings gute Chancen, diesen zeitnah auszubilden und mittelfristig wieder zu steigen. Alibaba hat bereits 2019 als erstes Unternehmen ein Second-Listing in Hongkong durchgeführt, so dass man als Anleger inzwischen sowohl in die US-ADRs als auch in die neue Hongkong-Aktie (WKN: A2PVFU) investieren kann. Baidu – Ein echter Innovationsführer! Baidu wurde im Jahr 2000 als Suchmaschinen-Plattform gegründet und besteht heute im Wesentlichen aus zwei Segmenten: Zum einen das Kerngeschäft, das mit 72% Umsatzanteil Online-Marketing-Service und KI-Lösungen anbietet. Dabei spielen innovative Bereiche wie die Apollo-Plattform, über die bereits autonome Fahrdienste kommerziell in China betrieben werden, eine immer wichtigere Rolle. Baidu arbeitet eng mit der chinesischen Regierung zusammen und konstruiert moderne urbane Zentren in China. Der zweite Bereich mit 28%-Umsatzanteil ist iQIYI, eine Video-Streaming-Plattform, vergleichbar mit Netflix. Diese Sparte ist das Sorgenkind von Baidu: Auch wenn die Abonnenten im Q1/2021 auf insgesamt über 105 Mio. anstiegen, ist iQIYI aufgrund der notorisch niedrigen Abogebühren nicht profitabel und wächst auch beim Umsatz wegen des starken Wettbewerbs nur langsam (+4% in Q1 im Vergleich zum Vorjahr). Vielen Investoren ist nicht bewusst, dass Baidu vom bisherigen Regulierungsdruck in China deutlich weniger als andere Unternehmen betroffen war. Die Aktie notiert aktuell mit einem KGV von unter 20 fast 50% unter ihrem Allzeithoch; hat aber den seit Februar anhaltenden Abwärtstrend noch nicht verlassen können. Baidu ADRs (in EUR) – 5 Jahre | | WKN | Börsenwert | KGV21e | A0F5DE | 63,8 Mrd. USD | 19,8 | KBV | Dividendenrendite | Kurs | 0,4 | - - - | 178,49 USD / 149,00 EUR | Fazit: Der größte Kritikpunkt bei Baidu ist noch die Profitabilität, die sich zuletzt allerdings auch stabilisiert hat. Die Bewertung ist mit Blick auf die guten Perspektiven der verschiedenen technologischen Initiativen inzwischen moderat. Baidu bleibt eines der weltweit führenden KI-Unternehmen, das Chinas technologische Entwicklung auch in Zukunft mitstimmen wird. Auf dem aktuellen Niveau ist die Aktie ein klarer Kauf. Sie ist sowohl in den USA als auch Hongkong (WKN: A0YCQ6) gelistet. Meituan – Wachstum pur! Meituan ist vielen Anlegern im Westen nach wie vor nicht sehr geläufig. Dabei hat das Unternehmen mittlerweile in China einen ähnlichen Einfluss auf das tägliche Leben wie Alibaba oder Tencent. Meituan besteht aus mehreren Plattformen, die Konsumenten mit lokalen Dienstleistern verbinden. Besonders sichtbar ist dies bei den Essenslieferungen (ca. 60%-Umsatzanteil), wo Meituan mit seiner „gelben Scooter-Armee“ der klare Marktführer in China ist. Doch auch andere Bereiche wie Ticket-Systeme für Reisen und Unterhaltung sowie E-Bike-Vermietung sind fester Bestandteil des Service-Portfolios. Obwohl das erst 2010 gegründete Unternehmen vergleichsweise jung ist, hat seine Marktmacht bereits die Aufmerksamkeit der chinesischen Regulierungsbehörden auf sich gezogen und die Aktionäre damit verunsichert. Doch bislang ist auch Meituan von Sanktionen, die sich spürbar auf die Geschäftsberichte auswirken, verschont geblieben und konnte im 1. Quartal seinen Wachstumskurs mit einem Umsatzplus von über 120% vom Vorjahresquartal fortsetzen. Meituan ist bisher kaum profitabel, da das Unternehmen eine aggressive und kapitalintensive Expansions-Strategie verfolgt. Bei dieser sollen besonders neue Initiativen im B2B-Bereich sowie Shared Economy und Online-Shopping vorangetrieben werden. Das Management hat zuletzt immer wieder betont, dass in den nächsten Jahren einmalige Chancen bestehen, die man auf Kosten der Profitabilität und Kapitalstruktur nutzen will. Meituan Dianping (in HKD) – seit IPO | | WKN | Börsenwert | KGV21e | A2N5NR | 1,7 Mrd. HKD / 185 Mrd. EUR | -Verlust- | KBV | Dividendenrendite | Kurs | 14,6 | - - - | 276,00 HKD / 30,10 EUR | Fazit: Wer ein wachstumsstarkes, aber bereits gut in den chinesischen Alltag integriertes Unternehmen sucht, für den ist Meituan ein interessantes Investment. Hinzu kommt, dass die Bodenbildung weiter vorangeschritten ist als bei anderen Titeln aus dem Sektor. Der Abstand zum Allzeithoch liegt bei gut 66%. Üppige Unternehmensgewinne darf man sich vorerst aber nicht erwarten. Das macht die Papiere zu einem spekulativen Investment. Meituan ist ausschließlich in Hongkong gelistet. Xiaomi – Apple überholt! Xiaomi ist in gewisser Hinsicht eine Antithese zu Meituan: Hierzulande kennen das Unternehmen mittlerweile immer mehr Verbraucher und Anleger, während Xiaomi in China selbst eine deutlich geringere Rolle spielt, als viele vermuten würden. Dies soll aber nicht über den Erfolg hinwegtäuschen, den Xiaomi seit seiner Gründung 2010 hatte: Der Konzern ist an über 300 Unternehmen direkt oder indirekt beteiligt und stellt mit seiner Multi-Brand-Strategie nahezu jeden erdenklichen Elektro-Artikel her – vom Reiskocher über elektrische Roller bis hin zu den Aushängeschildern – den Smartphones. Genau diese sorgten letzte Woche nach einem Bericht des Analysehaus Canalys wieder einmal für Aufsehen: Demnach erreichte Xiaomi einen globalen Smartphone-Marktanteil von 17%, übertraf damit Apple und wurde erstmals die Nr. 2 weltweit. Die Anleger honorierten diesen Erfolg und ließen die Aktie um fast 5% steigen. Neben Indien, wo das Unternehmen bereits seit Jahren erfolgreich operiert, verzeichnet Xiaomi aktuell insbesondere in Lateinamerika und Afrika mit 300% resp. 150% das meiste Wachstum. Auch wenn Xiaomi schwarze Zahlen schreibt, sind die Gewinnmargen (Q1: 10,1%) deutlich unter denen der Konkurrenz. Xiaomis Hardware wird vergleichsweise preiswert verkauft; die Gewinne werden eher über die Absatzmenge und Folgeservices erzielt. Xiaomi war bisher, als primärer Elektro-Hersteller, von den Tech-Regulierungen nicht direkt betroffen, hat allerdings dafür gelegentlich Spannungen mit den amerikanischen Behörden. Xiaomi (in HKD) – seit IPO | | WKN | Börsenwert | KGV21e | A2JNY1 | 663 Mrd. HKD / 72 Mrd. EUR | 27 | KBV | Dividendenrendite | Kurs | 4,5 | - - - | 26,35 HKD / 2,90 EUR | Fazit: War vor einiger Zeit noch nicht klar, ob Xiaomi den Sprung unter die großen Smartphone-Anbieter schafft, muss die Frage mittlerweile mit einem klaren Ja beantwortet werden. Ob sich das Unternehmen in jedem einzelnen Elektro-Segment behaupten kann, ist fraglich, doch gerade der internationale Erfolg in Verbindung mit einer beeindruckenden Innovationsstärke macht Xiaomi auf mittlere Sicht attraktiv. Die Aktie hat außerdem die jüngste Korrektur im China-Tech-Sektor vergleichsweise gut weggesteckt. Der Konzern ist sowohl in Hongkong als auch in Shanghai börsennotiert. DiDi – Voll unter Beschuss! Mit der Gründung im Jahr 2012 ist DiDi ist das jüngste unter den hier aufgeführten Unternehmen. Der Konzern ist ein Fahrdienstleister, der spätestens nach der Übernahme von Ubers Chinageschäft der klare Marktführer in China wurde. DiDi ist jedoch nicht nur in China präsent, sondern ist global an zahlreichen anderen Fahrdienst-Konzernen beteiligt. Dazu zählen beispielsweise Bolt (u. a. Osteuropa und Südafrika) und Grab (Südostasien). Nach einem krisenbedingten Umsatzrückgang 2020 ist DiDi dieses Jahr operativ zurück auf einem soliden Wachstumspfad. Der Umsatz konnte sich in Q1/2021 gegenüber dem Vorjahr mehr als verdoppeln und das Betriebsergebnis war durch Sondereffekte sogar positiv. Insgesamt wird jedoch für das laufende Jahr wieder ein branchentypischer Verlust erwartet. Dabei bleibt DiDi mit einem für 2021 erwarteten KUV von 2,2 aber deutlich günstiger bewertet als der größte Mitstreiter Uber mit 5,5. Obwohl DiDi im Vergleich zur ANT Group sein IPO letztendlich durchführen konnte, war auch dieses von negativen Ereignissen überschattet. Offenbar hat die Gesellschaft einige Warnungen aus China bezüglich Cyber-Security-Vorgaben ignoriert, und musste dann nur wenige Tage nach dem Börsengang eine Download-Sperre seiner Fahr-App hinnehmen. Die Aktie brach zum Teil zweistellig ein und notiert mittlerweile deutlich unter dem Ausgabekurs von 14,00 US-Dollar. DiDi Global (in USD) – seit IPO | | WKN | Börsenwert | KGV21e | A3CTLG | 49 Mrd. USD | -Verlust- | KBV | Dividendenrendite | Kurs | k.A. | - - - | 10,20 USD | Fazit: Während die langfristigen Aussichten für DiDi, durch den wachsenden China-Markt und die globale Präsenz, positiv sind, bleibt DiDi kurz- bis mittelfristig hochspekulativ und sollte nur von risikobewussten Anlegern mit limitierten Ordern gekauft werden. Das Unternehmen ist nach wie vor ausschließlich in den USA gelistet. Wer unnötige Risiken vermeiden will, sollte abwarten, bis mehr Klarheit zum weiteren Vorgehen der chinesischen Behörden besteht.
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