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Kurzstrecke |
Tagesspiegel Checkpoint vom Mittwoch, 25.11.2020 | Wolkig, aber trocken bei max. 5°C. | ||
+ Weihnachten gibt's Würstchen mit Zahlensalat + Berliner Knallfrösche + Müller-Verbot + |
von Anke Myrrhe |
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Guten Morgen, Weihnachten gibt es in diesem Jahr zu Würstchen oder Gans einen leckeren Zahlensalat. Ob Nachbar Detlef das Dressing machen darf oder nur Onkel Ole, ob die Kinder vorbereitend in Quarantäne geschickt werden (Stand heute früh: ab dem 19. Dezember bundesweit keine Schule mehr) und wer wann wie lange mit wem knallen darf (im Garten!) – in all diesen Fragen ging es seit Sonntagabend hin und her zwischen den Bundesländern, dem Bund und wieder den Bundesländern und... Streit habe es dabei natürlich nicht gegeben, sprach der Moderierende Bürgermeister Müller gestern, gab aber „arbeitsintensive Tage“ zu und wirkte frisch frisiert irgendwie gealtert. Doch kaum hatte Müller die Maßnahmen erklärt und versucht, erste Zahlen mundgerecht klein zu schnippeln („Sind 14-Jährige noch Kinder? Sie stellen Fragen!“), scherten schon die ersten Länder öffentlich wieder aus. Dem einen geht’s nicht weit genug, dem anderen zu weit. Oh, du fröhlicher Föderalismus. Das letzte Wort spricht heute die Kanzlerin – allerdings können auch danach die Länder im Grunde wieder machen, was sie wollen. Dabei wäre eine einheitliche Lösung gerade jetzt wichtiger denn je, wo der Republik zwecks weihnachtlicher Durchmischung zehn Tage Corona-Pause verordnet werden soll, damit sie den nächsten Lockdown zum Nachtisch gelassen mit einem übriggebliebenen Eierlikörchen herunterspült. Durchhalten, jetzt nicht leichtsinnig werden. Die Impfzentren sind doch schon im Aufbau. So oder so werden sich alle, jung wie alt, in zwei Wochen im Familienchat ehrlich machen müssen. Wer mit wem und wenn ja: Wie viele? Das muss ohnehin jede Familie für sich entscheiden, denn Heiligabend wird sicher kein Santa-Polizist klingeln und die Gäste am Baum durchzählen. 83 Millionen Virologen wissen nach neun Monaten Ausbildung selbst am besten, was zu tun ist. Sonst findet Weihnachten nächstes Jahr wirklich ohne Großeltern statt. | |||
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Eine Zahl allerdings steht: Mehr als drei Böllerverbotszonen wird es hier vermutlich auch in diesem Jahr nicht geben. Vom Berliner Vorschlag des generellen Verbots (Kauf, Verkauf und Zünden) bleibt in der letzten Beschlussfassung vor der Merkel-Schalte nur noch ein Rauchwölkchen des Appells übrig: „Zum Jahreswechsel 2020/2021 wird empfohlen, auf Silvesterfeuerwerk zu verzichten. Auf belebten Plätzen und Straßen wird die Verwendung von Pyrotechnik untersagt, um größere Gruppenbildungen zu vermeiden.“ Welche das sind, muss die örtlich zuständige Behörde bestimmen. Und die will dem Vernehmen nach bei den drei im Vorjahr erprobten Zonen (Alexanderplatz, Brandenburger Tor und Pallasstraße) bleiben, vielleicht noch ein, zwei andere, mutmaßte Müller gestern, musste aber auch hier erst nochmal durchzählen. Keine fünf Minuten habe man unter den Ländern über diesen Punkt debattiert, sagte Müller grinsend. Was darauf schließen lässt, dass dieser Passus weniger aus Überzeugung als zur Besänftigung der Grünen Koalitionspartner in den Berliner Entwurf gelangt ist, die das Böllerverbot seit Jahren fordern. Schwer verknallt ist hier schon lange niemand mehr. Aus Berliner Sicht, wo sich Menschen mit Raketen von Balkonen beschießen, mag die Freiheit grenzenlos dumm anmuten, doch ich erinnere mich noch gut an mein Gefühl beim ersten Jahreswechsel in dieser Stadt: Silvestermäßig vor allem in einem Schweizer Bergdorf sozialisiert, wollte ich meinen neuen Mitbewohner mit einer Handvoll harmlosen Heulern kurz nach Mitternacht auf die Schöneberger Straße zerren und blickte in ernsthaft entsetzte Augen. Ich zog allein hinaus mit meinen Knallfröschen und fand da draußen viel zu viele andere – und die waren mit weniger harmlosen Heulern ausgestattet. Seither knallen bei uns nur noch die Sektkorken. Doch anderswo ist’s eben anders (auch innerhalb Berlins). Und das ist auch gut so. Und egal, ob links oder rechts: Alle sollten sich hüten, die Pandemie für Klientelpolitik zu missbrauchen – sonst knallt’s am Ende an ganz anderen Stellen. | |||
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Als die Senatssprecherin Müller gestern die Frage nach dem Böllerverbot stellte, zuckte der kurz zusammen: „Was soll es geben? Ein Müller-Verbot? Jetzt hab‘ ich mich aber erschrocken“, und beantworte die Frage dann kichernd wie ein Schuljunge in der letzten Reihe. Nein, ganz so weit ist es auch in der SPD noch nicht gekommen, auch wenn Müller am Freitagabend als Landesvorsitzender abgewählt wird. „Endlich“, sagt eine Genossin, was sich allerdings eher auf den zwei Mal verschobenen Parteitag als auf die Personalie bezieht. An der Wahl des Duos Giffey/Saleh gibt es trotz abgetragenem Doktortitel und kompliziert angelegtem Hybridparteitag keine Zweifel. Das Feuerwerk der guten Laune dürfte dennoch ausbleiben. | |||
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Auch die Laune des Justizsenators ist derzeit eher angepikst: Nachdem der Streit um die Tierversuchskommission gestern beendet wurde (letztes Wort hat die Wissenschaft), gibt es den nächsten Beschwerdebrief an Behrendt. Die Vereine der Verwaltungsrichter von Berlin und Brandenburg beklagen darin, dass die offene Stelle einer Vorsitzenden Richterin am Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg seit einem Jahr nicht nachbesetzt wird – obwohl das Verfahren ordnungsgemäß eingeleitet wurde und Vorschläge des Präsidenten vorlägen. Es wäre extrem „schädlich und befremdlich“, heißt es in dem Schreiben, „wenn aufgrund der zu befürchtenden weiteren Verzögerung das Besetzungsverfahren sogar insgesamt neu durchgeführt werden müsste, weil die vorgelegten Beurteilungen ihre Aktualität eingebüßt hätten.“ Nicht zuletzt dürfe es keinen Anlass zu „Spekulationen über sachfremde Erwägungen geben“. Aus der Senatsverwaltung für Justiz hieß es gestern Abend: „Die Sache ist entscheidungsreif und könnte den nächsten gemeinsamen Richterwahlausschuss der Länder Berlin und Brandenburg im ersten Quartal 2021 erreichen.“ Nicht, dass noch der nächste Staatssekretär einen Wutanfall bekommt. | |||
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Zum heutigen Internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen haben die FDP-Politikerinnen Maren Jasper-Winter und Ann Cathrin Riedel einen Gastbeitrag für den Tagesspiegel geschrieben. Falls Sie, wie einige AFD-Politiker, das Gefühl haben, Frauen seien doch meist selbst schuld (Beispiel hier), hier ein paar Fakten: 70 Prozent der Mädchen und jungen Frauen in Deutschland sind Bedrohungen, Beleidigungen und Diskriminierungen in sozialen Medien ausgesetzt. Laut einer Analyse der Europäische Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft sind Bedrohungen und Beschimpfungen im digitalen Raum ein erheblicher Grund für ein geringeres Engagement in der Politik. Weitere Denkanstöße und sieben Vorschläge, wie wir alle etwas ändern können, finden Sie hier. Wenn Sie’s heute nicht lesen: Selbst schuld. | |||
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Gegen die dicke Luft in der Schulfrage stellt das Land Berlin 4,5 Millionen Euro zur Verfügung, damit dort Luftfilter eingebaut werden können. Klingt erstmal spitze, bei genauerem Hinsehen allerdings wird das Bild schon wieder trüber. Frühestens im Januar können die Schulen mit der Anschaffung beginnen, und wir rechnen mal nach (Mathe lernen mit dem Checkpoint): Die Filter kosten zwischen 3000 und 7000 Euro, je nach Modell könnten also zwischen 650 und 1500 Filter für ganz Berlin gekauft werden. Bei 800 Schulen macht das im Mittel etwa 1,5 Geräte pro Schule. Lösung: Wenn sich alle in einen Raum setzen, könnte es klappen mit dem Regelunterricht. In Marzahn-Hellersdorf zum Beispiel werden vermutlich alle Filter für drei Schulen gebraucht, an denen die Fenster „derart baufällig sind, dass sie zugenagelt sind“, sagt Stadtrat Gordon Lemm (SPD). Nur, wenn aus der Lieferung noch Geräte übrig blieben oder es weitere Gelder gebe, könnten auch andere Schulen bedacht werden (weitere Details im Leute-Newsletter meines Kollegen Ingo Salmen). Dafür soll sich das Schulpersonal bald einfach selbst auf Corona testen können – laut Schulverwaltung werden dafür wöchentlich etwa 40 000 Tests benötigt (Q: Mopo). Na, hoffentlich läuft die Ergebnisübermittlung dann nicht so wie an einer Neuköllner Schule, wo Eltern offenbar folgenden Rat erhalten haben: „Bitte erklären Sie Ihrem Kind, dass es nicht sinnvoll ist, andere Schüler*innen über den positiven Test zu informieren. Dies führt zu unnötiger Verunsicherung der Schulgemeinschaft.“ Dem Virus gefällt das. | |||
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